Matthias Zachert Dem neuen Lanxess-Chef droht ein böses Erwachen

Matthias Zachert ist der Beste, um den havarierten Lanxess-Konzern flottzukriegen. Doch das reicht womöglich nicht, um die Selbstständigkeit der Chemiefirma zu erhalten.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Mann für alle Krisen: Lanxess-Chef Zachert plant Stellenabbau und Schließungen von Anlagen. Quelle: dpa

Das schöne, alte Haus nahe der Mainzer Oberstadt war bezugsfertig, die Möbelspedition bestellt. Am nächsten Tag wollte Matthias Zachert, zu jener Zeit Finanzvorstand beim Pharmakonzern Merck in Darmstadt, mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern dort einziehen. Zweieinhalb Jahre hatte er seine Lieben fast nur an den Wochenenden gesehen: Der Mittvierziger lebte allein in Darmstadt, Frau und Kinder waren in Bonn geblieben.

Doch dann klingelte Zacherts Handy. Ob er sich vorstellen könne, Vorstandschef bei Lanxess zu werden? Am anderen Ende der Leitung war Rolf Stomberg, der Aufsichtsratsvorsitzende des Kölner Chemiekonzerns. Der wollte nicht länger zusehen, wie der damalige Vorstandsvorsitzende Axel Heitmann das Dax-Unternehmen nahezu unbeirrt in die roten Zahlen steuerte – am Ende stand für 2013 ein Jahresverlust von 159 Millionen Euro in den Büchern. Zachert, so lockte Stomberg seinen Wunschkandidaten, habe ja schon als Lanxess-Finanzvorstand von 2004 bis 2011 einen guten Job gemacht.

Die 10 umsatzstärksten deutschen Chemiekonzerne 2013
Platz 10Beiersdorf AGUmsatz: 6.141 Mio. EuroBeschäftigte: k.A.Quelle: Verband der Chemischen Industrie e.V. Quelle: dpa
Platz 9Lanxess AGUmsatz: 8.300 Mio. EuroBeschäftigte: 17.000 Quelle: dpa
Platz 8Merck KGaAUmsatz: 11.095 Mio. EuroBeschäftigte: 38.154 Quelle: dpa
Platz 7Evonik Industries AGUmsatz: 12.874 Mio. EuroBeschäftigte: 32.995 Quelle: dpa
Platz 6Boehringer Ingelheim GmbHUmsatz: 14.065 Mio. EuroBeschäftigte: 47.492 Quelle: dpa
Platz 5Henkel AGAktiengesellschaft & Co. KGaAUmsatz: 16.355 Mio. EuroBeschäftigte: 46.850 Quelle: dpa
Platz 4Linde AGUmsatz: 16.655 Mio. EuroBeschäftigte: 63.487 Quelle: dpa

Das war kurz vor Weihnachten. Vier Wochen später sagte der Umworbene zu. Statt nach Mainz, zog die Familie Anfang des Jahres gemeinsam nach Bonn. Seitdem versucht der 46-Jährige, bei dem kranken Kölner Konzern zu retten, was zu retten ist. Zachert kennt Lanxess (Umsatz 2013: 8,3 Milliarden Euro, minus neun Prozent gegenüber Vorjahr) aus dem Effeff, kann gut mit Mitarbeitern und Investoren umgehen, gilt als gewiefter Verhandler bei Übernahmen und ist krisenerprobt. Für den Sanierer-Job ist der 46-jährige Langläufer darum der denkbar beste Mann, um wie angekündigt Arbeitsplätze in Verwaltung und Produktion zu streichen, Investitionen zu kürzen, Anlagen stillzulegen und neue Partner für das kriselnde Kautschukgeschäft zu suchen.

Und doch droht Zachert die Rolle des tragischen, weil letztlich ohnmächtigen Helden. Denn obwohl er alles für Lanxess gibt – es könnte am Ende nicht reichen, um den Chemiekonzern als prosperierendes überlebensfähiges Gebilde zu erhalten. Womöglich endet Zacherts Mission sogar mit einer bitteren Pointe: nämlich dass Lanxess aus purer Not in einigen Jahren mit den verbliebenen Chemiegeschäften des Bayer-Konzerns fusionieren müsste. Die Leverkusener hatten 2005 ihre damals weitgehend wertlosen Chemiebestände in eine neue unabhängige Gesellschaft namens Lanxess ausgegliedert und an die Börse gebracht.

Bittere Pointe Bayer

Gemeinsam könnten beide Unternehmen Kosten sparen, und zudem würden sich die Produkte gut ergänzen, schließlich haben sie ja einmal zusammengehört. Auch zeitlich würde es passen: Die Entscheidung über die Zukunft des vergleichsweise renditeschwachen Bayer-Chemiegeschäftes wird ab 2015 erwartet.

Ehemalige Resterampe zu Problemsparte; die Sanierung müsste von Neuem starten. Nicht gerade betörende Aussichten.

