Die vier haben sich einen Namen auf ganz eigene Weise gemacht. Thomas Schmidheiny etwa stand in der Schweiz als Verwaltungsrat des Rohstoffkonzerns Xtrata in der Kritik, dessen Tochterfirma Vantech in Südafrika schwer gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften verstoßen haben soll. In Spanien musste der steinreiche Eidgenosse 1,5 Millionen Euro Buße wegen eines illegalen Börsengeschäftes zahlen.
Noch nicht ganz so unschön beleumundet ist Nassef Sawiris, der jüngste von drei Brüdern des gleichnamigen ägyptischen Unternehmerclans. Dem koptischen Christen gehört mit OCI der größte Baukonzern seines Landes, daneben fiel er nur durch aggressive Aktienkäufe auf.
Umso zweifelhafter ist dafür der Ruf der anderen beiden Herren im Bunde, Albert Frère und Filaret Galtschew. Frère, reichster Mann Belgiens, trickste die Regierung seines Landes aus, indem er ihr in den Siebzigerjahren seine Stahlunternehmen in der heraufziehenden Branchenkrise andrehte. In Deutschland stürzte er den Medienriesen Bertelsmann tief in die Schulden, indem er so lange mit einem Börsengang drohte, bis die Eigentümerfamilie Mohn ihm 2006 für 4,5 Milliarden Euro seinen Anteil wieder abkaufte.
80 Prozent
Die bemerkenswerteste Berühmtheit aber erlangte Galtschew. Der gebürtige Georgier ist der erste Industrielle in Russland, dem die dortigen Kartellbehörden die Zerschlagung seines Konzerns androhten. Der Oligarch war in der russischen Kohleindustrie reich geworden und hatte 2002 das Unternehmen Eurocement gegründet, das schnell zum größten Zementhersteller Russlands avancierte. 2005 mussten die Wettbewerbsbehörden einschreiten, weil Galtschew die Preise anhoben hatte – um sagenhafte 80 Prozent.
So herausragende Persönlichkeiten des Wirtschaftsgeschehens wollen sich nun zusammentun, um noch etwas viel Gewaltigeres zu schaffen: den weltgrößten Zementkonzern, der nach dem Zusammenschluss des Weltmarktführers Holcim (Schweiz) und des zweitgrößten Players Lafarge (Frankreich) entsteht. Je zwei der illustren Herren sind Großaktionäre dieser Unternehmen. Das alles geschieht ausgerechnet in einer Branche, die ohnehin von Kartellen und Preisabsprachen geprägt ist.
Zwar jubelten die Investoren und jagten den Aktienkurs von Holcim und Lafarge bei Bekanntgabe der Pläne Anfang der Woche in die Höhe. Weniger freuen können sich jedoch die Abnehmer von Zement. Was ihnen droht, kündigte sich indirekt dadurch an, dass auch die Aktie des deutschen Konkurrenten HeidelbergCement zulegte. Gewöhnlich lassen Großfusionen die Aktien der nicht beteiligten Wettbewerber eher sinken.
Steigende Zementpreise
Für Experten ist die Botschaft des Kurssprungs von HeidelbergCement klar. Das deute darauf hin, „dass die Anleger steigende Zementpreise erwarten“, sagt Justus Haucap, bis 2012 Chef der Monopolkommission in Deutschland. Auf „schlimmstenfalls 25 Prozent“ Preissteigerungen müssten sich Bauträger und die öffentliche Hand einstellen. Auch große Teile der Bauindustrie sind deswegen alarmiert. „Wie die ausgeprägt positive Kursentwicklung der Holcim- und Lafarge-Aktien und anderer Zementproduzenten nach der Ankündigung der Fusion zeigt“, meint ein Top-Baumanager, „erwarten die Märkte allgemein Preiserhöhungen.“
Kein Wunder, denn durch die Megafusion schließen sich die Marktführer zu einem kaum anfechtbaren Giganten zusammen. Holcim mit Sitz in der Schweiz ist mit 71.000 Beschäftigen und rund 16 Milliarden Euro Umsatz Weltmarktführer. Die Nummer zwei, Lafarge aus Frankreich, beschäftigt 65.000 Leute, die 2013 über 15 Milliarden Euro Umsatz machten. Zusammen kommen die beiden Giganten in vielen Ländern auf Marktanteile von über 50 Prozent und weit mehr. „Die Konsolidierung am Zementmarkt könnte die Preismacht der Hersteller steigern, besonders in Westeuropa“, erwarten die Aktienanalysten der Hamburger Berenberg Bank.
