KTG Agrar Dubiose Geschäfte des einstigen Börsenstars

Nach der Pleite des Landwirtschaftskonzerns KTG Agrar häufen sich die Ungereimtheiten. Fragwürdige Darlehen und undurchsichtige Geschäfte in Rumänien müssen aufgeklärt werden.

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KTG Agrar Vorstandschef Hofreiter Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

Die Agusta A109S mit der Kennung D-HKTG landet am späten Nachmittag auf einem Parkplatz an der A9 südwestlich von Berlin. Siegfried Hofreiter packt seine Aktentasche und den Lederkoffer und kämpft sich geübt gegen den Propellerwirbel auf den achtsitzigen Helikopter zu. Der wuchtige Herr über Tausende Hektar Agrarland hat die Piloten kurzfristig nach Linthe im Landkreis Potsdam beordert.

Dort inspizierte der Chef des börsennotierten Ackerbaukonzerns KTG Agrar noch schnell eine alte Fertighausfabrik, die er gekauft und zu einem Lager- und Verarbeitungsbetrieb für Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln umgebaut hatte.

Doch jetzt pressiert es den gebürtigen Oberpfälzer. Der Rundflug am Morgen über die Ländereien der KTG hat viel zu lange gedauert. Am Abend ist er in Belgien mit seinem Freund und Geschäftspartner Clemens Tönnies verabredet. „Er ist aus meinem Schrot und Korn. Bei ihm gilt: ein Mann, ein Wort“, lobt Hofreiter den Chef und Mitinhaber von Deutschlands größtem Fleischkonzern – und sich selbst gleich mit. Dann hebt der viel beschäftigte Vielflieger ab. Die große Show des Agrarindustriellen aus kleinen Verhältnissen geht weiter.

Allerdings nicht mehr lange.

Rund anderthalb Jahre später ist Hofreiters Höhenflug beendet. KTG Agrar, Deutschlands größter und seit 2007 an der Börse notierter Agrarkonzern, meldete am 5. Juli Insolvenz an. Eine Woche später legte Hofreiter seine Ämter nieder und machte sich vom Acker. Der Aufsichtsrat bestellte den Rechtsanwalt Jan Ockelmann in den Vorstand, der gemeinsam mit dem vom Gericht bestellten vorläufigen Sachwalter, dem Juristen Stefan Denkhaus, das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung umsetzen soll.

20.000 Anleihekäufer bangen um ihr Geld

Die Sanierer stehen vor einer gewaltigen Aufgabe: Innerhalb weniger Jahre hat Hofreiter seine Landwirtschaft zu einem europäischen Agrarimperium mit 46.000 Hektar bewirtschafteter Fläche aufgeplustert. Die Landnahme finanzierte der bayrische Pfundskerl vor allem auf Pump – über Bankkredite und Anleihen. 20.000 Käufer von Anleihen im Wert von 340 Millionen Euro bangen um ihr Geld.

Auch für Hofreiter und seinen Hofstaat steht viel auf dem Spiel. Die Pleite könnte ein juristisches Nachspiel haben. Anlegeranwälte machen bereits mobil und prüfen Klagen, weil KTG Agrar seine Anleger allenfalls rudimentär informiert habe. Auch Banken, die KTG-Aktien zum Kauf empfohlen haben, stehen in der Kritik.

Zudem lichtet Sachwalter Denkhaus derzeit das Firmengestrüpp aus mehr als 100 Beteiligungen, das Hofreiter um die KTG herum geschaffen hat. Denkhaus muss klären, was hinter Umfirmierungen und Verkäufen von einst zentralen Unternehmensteilen wie der Food-Sparte und der Tiefkühldivision steckt. Und es gilt, das Darlehensgeflecht von KTG Agrar zu entwirren.

Anleihe: KTG Agrar

Denn der klamme Ackerkonzern hat Darlehen von mehr als 130 Millionen Euro an externe Unternehmen vergeben. Allein rund 66 Millionen Euro – ein Fünftel der Anleihesummen – entfielen auf die KTK-Gruppe, die für den Vertrieb der Ernte zuständig ist. Statt die Gelder der Anleger zu investieren, wurden sie großteils an Dritte durchgereicht. Diese werden nicht selten von Personen aus Hofreiters direktem Umfeld kontrolliert.

