Linde Wolfgang Reitzles Griff nach der Weltherrschaft

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Nicht nur vom Ego getrieben

Dabei war Reitzle stets für seinen Pragmatismus bekannt. In den Jahren bis 2014, als Vorstandschef bei Linde, hat er aus dem margenschwachen Gasehersteller einen profitablen und schlagkräftigen Konzern geformt, hat das Geschäft mit Gabelstaplern verkauft und durch geschicktes Taktieren 2006 den britischen Konkurrenten BOC übernehmen können.

Umsatz und operativer Gewinn der Linde AG weltweit

Doch mit dem Erfolg kam auch die Arroganz. So entwickelte er etwa zu den in Deutschland geltenden Regeln guter Unternehmensführung (Corporate Governance) eine recht eigenwillige Haltung. 2013 erklärte er ausführlich, warum die Regel, wonach ein Vorstand nicht direkt in den Aufsichtsrat wechseln soll, für ihn nicht gelten muss. Schließlich sei er nicht als „Underperformer der deutschen Wirtschaft“ bekannt.

Menschen, die ihn kennen, sagen ihm extremen Ehrgeiz nach. Bei den Spezialtouren etwa, die Bergsteigerlegende Reinhold Messner für Topmanager anbietet, marschiert Reitzle stets vornweg, berichtet ein Teilnehmer. Treffe man sich um vier in der Früh, stehe Reitzle zehn Minuten vorher in perfekt sitzender Montur und mit sauber gepacktem Rucksack am Treffpunkt.

Reitzle will sich nicht ausbremsen lassen

Fährt er mit Freunden Ski und stürzt, ergeht er sich, statt lässig darüber hinwegzugehen, in ausführlichen Erklärungen darüber, warum der Sturz gerade an der Stelle nahezu unausweichlich war. Als Hobbywinzer auf seinem Weingut in der Toskana legt Reitzle den gleichen Perfektionismus an den Tag wie im Berufsleben. Gerade wegen dieser Neigung dürfte den erfolgsverwöhnten Manager die vertrackte Situation im Fusionspoker doppelt nerven.

Die Fusion mit Praxair sei ja längst nicht nur von seinem Ego getrieben. Bei 28 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ließe sich eine Milliarde Euro Synergien heben, hat die Konzernspitze errechnet. Deshalb sind die Investorenvertreter im Aufsichtsrat auch für den Zusammenschluss. Die Gewerkschaften aber fürchten, die Synergien könnten vor allem bei Linde gehoben werden. Schon jetzt läuft bei dem Gasekonzern ein Effizienzprogramm, das 370 Millionen Euro an Einsparungen bringen soll. Allein in Deutschland wollen die Münchner 950 Stellen abbauen. Kritiker der Fusion aus dem Arbeitnehmerlager weisen zudem darauf hin, dass Linde für seine Aktionäre mehr Wert schaffen könnte, wenn der Konzern Baustellen wie den schwächelnden Anlagenbau selbst in Ordnung bringt.

Doch das ist aus der Perspektive eines Wolfgang Reitzle Kleinkram. Er will den weltgrößten Anbieter von Industriegasen schmieden – als wohl letzte Möglichkeit, sein Lebenswerk zu krönen.

Dieses Werk soll nicht gefährdet werden, auch nicht von ein paar Bedenkenträgern im Betriebsrat.

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