Bauwirtschaft ist besorgt
Entsprechend besorgt äußert sich die Bauwirtschaft. Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, glaubt an eine „Verschlechterung für Mittelständler in der Bauwirtschaft, da diese nicht die Chance haben, größere Margen auszuhandeln“. Burkhard Schmidt, Geschäftsführer der Zech Group in Bremen und dort für das internationale Baugeschäft zuständig, weiß aus Erfahrung der vergangenen Jahre, „dass das Entstehen von markdominanten Anbietern zu Preissteigerungen führen kann“. Dadurch entstünde beim Zement „ein unkalkulierbares Kostenrisiko“.
Eigentlich ist die Zementindustrie recht überschaubar. So gibt es in Deutschland 22 Unternehmen, die 55 Werke betreiben und gerade mal 7500 Mitarbeiter beschäftigen. Branchenprimus hierzulande ist HeidelbergCement mit einem weltweiten Umsatz von rund 14 Milliarden Euro. Weitere große Spieler sind Dyckerhoff (1,6 Milliarden Euro) aus Wiesbaden, Schwenk Zement aus UIm (eine Milliarde Euro), gefolgt von den deutschen Tochterunternehmen des mexikanischen Herstellers Cemex sowie den beiden Fusionskandidaten Holcim und Lafarge.
Bedeutung der Zementbranche
Die Bedeutung der Zementbranche für die Volkswirtschaft ist aber weit wichtiger, als diese Zahlen vermuten lassen. Denn ihr Abnehmer, die Bauwirtschaft, ist einer der größten Wirtschaftszweige Deutschlands. Der Anteil der Bauinvestitionen an der gesamten hiesigen Wirtschaftsleistung beträgt knapp zehn Prozent. Preiserhöhungen beim unverzichtbaren Baustoff Zement treffen nicht nur Unternehmen und Häuslebauer. Auch Staat und Steuerzahler zahlen drauf, schließlich kommt die öffentliche Hand für knapp 30 Prozent der Bauumsätze auf.
Während große Baukonzerne genug Marktmacht besitzen, um sich von den Zementlieferanten nicht alles gefallen lassen zu müssen, dürften besonders die vielen kleinen und mittelständischen Baufirmen leiden. Stark betroffen wären auch Spezialisten für den Bau von Betonstraßen, Hallen oder Hochhäusern, weil sie vorwiegend Zement verwenden. Zech etwa könne „die steigenden Zementkosten in der Regel nicht an die Kunden weiterreichen, sagt Geschäftsführer Schmidt, dessen Gruppe zuletzt etwa das Düsseldorfer Prestigeprojekt Kö-Bogen stemmte.
Preisabsprachen der Zementhersteller
Der Bundesgerichtshof erkennt in der „Zementverkaufsstelle Niedersachsen“ eine Tarnorganisation der Branche für unerlaubte Preisabsprachen.
Das Bundeskartellamt verhängt gegen 33 Zementhersteller Bußgelder von umgerechnet 115 Millionen Euro.
Die EU-Kommission verdonnert den europäischen Dachverband, acht nationale Verbände und 33 europäische Zementhersteller zu Geldbußen von umgerechnet rund 250 Millionen Euro. Die Betroffenen hatten seit 1983 Märkte untereinander aufgeteilt und Exporte abgesprochen. In Deutschland waren unter anderem Dyckerhoff, HeidelbergCement und Nordcement an dem Komplott beteiligt.
Ein Kartell von Transportbetonherstellern fliegt auf. Bußgelder in Höhe von umgerechnet rund 125 Millionen Euro, allein 100 Millionen für Readymix, werden fällig.
29 von 30 Zementfirmen, gegen die das Kartellamt ermittelte, geben die Verstöße zu. Daraufhin hagelt es Bußgelder in der Rekordhöhe von 660 Millionen Euro. Der höchste Betrag (250 Millionen Euro) entfällt auf die HeidelbergCement, die bei dem Kartell nach dem damaligen Kartellamtschefs Ulf Böge „eine Führungsrolle“ innehatte, was der Marktführer allerdings bestritt. Gegen Schwenk Zement werden 142 Millionen, gegen Dyckerhoff 95 Millionen Euro und gegen Lafarge Zement 86 Millionen Euro verhängt.