Wozu die Darlehen dienten und ob sie jemals zurückgezahlt werden können, dazu schweigt Hofreiter. Weder telefonisch noch schriftlich beantwortet er die Fragen der WirtschaftsWoche. Auch ein Sprecher von KTG Agrar will zu konkreten Fragen derzeit keine Stellung beziehen. Zunächst stehe die Fortführung des Geschäftsbetriebs im Vordergrund, sagt er. Der Konzern sei „ein einziger Sumpf“, heißt es derweil aus dem Umfeld beteiligter Sanierer.

Trügerische Idylle in Rumänien

Die Spuren in diesem Sumpf führen unter anderem ins rumänische Iași, eine Universitätsstadt mit 300.000 Einwohnern im Nordosten Rumäniens, unweit der Grenze zu Moldawien. Vom Provinzflughafen aus geht es über wellige Landstraßen, vorbei an Klöstern, Pferdefuhrwerken und auf der Straße streunenden Kühen. Nach knapp einer Stunde erreicht man den Landwirtschaftsbetrieb Agro Iulia.

Ein Innenhof, umgeben von zugigen Wellblechunterständen, in denen Pflüge und Mähdrescher vor sich hin rosten. Eine Werkstatt, ein kleines Verwaltungsgebäude mit ein paar Büros und einer kleinen Kantine. Im Hof döst ein angeketteter Wachhund in der Sonne. Daneben rangiert ein altersmüder Trecker seinen Hänger auf eine Erntewaage.

Agro Iulia beschäftigt knapp 50 Mitarbeiter, die auf einigen Tausend Hektar Land Soja, Hafer und Gerste anbauen. Das Unternehmen gehört zu 60 Prozent dem westfälischen Fleischunternehmer und Schalke-04-Boss Clemens Tönnies. Den Rest hält KTG Agrar. Der Fleischmogul aus Rheda-Wiedenbrück hatte sich das Engagement in Rumänien vor rund zehn Jahren von Rodo Schneider schmackhaft machen lassen, einem ehemaligen Topmanager des bayrischen Fleischkonzerns Moksel. Schneider stieg 2009 in Rumänien aus und verkaufte seine Anteile an die KTG Agrar. Fortan sollten die Landwirtschaftsprofis aus Hamburg dem Agrarlaien Tönnies helfen, den Betrieb auf Vordermann zu bringen.

Gelungen ist das bis heute nicht. Im Gegenteil. Als Tönnies zu Beginn des vergangenen Jahres verschiedene private Beteiligungen auf ihre Werthaltigkeit prüfen ließ, schrillten plötzlich die Alarmsirenen. In der Analyse eines Wirtschaftsprüfers, die Tönnies am 15. Juli vergangenen Jahres zugeschickt wurde, heißt es unter dem Stichpunkt Agro Iulia, die Gesellschaft habe im Jahr 2014 einen deutlichen Umsatzrückgang und einen Verlust in Höhe von umgerechnet 1,1 Millionen Euro erzielt. „Die wirtschaftlichen Gründe der Verlustsituation sollten geklärt werden“, empfiehlt der Prüfer.

Weiter heißt es: „Zum 31. Dezember 2014 werden Forderungen in Höhe von rund zwei Millionen Euro bilanziert. Die Werthaltigkeit der bilanzierten Forderungen sollte kritisch hinterfragt werden. Die Gesellschaft ist zum 31. Dezember 2014 mit einem negativen Eigenkapital von umgerechnet 6,2 Millionen Euro deutlich überschuldet.“ Fazit: „Die Fortführungsprognose der Gesellschaft sollte im Gesellschafterkreis geprüft werden.“

von Henryk Hielscher, Mario Brück

Ein Kenner der Verhältnisse in Rumänien berichtet, dass Clemens Tönnies dort über den Tisch gezogen wurde. So sollen etwa Maschinen wie Pflüge und Mähdrescher, die schon lange nicht mehr im Einsatz sind, von der KTG an Agro Iulia vermietet beziehungsweise verkauft worden sein.

