Landwirtschaft Es steht schlecht um die Schweinebauern

Fallende Preise, Russland-Embargo, wegbrechende Märkte in China – die Schweinebauern stecken in einer Krise. Große Betriebe haben gute Chancen, sie zu überstehen. Kleine bangen um ihre Zukunft.

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Ferkelzucht in Gefahr: Wie Landwirte in der Viehzucht noch über die Runden kommen. Quelle: dpa Picture-Alliance

Wenn Jörg Boves durch seinen Schweinestall geht, vergisst der 46-Jährige seine Sorgen. Dann liegt trotz des strengen Geruchs und der hohen Luftfeuchtigkeit ein Lächeln auf seinen Lippen. Behutsam hebt der zweifache Familienvater ein Ferkel aus dem Stall, streichelt seine noch weichen Borsten und setzt es vorsichtig zu seinen Geschwistern zurück. "Bis zur Rente möchte ich meine Ferkelzucht auf jeden Fall noch weiterführen", sagt Jörg Boves im Gespräch mit WirtschaftsWoche Online entschlossen. Zugleich bilden sich Sorgenfalten auf der Stirn des Landwirtes. Denn leben kann er von seiner Ferkelzucht nicht. Seit einem halben Jahr legt er monatlich 3000 bis 4000 Euro drauf, um seinen Betrieb im nordrhein-westfälischen Kempen zu halten. Bei der Bank hat er sich Geld geliehen, das er noch über einen längeren Zeitraum zurückzahlen muss. „Es liegen noch zehn Jahre Zukunftsangst vor mir“, sagt Boves.

Die Landwirte haben schon viele Krisen erlebt. Aber die Schweinebauern trifft es derzeit besonders hart. Laut dem aktuellen Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes brach der Gewinn der Sauenhalter und Ferkelzüchter 2015 um ein Drittel ein, fast sechs Prozent der Betriebe schlossen. Obwohl die Verbraucher weniger Schweinefleisch kaufen, steigt die Produktion. Die Verbände machen für die Situation die fallenden Preise, strenge Auflagen, schnelle Gesetzesänderungen, das Russland-Embargo und den wegbrechenden Markt in China verantwortlich. Große Betriebe mit einer hohen Produktion haben gute Chancen, diese Krise zu überstehen – kleine, wie der von Jörg Boves, bangen um ihr Überleben.

Autonome Erntehelfer
Eine landwirtschaftliche Maschine auf einem Feld Quelle: Claas
Traktoren mit Lenksystem Quelle: Claas
Agrobot, mechanischer Erntehelfer Quelle: Agrobot
Feldroboter Quelle: David Dorhout
Ein Flugroboter wird über einem Feld fliegen gelassen Quelle: dpa
Satellitenbild Quelle: NASA astronauts
Ein Landwirt ruft Daten in einem Traktor ab Quelle: Claas

Die Konsequenz des Überangebots: Die Preise fallen – 1,40 Euro bekommen die Landwirte pro Kilo Schweinefleisch. Das sind 17 Cent weniger als im Jahr 2014. Laut Experten brauchen die Bauern mindestens 1,65 Euro, um ihre Kosten zu decken. Ein Viertel der insgesamt 25.700 Betriebe deutschlandweit macht deshalb noch Gewinn mit der Schweinehaltung, genauso viele machen aber sieben bis acht Euro Verlust pro Tier, nehmen einen Kredit nach dem anderen auf. "Die meisten Landwirte verschulden sich lieber über beide Ohren anstatt den Betrieb zu schließen", weiß Boves. Hinter der Mehrheit verbirgt sich eine langjährige Familientradition. Die Höfe werden von Generation zu Generation weitervererbt.

Der Urgroßvater von Jörg Boves eröffnete vor 90 Jahren den Familienbetrieb – noch dem klassischen, landwirtschaftlichen Bild entsprechend: mit ein paar Rindern, Hühnern, Schweinen und Ackerland. Doch durch den Wettbewerb musste sich nach einigen Jahren sein Urgroßvater spezialisieren, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Seitdem befindet sich der Familienbetrieb in einem ständigen Wandel.

1992 begann Jörg Boves, Sauen zu halten, um Ferkel zu züchten. Die Tiere lebten auf einer Wiese vor seiner Haustür. Damit war acht Jahre später – mit dem Inkrafttreten der Schweinehaltungshygieneverordnung – Schluss. Boves hatte die Wahl: Entweder er baute einen speziellen Zaun für 216.000 Mark oder er kaufte einen Stall für 260.000 Mark. Boves entschied sich für die teurere Variante. Seitdem leben seine Sauen und Ferkel nur noch im Stall. Ein Jahr später wollte er von 100 auf 300 Sauen aufstocken. "Mein Unternehmen musste wachsen, damit ich mit der Konkurrenz mithalten konnte", sagt Jörg Boves rückblickend. Fünf Jahre dauerte es, bis die Behörden den Bau genehmigten. Die Technik von Jörg Boves ist mittlerweile zehn Jahre alt – und teilweise verschlissen. Neue kann er sich nicht leisten. Deshalb repariert er die Geräte notdürftig.

