Lkw-Boom im Nahen Osten „Auf unseren Stühlen sitzen die Chinesen“

Der Nahe Osten steht nach der Aufhebung der Iran-Sanktionen vor einem Lkw-Boom. Hersteller wie Daimler erwarten kräftiges Wachstum. Doch in ihrer Abwesenheit hat sich bereits ein aggressiver Konkurrent breit gemacht.

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Der Iran und seine Nachbarländer brauchen eine effiziente Transportflotte, um die teilweise mehr als 40 Jahre alten Laster abzulösen. Quelle: Imago

München Wolfgang Bernhard hatte es sehr eilig. Kaum waren Mitte Januar die Sanktionen gegen den Iran beendet, da flog der Truck-Chef von Daimler schon nach Teheran. „Es ist immer noch alles da, um Lastwagen zu bauen“, berichtete Bernhard. Sehr schnell soll die Lastwagen-Produktion mit dem iranischen Partner Khodro wieder aufgenommen werden.

Aber ein Selbstläufer wird der Markteintritt nach sechs Jahren Abwesenheit nicht. „Auf unseren Stühlen sitzen jetzt die Chinesen“, sagt Bernhard. Die Konkurrenz aus Fernost habe die Abwesenheit der westlichen Anbieter genutzt, um sich starke Positionen aufzubauen.

Der Iran und der gesamte Nahe Osten gelten als die neue Wachstumsregion der Lkw-Hersteller, die in diesen Tagen auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover ihren Branchentreff abhalten. Während Südamerika weiter in der Krise versinkt, dürfte der Markt im Nahen Osten nach einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little in den kommenden zehn Jahren um fünfzig Prozent zulegen.

Vor allem die politische Öffnung des Iran, aber auch die wirtschaftliche Modernisierung Saudi-Arabiens könnten im Nahen Osten in den kommenden Jahren zu einem Lastwagen-Boom führen. Demnach wird der Verkauf von mittelschweren und schweren Lastwagen in den kommenden zehn Jahren besonders stark zulegen.

Der Iran und seine Nachbarländer brauchen eine effiziente Transportflotte, um die teilweise mehr als 40 Jahre alten Laster abzulösen. Und das Potenzial in der Region könnte noch größer sein: Ein möglicher Wiederaufbau der heutigen Bürgerkriegsländer Syrien, Irak und Jemen ist in diesen Prognosen noch gar nicht eingerechnet.

Während sich vor Beginn der Sanktionen gegen den Iran westliche Hersteller wie Volvo, Daimler und die VW-Tochter MAN die Region aufteilten, haben die Chinesen die Abwesenheit ihrer Konkurrenten genutzt. Allen voran Dongfeng, aber auch Sinotruck haben im Iran, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten starke Positionen eingenommen.

Waren die Chinesen vor zehn Jahren noch die Billigheimer der Nische, so liegt ihr Anteil in der Region über alle Segmente bei mittlerweile gut 40 Prozent. „Die chinesischen Trucks schaffen es immer besser, die Anforderungen der Kunden in der Region zu bedienen“, stellen die Experten von Arthur D. Little fest. Die neuen Anbieter aus Fernost bieten verlässliche Technik zu fairen Preisen. Und sie beginnen Servicestrukturen aufzubauen, eine wichtige Vorrausetzung für dauerhaften Erfolg im Lkw-Geschäft.


Die Distanzen sind lang, die Berge steil

Für die europäischen Hersteller ist diese Entwicklung eine besondere Herausforderung: Erstmals treffen sie mit den Chinesen auf dem Weltmarkt auf Augenhöhe zusammen. Das war bisher weder in Europa noch in China der Fall. In Europa sind Sicherheits- und Abgasvorschriften eine noch unüberwindliche Hürde. Und in China hat die Regierung beide Seiten in Joint Ventures zur Zusammenarbeit verdonnert.

Doch die Chinesen haben in den Gemeinschaftsunternehmen die Technik ihrer westlichen Partner übernommen. Im Nahen Osten können sie nun ihre neu gewonnenen Fertigkeiten einsetzen. Das hat aus Sicht von Arthur D. Little Präzedenzcharakter: Gelingt es den Chinesen hier, sich gegen die immer noch höherwertige Technik ihrer westlichen Konkurrenten durchzusetzen, dann haben sie auch in anderen Schwellenmärkten wie Afrika oder Südamerika gute Chancen. In beiden Regionen dienen sich die Chinesen zudem als politische Partner und Investoren für Infrastrukturprojekte an.

Doch der Markt im Nahen Osten ist anspruchsvoll. Lastwagen im Iran oder Saudi-Arabien müssen andere Anforderungen erfüllen als die im Westen: Die Distanzen sind lang, die Berge steil, Hitze und Sand schaden den Motoren. Die Trucks müssen in diesen Bedingungen öfter gewartet werden als in Europa. Hinzu kommt die mangelnde Sicherheit auf den Straßen und die meist kaum vorhandene Ausbildung der Fahrer, oft eingewanderte Gastarbeiter aus Pakistan oder Indien. Die hoch entwickelten Cockpits und Assistenzsysteme westlicher Trucks sind hier eher hinderlich, einfache Bedienungsmuster sind gefragt.

Doch die Anforderungen ändern sich. „Der Markt verschiebt sich von einfachen Lastwagen zu hoch qualitativen Fahrzeugen“, sagen die Experten von Arthur D. Little. Waren bislang vor allem Billigtrucks und Baustellenfahrzeuge gefragt, so verlangen diese Länder nun zunehmend hochwertige Lastwagen, beispielsweise für Kühltransporte für die wachsende Mittelschicht im Iran, dessen Bevölkerung fast so groß ist wie die in Deutschland. Im Iran soll die Lkw-Nachfrage in den kommenden zehn Jahren um 63 Prozent zunehmen, in der Türkei um 48 Prozent, Saudi-Arabien soll um 40 Prozent wachsen.

Eine offene Situation also für Hersteller wie Daimler, MAN und deren Zulieferer. „Was in den kommenden zehn Jahren im Lkw-Markt im Nahen Osten geschieht, hat Auswirkungen für alle Hersteller, ihre Zulieferer und industriellen Anteilseigner“, schließt Arthur D.Little.

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