Entwicklung des Lanxess-Aktienkurses seit der Erstnotierung 2005. (zum Vergrößern bitte anklicken)

Noch ist das nur ein Szenario. Tatsache ist aber, dass wichtige Trends gegen Lanxess laufen, die Zacherts Sanierungserfolge unterminieren können:

- Beim Kautschuk, dem ebenso wichtigsten wie kranken Standbein von Lanxess, gibt es Überkapazitäten, weil neue Wettbewerber insbesondere aus China auf den Markt drängen. Dabei profitieren sie oft „vom staatlich subventionierten Zugang zu Rohstoffen“, stöhnt ein Lanxess-Manager. Bei Überkapazitäten von derzeit etwa 20 Prozent im Markt lassen sich höhere Preise kaum durchsetzen.

- Wegen Produktionsumstellungen bei den Herstellern drohen wichtige Ausgangsstoffe für die Kautschukproduktion wie Butadien weltweit knapper zu werden. Lanxess stellt seine Rohstoffe nicht selbst her und muss sich somit auf steigende Preise einstellen.

- Weil in den USA die Schiefergasförderung boomt und diese in Deutschland sowie in Europa nicht erlaubt ist, liegen die Energiepreise in den Vereinigten Staaten um zwei Drittel niedriger als hierzulande. „Für europäische Unternehmen hat sich das Wettbewerbsumfeld damit ganz klar verschärft“, räumt Zachert selber ein, „wir werden gegenwärtig massiv im Vergleich zu amerikanischen und asiatischen Rahmenbedingungen benachteiligt.“

Grundlegende Neuausrichtung

Natürlich wird der neue Lanxess-Chef alles tun, um die bittere Pointe abzuwenden. Kaum 100 Tage im Amt, hat Zachert sich als harter Entscheider etabliert, der etwa massive Investitionskürzungen vornehmen will. 2013 steckte Lanxess 624 Millionen Euro in seine Anlagen, mehr als sieben Prozent vom Jahresumsatz. Vor allem die neuen Produktionsstätten in China und Singapur rissen ein Loch in die Kasse. Allein die Anlage in Singapur, die die Kautschukwelt nicht wirklich braucht, kostete 400 Millionen Euro. Bis 2015 will Zachert die Ausgaben auf unter 600 Millionen Euro drücken, 2016 will er nur noch zwischen 400 und 500 Millionen Euro freigeben.

Auch die Zahl der Geschäftseinheiten streicht er zusammen, von 14 auf 10, zahlreiche Führungspositionen werden neu besetzt. Vorstandsmitglied Werner Breuers, bereits unter Vorgänger Axel Heitmann für das kriselnde Kautschukgeschäft verantwortlich, verließ vor wenigen Tagen den Vorstand.

Tal der Tränen

Bei der Auswahl seiner Berater setzt der neue Lanxess-Chef dabei statt auf McKinsey, die Zachert von seinem früheren Arbeitgeber Merck gut kannte, auf den Wettbewerber Boston Consulting Group (BCG). Offenbar war deren Angebot deutlich stärker auf die speziellen Lanxess-Erfordernisse zugeschnitten. Seit dem Frühjahr ist die von BCG-Partner Udo Jung angeführte Beratertruppe am Werk, lotet Sparmöglichkeiten aus, prüft die Profitabilität von Standorten und die Chancen für Zu- und Verkäufe oder Joint Ventures.

Zacherts heikelste Aufgabe ist dabei der Abbau von Arbeitsplätzen. Dazu verhandeln er und seine Vorstandskollegen gerade mit den Arbeitnehmervertretern. Über die genauen Pläne lässt sich der Lanxess-Chef nichts entlocken. Fest steht jedoch, dass Zachert Jobs in den Büros kappen wird. Unter seinem sonnenkönigähnlichen Vorgänger Heitmann stiegen in den vergangenen vier Jahren die Verwaltungskosten um fast 50 Prozent – von 666 Millionen 2009 auf 958 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Allein in den zentralen Konzernfunktionen wie etwa Controlling, Steuern oder Personal müssen nun rund 1.000 Mitarbeiter in Deutschland um ihre Jobs zittern. Weitere Stellenstreichungen dürfte es dort geben, wo Kautschuk produziert wird – das ist vor allem im Ausland, in Lateinamerika und China etwa.

Abhängig vom Auto: Umsatzanteile nach Branchen (in Prozent). (zum Vergrößern bitte anklicken)

Die Mitarbeiter hat Zachert jedenfalls auf ein „Tal der Tränen“ und eine Durststrecke von zwei, drei Jahren eingeschworen. Solche klaren Aussagen kamen offenbar an in der Belegschaft. Als Zachert vor einigen Wochen bei einer Betriebsversammlung in Leverkusen klarmachte, dass es ohne Personalabbau nicht geht, applaudierten viele Mitarbeiter.