Seinem Bruder Axel Boves, der wenige hundert Meter entfernt Schweine mästet, geht es wirtschaftlich etwas besser. Er hat sich in den vergangenen Jahren Rücklagen geschaffen, von denen der 37-Jährige seine Familie ernährt. Mit der Tiermast macht er weder Gewinn noch Verlust.

Internationale Märkte brechen weg

Auf dem internationalen Markt stehen die deutschen Schweinebauern etwas besser da als hierzulande, auch wenn der Wettbewerb sich verschärft. Der Export stieg im ersten Halbjahr 2015 um ein Prozent auf fast zwei Millionen Tonnen Schweinefleisch. Fast ein Viertel der EU-Schweinefleischerzeugung entfiel auf Deutschland. Die wichtigsten Ausfuhrländer: Rumänien, Österreich und Polen. Spanien und Polen werden allerdings zu immer stärkeren Mitbewerbern, denn dort gibt es laut Experten weniger Auflagen. "Die deutsche Gesetzgebung ist im internationalen Wettbewerb durchaus ein Standortnachteil", sagt Johannes Simons vom Bonner Lehrstuhl für Marktforschung der Agrar- und Ernährungswissenschaft.

Wenn es um die Wurst geht, ist guter Rat teuer
Fleischkonsum Quelle: dpa
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Ökologische und tiergerechte Landwirtschaft Quelle: dpa/dpaweb

Hinzu kommt, dass die schwächelnde Wirtschaft in China und das Russland-Embargo die deutsche Fleischindustrie unter Druck setzen. Die beiden Weltnationen gehören nicht zu den Hauptimporteuren von deutschem Schweinefleisch. Aber: "Durch den Handel mit asiatischen Ländern und Russland ist es möglich, in Deutschland weniger nachgefragte Teile des Schweins höherwertig zu vermarkten", weiß Simons.

Im Februar 2014 erließ Putin einen Importstopp gegen die EU, weil in Polen die Afrikanische Schweinepest umging – laut Experten ein Vorwand Putins, um den heimischen Agrarsektor zu stärken. Innerhalb der EU traf Deutschland die Sperre am härtesten. Ein Fünftel des in der EU importierten Schweinefleischs in Russland stammte aus der hiesigen Fleischindustrie. Überwiegend fettiges Schweinefleisch, das Deutsche eher selten essen und das die Landwirte deshalb auf dem deutschen Markt nicht loswerden. "Durch das Embargo kommt es in Deutschland zu einem Überangebot, das durch Preiszugeständnisse abgesetzt werden muss", sagt Simons. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen schätzt, dass der Erlös pro Tier vor dem Embargo um drei bis vier Euro höher war.

Und auch mit China fällt ein Abnehmer selten nachgefragter Teile weg. Denn aufgrund der schwächelnden Konjunktur dort sind viele Arbeitnehmer verunsichert, ob sie ihre Jobs behalten. Die Folge: Sie verzichten auf Luxusgüter wie Schweinepfötchen oder -näschen. Dadurch sinken die Preise hierzulande. Denn die Teile des Schweins, die früher nicht verwertet wurden, haben sich in den vergangenen Jahren zu weiteren Einnahmequellen der Schlachthöfe entwickelt, sodass sie den Bauern mehr für ihre Tiere zahlen konnten. Der Export war allerdings nur möglich aufgrund der Masse. "Mit einem kleinen Laster Schweinenäschen lohnt es sich nicht, nach China zu fahren", sagt Simons. Durch den wegbrechenden Markt stiegen also auch wieder die Kosten des Exports – wodurch der chinesische Markt an Attraktivität verliert.

Deshalb müssen andere Absatzmärkte her. Laut dem Situationsbericht des Deutschen Bauernverbandes haben insbesondere Südkorea und Südafrika als Handelspartner an Bedeutung gewonnen. Der Grund: der niedrige Euro im Vergleich zum US-Dollar. Deshalb importierten Südkorea und Südafrika mehr Fleisch aus der EU als aus den USA.

