Linde-Fusion Der neue Chef will Bedenken zerstreuen

Praxair-Vorstandschef Steve Angel spricht von einem historischen Moment für beide Firmen. Doch wer ist der Amerikaner, der den fusionierten Gasekonzern künftig führen soll?

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Linde-Chef Aldo Belloni (l) und Praxair-Chef Steve Angel bei der Besiegelung der Fusion mit Praxair. Quelle: dpa

Auch für Steve Angel dürften die vergangenen Tage alles andere als entspannt gewesen sein. Zehn Stunden diskutierte der Linde-Aufsichtsrat am Donnerstag dieser Woche, eher das Kontrollgremium sein Plazet für die Fusion mit dem US-Konzern Praxair gab – ein nervenaufreibender Prozess. Am Freitag in aller früh ist Angel dann zusammen mit Linde-Chef Aldo Belloni nach Pullach zu einem Townhall-Meeting mit Linde-Mitarbeitern gefahren. In der Stadt nahe München betreibt der Gasekonzern eine große Fertigung der Anlagenbau-Sparte.

Jetzt, am späten Freitagvormittag, sitzt der Praxair-Chef entspannt im Münchner Edelhotel Vier Jahreszeiten. Der Amerikaner trägt eine eisgraue Krawatte zum ebenso eisgrau und akkurat gescheitelten Haar. Der Saal ist in blaues, weißes und grünes Licht getaucht, die Farben von Linde und Praxair. Es sei eine „offene und sachliche“ Diskussion mit den Linde-Mitarbeitern in Pullach gewesen, versichert der Amerikaner und fügt hinzu: „Es gibt, was mich angeht, keine geheime Agenda.“

Angel, 61, soll den neuen Industriegasekonzern mit dann rund 27 Milliarden Euro Umsatz und fast 90.000 Mitarbeitern führen, wenn die Fusion im kommenden Jahr abgeschlossen ist. Jetzt, bei seinem Besuch in München, versucht er Bedenken zu zerstreuen, denn es gibt Vorbehalte gegen den Amerikaner, der seit gut zehn Jahren an der Spitze von Praxair steht. Er werde einen „kommunikativen Stil“ pflegen und die Mitarbeiter einbinden, verspricht der Mann aus der Stadt Winston-Salem in North-Carolina.

Die Historie der Linde Group

Es sind Beruhigungspillen, gedacht für die deutschen Linde-Mitarbeiter und ihre Vertreter, die zuletzt massiv Front gemacht hatten gegen die Fusion ihres Unternehmens mit Praxair. Sie fürchten um ihre Jobs; fünf der sechs Arbeitnehmervertreter stimmten am Donnerstag im Aufsichtsrat denn auch gegen den Zusammenschluss mit dem US-Konzern.

Äußerungen von Angel vor einigen Monaten in den USA hatten den Widerstand verschärft. Da hatte der Praxair-Chef gesagt, natürlich säßen die Amerikaner in dem fusionierten Unternehmen „im Fahrersitz“. Und der dann weltgrößte Anbieter von Industriegasen wie Acetylen, Stickstoff oder Sauerstoff werde nach dem amerikanischen „operativen Modell“ geführt. Dabei verkaufen beide Unternehmen den Zusammenschluss in der Öffentlichkeit unentwegt als „Fusion unter Gleichen“.

Jetzt, da Angel sich in München den Fragen der deutschen Öffentlichkeit stellen muss, versucht er zu relativieren. Die Äußerungen habe er vor amerikanischen Praxair-Mitarbeitern gemacht. Bei denen habe es nämlich Sorgen gegeben, nach dem Merger werde sich das Modell, nach dem der Konzern geführt wird, komplett ändern. Die Bedenken wollte der Praxair-Chef zerstreuen – und erklärt in München schon mal: „Ich bin jetzt der CEO.“ Gemeint ist der Chefposten des fusionierten Konzerns, obschon es den noch gar nicht gibt.

Mit Widerstand der deutschen Linde-Belegschaft hatte Angel von Anfang an gerechnet. „Wir wussten, dass es Teil des Prozesses sein würde“, sagt der Amerikaner. Wo ist das Problem? Überall auf der Welt hätten Arbeiter das Recht zu protestieren, so Angel.

Letzte Hürden vor dem endgültigen Abschluss

Linde, 1879 von Carl von Linde gegründet, ist ein durch und durch globales Unternehmen. Fast alle Aktionäre des Münchner Traditionskonzerns sitzen außerhalb Deutschlands. Mehr als 90 Prozent seines Umsatzes erwirtschaftet Linde im Ausland; nur zehn Prozent der Linde-Belegschaft arbeitet in Deutschland. Praxair dagegen macht sein Geschäft hauptsächlich in den USA und Lateinamerika, und Angel ist ganz und gar Amerikaner.

An der North Carolina State University schloss der Praxair-Chef 1977 ein ingenieurwissenschaftliches Studium ab. Später setzte er in Baltimore einen MBA drauf. Doch der sportliche Manager hat sich auch schon die Hände schmutzig gemacht. Sein erstes Geld verdiente Angel auf Baustellen, wo er Backsteine für den Hausbau zurechtschnitt. Mehr als zwei Jahrzehnte seines Berufslebens verbrachte Angel bei dem amerikanischem Technologiekonzern GE, vor allem im Vertrieb und Marketing. 2001 kam er zu Praxair, 2007 übernahm er den Chefsessel.

Diesmal stimmt fast alles

Immer mal wieder in den vergangenen Jahrzehnten, erzählen Angel und Linde-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle heute, hätten sie die Möglichkeiten einer Fusion ausgelotet. Nie hätten die Bedingungen und das Umfeld wirklich gestimmt. Jetzt stimmt offenbar alles.

Fast. Denn bevor der Zusammenschluss in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres abgeschlossen werden kann, müssen die Unternehmen mit 25 verschiedenen Wettbewerbsbehörden verhandeln. Das Kartellrecht ist eine nicht zu unterschätzende Hürde bis zum endgültigen Abschluss. Vor allem in den USA und Südamerika gibt es Überlappungen von Aktivitäten beider Hersteller. Linde hat in den vergangenen Jahren in den USA kräftig investiert. Im Rahmen der Verhandlungen für die Fusionsvereinbarung, das so genannte Business Combination Agreement, haben sich beide Unternehmen vorsorglich auf eine Obergrenze für eventuelle Verkäufe von Geschäften verständigt. Müsse man zuviel an Aktivitäten veräußern, habe der Deal irgendwann keinen Sinn mehr, heißt es bei Linde.

Linde-Chefkontrolleur Reitzle indes will nun erstmal einen Schlussstrich unter die Querelen mit den Arbeitnehmervertretern ziehen. Er spricht von einem „Pakt“, den es jetzt gebe; am Abend nach Ende der entscheidenden Aufsichtsratssitzung habe „Konsens“ geherrscht, behauptet Reitzle, um dann zu einem Seitenhieb gegen Gewerkschaften und Betriebsräte auszuholen: „Ich glaube, dass ein paar Beteiligte sich ein bisschen verrannt hatten und da nicht mehr raus kamen“, sagt er mit Blick auf den massiven Widerstand der Arbeitnehmervertreter.

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