Linde vs. Air Liquide Geräuschlos gegen extrovertiert

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Der unauffällige Rivale

Benoit Potier Quelle: AP

Reitzle-Rivale Potier dagegen setzt auf innere Werte und Tradition. Der gebürtige Elsässer braucht weder Öffentlichkeit noch Machtsymbole. Vor 15 Jahren wurde er Generaldirektor des Weltmarktführers Air Liquide. 2006 stieg er zum Président Directeur Général (PDG) auf und damit zum unumschränkten Machthaber über eines der wichtigsten Unternehmen im französischen Börsenleitindex CAC 40.

Auch wenn er keine der bekannten französischen Hochschulen wie ENA oder École Polytechnique absolviert hat, ist der 55 Jahre alte Potier doch ein typisches Produkt französischer Elite-Bildung. Der gertenschlanke Ingenieur mit dem stets tadellosen Krawattenknoten besuchte nach der École Centrale des Arts et Manufactures in Paris die renommierte Managementschule Insead in Fontainebleau. Ein Gesellschaftslöwe war Potier nie: Er ist unauffällig und unspektakulär, solide und effizient.

Wandel bei Reitzle

Möglicherweise hat Reitzle von Potier gelernt, dass ein Glamour-Image beim Gase-Verkauf wenig nützt. Seit er zu Linde wechselte, beobachten Weggefährten einen Wandel bei dem 63-Jährigen. Er gibt sich solide, unauffällig und hat seinen Konzern fast geräuschlos auf Wachstum und Nachhaltigkeit getrimmt.

Im Bemühen zu wachsen, sind sich der Franzose und der Deutsche dagegen ähnlich. Nach seinem bisher größten Coup, der Übernahme von BOC, konzentrierte sich Reitzle zunächst auf den Abbau der Schulden, suchte dann aber nach neuen Geschäftsfeldern. Die Alterung der Gesellschaft öffnet so ein Zukunftsfeld, weil damit der Bedarf an Dienstleistungen im Gesundheitswesen rasant wachsen dürfte. Mit Macht trieb der Linde-Chef darum das Geschäft mit medizinischen Gasen voran, beispielsweise zur Sauerstoff-Versorgung von Patienten, die an Atemnot leiden.

Folgerichtig übernahm Reitzle im Januar vom US-Industriegasespezialisten Air Products & Chemicals dessen Sparte für häusliche Pflege. Mit der Integration von Lincare würde Linde das US-Geschäft mit medizinischen Gasen für den Heimgebrauch auf einen Schlag verdreifachen. Lincare versorgt in den USA rund 800 000 Patienten. Die Übernahme wäre für Reitzle der krönende Abschluss seines Schaffens bei Linde, bevor sein Vertrag 2014 ausläuft.

Kranke als neue Kunden

Ob Linde Air Liquide bis dahin wirklich abgehängt hat, ist aber noch nicht sicher. Denn auch Potier ist für überraschende Deals gut. In Deutschland kaufte Air Liquide vor einigen Jahren den Industriegasehersteller Lurgi sowie einen großen Teil von Messer Griesheim. Dass Air Liquide dadurch einer der Big Player im deutschen Gasegeschäft wurde und hier Umsätze erzielt, die etwa zwei Drittel des französischen Volumens erreichen, wissen östlich des Rheins nur Insider. Zukünftige Übernahmemöglichkeiten sieht Potier, wenn Unternehmen ihre eigenen Gaseaktivitäten outsourcen und im Gesundheitssektor. Auch der Franzose hat Kranke und Gebrechliche als neue Kunden erkannt. Derzeit kauft er für 316 Millionen Euro die LVL Medical Groupe in Lyon. Das Unternehmen hat seinen Schwerpunkt in Sauerstoffgeräten für die häusliche Pflege.

Nicht ausgeschlossen, dass der Wettkampf Reitzle versus Potier sowieso ohne Sieger endet. Denn anders als der Franzose gilt sein deutsches Pendant immer noch als potenzieller Wechselkandidat. Vorausgesetzt, ihm bieten sich größere Aufgaben.

2007 war es fast so weit, als Siemens, erschüttert von einem Korruptionsskandal, einen neuen Vorstandsvorsitzenden brauchte. Der damalige Deutsche-Bank-Chef und Siemens-Kontrolleur Josef Ackermann empfahl Reitzle, Siemens-Aufsichtsratschef Gerhard Cromme entschied dagegen, weil er ihn für zu extrovertiert und schwer kontrollierbar hielt, wie Siemens-Insider berichten. Beim nächsten Mal könnten die Chancen besser stehen.

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