Geliefert wurden die Feldfrüchte an die KTK-Gruppe, die die Vermarktung übernehmen sollte. Dabei, so behauptet der Insider, müsse hinterfragt werden, warum die in Rumänien erwirtschaftete Ernte überhaupt nach Deutschland verfrachtet wurde und wer die Transportkosten übernommen habe. Vor allem aber: zu welchen Preisen? Weder KTG noch Hofreiter äußern sich dazu.

Tönnies hat mittlerweile eine Sonderprüfung veranlasst und will eigene Mitarbeiter nach Rumänien schicken, um den Vorwürfen nachzugehen. Neben der Agro Iulia rückt damit die KTK-Gruppe ins Scheinwerferlicht.

Die Finanzdrehscheibe KTK

Die KTK-Gruppe verdient Geld mit der Vermarktung und dem Transport von Getreide und besteht aus der KTK Getreidelager und Handels AG in Hamburg sowie deren Muttergesellschaft, der KTK Getreidehandels AG in Frankfurt.

Nach der Pleite häufen sich die Ungereimtheiten. Quelle: Werner Schuering für WirtschaftsWoche

An beide Gesellschaften vergab die KTG Darlehen über insgesamt rund 66 Millionen Euro. Doch wofür? Wer auf der Suche nach Antworten die Telefonnummern der KTK in Hamburg und Frankfurt wählt, landet in der Telefonzentrale der KTG Agrar. Noch erstaunlicher: Auch Manager der KTK können oder wollen wenig zu den Geschäften sagen.

Vorstand der KTK in Hamburg ist der 81-jährige Winfried B., der auch in zahlreichen anderen Unternehmen auftaucht, die mit Hofreiters KTG Agrar verbandelt sind. Der rüstige Getreideveteran erklärt der WirtschaftsWoche, er habe operativ „eher weniger“ getan und wolle sich zu Details nicht äußern.

von Mario Brück, Henryk Hielscher

Niemand will etwas wissen

Alleinvorstand der KTK Getreidehandels AG in Frankfurt ist wiederum der Rechtsanwalt Felix N., der hauptberuflich Firmenmäntel verkauft, in die Firmen Beteiligungen packen können, und – entgegen sonst üblichen Gepflogenheiten – auch Jahre nach dem Verkauf des Firmenmantels noch der KTK als Vorstand diente. Jedenfalls bis zum Samstag, dem 4. Juni 2016. An diesem Tag sei er als Vorstand ausgeschieden, behauptet Felix N. – ausgerechnet zwei Tage, bevor KTG Agrar erstmals öffentlich machte, fällige Zinsen für eine Anleihe nicht fristgerecht zahlen zu können, und so faktisch ihr Ende einläutete.

Ob der KTK-Alleinaktionär, ein Finanzdienstleister aus Süddeutschland, darüber informiert sei, wisse er nicht, sagte Felix N. Im Handelsregister sind angebliche Änderungen im Vorstand noch nicht eingetragen. Insider vermuten indes, dass sich die Rolle der KTK-Vorstände in Wahrheit ohnehin nur darauf beschränkte, ihre Unterschriften unter alle jene Dokumente zu setzen, die ihnen aus der KTG-Zentrale vorgesetzt wurden. Waren sie Strohmänner für Hofreiter, um mit den Kreditmanövern Löcher in der Bilanz zu stopfen? Denn die Darlehensforderungen wurden im KTG-Jahresabschluss als Vermögen bilanziert. Der Ackerpleitier schweigt auch dazu.

Ein Insider erklärt die millionenschweren Darlehen an KTK indes so: Da KTK das Getreide nicht sofort weiterverkaufen konnte und es zunächst lagern musste, könnte KTG Agrar den Ankauf des Getreides für KTK zwischenfinanziert haben. Diese Forderungen, so der Insider, seien aber besichert – und zwar mit der Ernte. Allerdings steht die Höhe der ausgereichten Darlehen in keinem Verhältnis zu den Ernteerträgen.

Was sich wirklich hinter den Millionenkrediten verbirgt, könnte sich in dieser Woche zeigen. Dann soll eine außerordentliche Hauptversammlung der KTK Getreidehandels AG stattfinden.

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