Nach Durchsuchungen 2008 und 2009 leitet die EU-Kommission ein Kartellverfahren gegen sieben europäische Zementhersteller ein, darunter HeidelbergCement.
Nach jahrelangem Rechtsstreit muss HeidelbergCement 160 Millionen der ursprünglich verhängten Summe von 250 Millionen (aus 2003) zahlen.
Die Eigenschaften des Produkts
Die Neigung der Zementhersteller, Marktmacht aufzubauen, vielfach ohne Rücksicht auf das Verbot von Kartellen und Preisabsprachen, resultiert aus den Eigenschaften des Produkts, mit dem sie ihr Geld verdienen. Zement ist eines der ödesten und zugleich häufigsten Produkte der Welt. Außer Wasser wird kein Material auf dem Planeten in größerer Menge verbraucht. Das graue Pulver wird vorwiegend aus Kalksteinen und Ton gemahlen, vermischt mit Wasser, Sand und Kies wird es später zu Beton, dem Synonym für Hässlichkeit und Langeweile. Was aus Sicht der Kunden bei dem homogenen Produkt zählt, ist daher allein der Preis.
Doch wie sich aufreibende Preiskämpfe verhindern lassen, wissen die Zementmanager nur zu gut. Einziger Abnehmer von Zement und dem daraus entstehenden Endprodukt Beton ist die Bauwirtschaft. Die ist regional zersplittert, viele kleine Firmen haben anders als die wenigen Platzhirsche eine schwache Verhandlungsposition gegenüber den Baustofflieferanten. Und so tobt hinter der staubigen Kulisse des ewig gleichen Geschäfts ein gnadenloser Kampf der Lieferanten gegen die Kunden, bei dem die Zementhersteller ihre Claims rund um den Globus abstecken sowie Abbau- und Liefergebiete untereinander aufteilen, damit sie sich nicht in die Quere kommen.
Genormte Ware
Die Branchengrößen wie Holcim, Lafarge oder HeidelbergCement haben kaum Möglichkeiten, sich im Wettbewerb voneinander abzuheben. Ihre Ware ist genormt, Regierungen in den meisten Staaten schreiben vor, wie sie den Baustoff zu mischen haben, um Panscherei und einstürzende Neubauten zu verhindern. Das Reinheitsgebot für Zement lässt den Herstellern kaum Spielraum für Innovation und drückt die Chance auf null, sich als Markenanbieter zu etablieren. Kein Architekt schreibt auf seinen Wolkenkratzer, von welchem Hersteller der Zement stammt, mit dem das Bauwerk geschaffen wurde.
Den Zementlieferanten spielt in die Hände, dass die Werke einen begrenzten Lieferradius von 150 bis 200 Kilometern haben, denn das Material ist schwer und die Transportkosten auf der Straße hoch. Gleiches gilt auch für Transportbeton, der schon wenige Stunden nach Anmischen erstarrt und daher schnell und zur direkten Verarbeitung zur Baustelle gekarrt werden muss. Das ermöglicht beiden, Zement- wie Betonwerken, auf ihrem Gebiet als Monopolist aufzutreten, sofern kein benachbarter Konkurrent dazwischenfunkt. Die Verlockung der Hersteller ist daher groß, Absatzgebiete aufzuteilen, um den Wettbewerb auszuschalten.
Zementbranche im Dauerfadenkreuz der Kartellbehörden
Deshalb befindet sich die Zementbranche weltweit im Dauerfadenkreuz der Kartellbehörden. In Europa haben die beiden Fusionäre Holcim und Lafarge, aber auch Cemex aus Mexiko sowie die deutschen Hersteller HeidelbergCement und Schwenk gerade mal wieder eine juristische Niederlage erlitten. Die EU-Kommission hatte 2010 ein Verfahren gegen die Unternehmen wegen Behinderung des Wettbewerbs gestartet. Dagegen wehrten sich die Verdächtigten juristisch, um den Ermittlern nicht die verlangten Geschäftsdokumente aushändigen zu müssen. Doch im März gab der Europäische Gerichtshof den Wettbewerbsaufsehern recht. Der Abschluss des Verfahrens und die mögliche Höhe der Bußgelder stehen noch aus.