Nur große Betriebe werden überleben

Laut Experten sind die Auflagen und Gesetze ein wesentlicher Grund, dass immer mehr Betriebe in Deutschland dicht machen. Etwa 2000 Verordnungen müssen Schweinebauern, die auch Ackerbau betreiben, einhalten. „Der psychische Stress durch die Auflagen ist größer als der Stress, den man hatte, als man noch schwer körperlich arbeiten musste“, klagt Boves. Besonders zu schaffen macht den Landwirten laut Boves die Düngeverordnung, wonach sie seit 2006 weniger Mist auf ihre Felder ausfahren dürfen. Die Folge: Die Bauern müssen weit entfernte Flächen pachten, wo sie den Tierkot entsorgen oder ihn für einen Preis zwischen 8 und 18 Euro pro Kubikmeter von einem Spezialdienst entsorgen lassen. Das erhöhe wiederum die Produktionskosten. "Nun ist wieder eine Verschärfung der Verordnung geplant, die voraussichtlich im nächsten Jahr in Kraft tritt. Sie macht uns zur Zeit sehr viel Sorge", sagt Boves. Gleichzeitig rückten ihnen Umweltorganisationen auf die Pelle, die den unangenehmen Geruch und die Tierhaltung bemängelten. "Umweltschutz und Tierschutz stehen im Widerspruch zueinander", stöhnt Jörg Boves. Indem er Umweltauflagen erfülle, fühlten sich Tierschützer diskriminiert – und andersherum genauso. "Als Schweinebauer ist man der Prügelknabe der Nation."

Viele Landwirte schrecken diese Gesetze im Gegensatz zu Boves ab – besonders, wenn neue in Kraft treten. "Immer wenn Übergangsfristen für neue Auflagen auslaufen, stehen die Landwirte vor der Entscheidung, ob sie in neue Technik investieren, um weiter zu produzieren oder ihren Betrieb aufgeben", sagt Simons. 2013 sei beispielsweise eine neue Vorschrift für die Haltung von Sauen in Kraft getreten, sodass die Landwirte ihre Ställe umbauen mussten. Die Konsequenz: Die Mehrheit der großen Betriebe macht weiter, viele kleine schließen. Simons hält diese Entwicklung aber nicht für ungewöhnlich. "Die Schweinebauern sind in einer schwierigen Situation", sagt Simons. "Dass immer mehr Betriebe schließen, ist das Ergebnis des Wettbewerbs, auch wenn viele die Entwicklung auf dem Markt als nicht wünschenswert betrachten." Diejenigen, die zu den geringsten Kosten produzieren und den technischen Fortschritt umsetzen, überleben nach Meinung von Simons.

Jörg Boves sieht das etwas anders. Er ist überzeugt, dass der Schweinezyklus aus bleibt. Bislang war es so, dass Landwirte bei hohen Marktpreisen genug Geld zur Seite legen konnten, um in neue Technik zu investieren. Die Folge: Sie produzierten mehr Tiere. Dadurch fiel der Marktpreis – und die Landwirte reduzierten ihr Angebot. Dadurch stieg wiederum der Preis – und der Kreislauf schloss sich. Doch mittlerweile kann Boves kein Geld mehr zurücklegen, um in seinen Betrieb zu investieren. Die Preise sind schon zu lange zu niedrig. „Es bleibt keine Zeit mehr, Kraft zu schöpfen“, sagt Jörg Boves.

Und der psychische und finanzielle Druck wird sich laut Experten auch in den kommenden Jahren verschärfen. Simons geht davon aus, dass auf die Landwirte weitere Kosten zukommen werden: zum Beispiel wegen baulicher Standards, Umwelt- oder Tierschutz. "Sollten neue Auflagen nur in Deutschland eingeführt werden, könnten sie die Stellung der hiesigen Fleischwirtschaft im weltweiten Wettbewerb erheblich verschlechtern", sagt Simons. Schließlich ist Deutschland angewiesen auf den Export – insbesondere in Drittländer, wo die Eigenversorgung gering ist. "Die Politik muss eine Exportstrategie entwickeln und umsetzen", fordert deshalb schon jetzt der Bauernverband. Durch eine Kooperation – zum Beispiel beim Aushandeln von Veterinärabkommen oder dem Abbau von Handelsbarrikaden – könnten fremde Märkte schneller erschlossen werden.

Davon würden zumindest die nachfolgenden Generationen von Jörg und Axel Boves profitieren. Sie planen, ihre Betriebe an ihre Kinder, die jetzt noch in den Kindergarten und zur Schule gehen, weiterzuvererben – vorausgesetzt, die Höfe halten sich bis dahin. Zehn Jahre muss Jörg Boves noch seinen Kredit abbezahlen. Dann braucht er spätestens auch einen neuen Stall – und müsste sich neues Geld bei der Bank leihen. Er will dann noch zehn Jahre bis zur Rente weiter in seiner Ferkelzucht arbeiten. Aber einen Kredit aufnehmen? "Nein, dieses Risiko gehe ich nicht noch einmal ein", sagt er fest entschlossen. Wie er dann weitere zehn Jahre in dieser Branche bestehen will? Ratloses Schulterzucken.

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