Solche hässlichen Szenen spielen sich in vielen Ländern ab. In Indien haben die Behörden 2012 ein Kartellverfahren gegen die dortige Zementindustrie abgeschlossen und die betroffenen Unternehmen zu Strafen verurteilt. In England hat die Kartellaufsicht 2012 Lafarge dazu verdonnert, nach der Fusion mit der Anglo-American-Tochter Tarmac das größte britische Zementwerk zu verkaufen. Der indische Konzern Lakshmi Mittal griff zu. Nach Ansicht der Aufseher ist der Wettbewerb unter den Zementherstellern auf der Insel aber immer noch nicht intensiv genug, weil die Preise zu hoch seien. Anfang des Jahres haben die englischen Behörden daher angekündigt, dass Lafarge dort weitere Werke abtreten müsse.
Kartellbehörden
Die Hoffnung der betroffenen Bauunternehmen und der öffentlichen Hand, dass die Zementpreise durch die Fusion von Holcim und Lafarge nicht in den Himmel schießen, ruht denn auch auf den Kartellbehörden rund um den Globus. Das gilt vor allem in den Ländern, in denen die beiden Konzerne zusammen auf riesige Marktanteile kommen, etwa auf den Philippinen (64 Prozent), Frankreich (53 Prozent) oder Kanada (54 Prozent). In Deutschland vereinigt das geplante Firmengebilde der vier Zement-Zaren immerhin rund 20 Prozent des Marktes auf sich.
Vor diesem Hintergrund haben die beiden alten und neuen Marktführer vorsorglich angekündigt, Produktionsstätten mit einem Umsatzvolumen von fünf Milliarden Euro abzustoßen. Das soll die Wettbewerbsaufseher gnädig stimmen. Beobachter gehen davon aus, dass es sich bei dem Angebot nur um die unterste Grenze an möglichen Zugeständnissen handelt. Im Fusionsverfahren, dass sich länger als ein Jahr hinziehen wird, müssen beide dann wohl nachlegen. Das war auch bei vergleichbaren Zusammenschlüssen in der Vergangenheit so.
Konkurrent HeidelbergCement
Profiteur der zu erwartenden Trennung von Konzernteilen könnte Konkurrent HeidelbergCement sein. Die Deutschen dürfen sich insgeheim die Hände reiben, denn ihnen winkt im Gegensatz zum mexikanischen Wettbewerber Cemex viel Geld, um sich an Zementwerken von Holcim und Lafarge zu bedienen. Grund: Im zweiten Halbjahr will HeidelbergCement sein Randgeschäft mit Dachziegeln und Betonbauteilen an die Börse bringen oder an einen Finanzinvestor verkaufen. Mit dem Erlös könnte sich das Unternehmen dann auf Kosten von Lafarge und Holcim im Kerngeschäft Zementproduktion verstärken.
Für Holcim und Lafarge bleiben trotzdem Vorteile. Sind sie erst mal unter einem Dach, könnten die Vermählten beim Einkauf, in der Verwaltung und der IT, aber auch beim hoch entlohnten Top-Management die Kosten drücken. Nicht gespart werden solle bei den Mitarbeitern, wie die designierte neue Konzernführung unter Lafarge-Chef Bruno Lafont beteuert.
Bedenken der Belegschaft
Die Belegschaften in Deutschland hegen dennoch Bedenken. „Wir spüren Nervosität bei den Beschäftigten in den deutschen Werken von Holcim und Lafarge“, sagt Harald Schaum, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft IG Bau. „Wir werden aber dafür sorgen, dass die Fusion nicht auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wird.“
Beim Versuch, Holcim und Lafarge zusammenzufügen, müssen sich die vier Zement-Zaren nicht nur auf ihre eigenen Qualitäten verlassen. Ihnen zur Seite steht der scheidende Chef des Münchner Industriegasekonzerns Linde, Wolfgang Reitzle. Der 65-Jährige ist als Präsident des Verwaltungsrats des geplanten Zementgiganten vorgesehen und schweißte Linde 2006 mit einem ebenfalls großen Wettbewerber, dem britischen Industriegasehersteller BOC, zusammen.
„Es ist ein langweiliges, aber stabiles Geschäft“, hat Reitzle unlängst über das Industriegasegeschäft gesagt. Wenn er künftig über LafargeHolcim wacht, käme wohl noch das Prädikat „von Kartellen verseucht“ hinzu.