Ebenso kam bei vielen Lanxesslern an, dass ihr neuer Chef nicht wie vereinbart am 1. April in der Konzernzentrale am Köln-Deutzer Rheinufer aufschlug, sondern bereits im März. Dafür opferte Zachert, trotz Familie, seinen Resturlaub, der ihm von seinem früheren Arbeitgeber Merck noch zustand. Positiv fiel auch auf, dass Zachert in den ersten Tagen seiner Amtszeit die Rundtour durch alle Flure des 20-stöckigen Towers machte, um sich den Mitarbeitern persönlich vorzustellen und im Gespräch an alte Zeiten anzuknüpfen.

Um Lanxess nach vorne zu bringen, sondiert der Vorstandsvorsitzende gleichzeitig Kooperationen und Zukäufe. Hauptproblem ist die starke Kautschukabhängigkeit von der Auto- und Reifenindustrie, die sich für Lanxess als Klumpenrisiko erwiesen hat (siehe Grafik). Um das zu verringern, plant Zachert einerseits die Übernahme kleiner bis mittlerer Unternehmen in stabileren Märkten, etwa der Herstellung von Pflanzenschutz-Vorprodukten.

Andererseits will der Lanxess-Chef die Wettbewerbsfähigkeit des Kautschukgeschäfts stärken, indem er sich einen besseren Zugang zu Rohstoffen verschafft. Marktkenner schätzen, dass er Kooperationen mit Unternehmen wie etwa Sinopec in China, Braskem in Brasilien oder Saudi Aramco in Saudi-Arabien im Visier hat. Mit ersten Erfolgen ist aber wohl erst 2015 zu rechnen. Zacherts Verhandlungsposition ist dabei gar nicht mal so schlecht: In vielen Kautschuksegmenten gilt Lanxess als Markt- und Technologieführer. Nur bei den Kosten hapert es eben.

Finanziell aus dem Ruder

In seiner kurzen Zeit bei Lanxess hat Zachert nur Vorschusslorbeeren erhalten. Wenn einer den Konzern nach vorne bringen kann, dann er, heißt es in der Branche.

Für Zachert spricht, dass er in seinem Berufsleben schon viele Wechselbäder erlebt und Krisen gemeistert hat. 1994 heuerte der gelernte Industriekaufmann und studierte Betriebswirt beim einstigen Frankfurter Pharmaweltkonzern Hoechst an. Kurz darauf zerschlug dessen Vorstandschef Jürgen Dormann das Traditionsunternehmen. 2002 wechselte er zu Kamps, wenig später übernahm der italienische Nudelkonzern Barilla die Düsseldorfer Bäckereikette. 2004 kam er als Finanzvorstand erstmals zu Lanxess und musste helfen, etwa 1.000 Arbeitsplätze abzubauen, Sparten zu verkaufen und Anlagen stillzulegen. 2011, frisch bei Merck, brachte er für den jahrhundertealten Traditionskonzern ein Restrukturierungsprogramm mit auf die Spur.

Klumpenrisiko: Kautschuk Die wichtigste Lanxess-Sparte leidet unter Preisdruck und Überkapazitäten. Quelle: Presse

Noch aus seiner ersten Amtszeit kennt Zachert Lanxess bestens. Schnell gelangte er nun zu der Erkenntnis, dass die Kosten aus dem Ruder gelaufen seien, für Investitionen in Anlagen und für Forschung zu viel Geld ausgegeben werde. „Die Verschuldung ist nun doppelt so hoch wie vor drei Jahren. Zudem ist der gute Cash-Flow, für den Lanxess lange Jahre stand, verschwunden. Man muss diesen nun mit der Lupe suchen“, ätzte Zachert in der Mitarbeiterzeitung „XPress“ – eine Spitze nicht nur gegen Heitmann, sondern auch gegen den Finanzvorstand Bernhard Düttmann, der 2011 als Ersatz für Zachert vom Nivea-Hersteller Beiersdorf geholt wurde.

Ärger mit den Aktionären

Nur mit den Aktionären hat es Zachert sich etwas verscherzt. Als sein Abgang bei Merck publik wurde, war die Aktie dort noch um zwölf Prozent eingebrochen. Auf der Hauptversammlung im Mai dagegen machte sich Unmut über den neuen Lanxess-Chef breit. Denn kaum im Amt, hatte Zachert eine Kapitalerhöhung um zehn Prozent durchgedrückt.

430 Millionen Euro sammelte er auf diese Weise. Weil er das Bezugsrecht der Altaktionäre ausgeschlossen hatte, wurden deren Anteile verwässert. Ganz wohl sei es ihm dabei selbst nicht gewesen, erzählt er im kleinen Kreis. Zwei Wochen lang habe er die Entscheidung mit sich herumgetragen.

Beim Kampf gegen Überkapazitäten, Rohstoffknappheit und Kostennachteile kann Zachert freilich auf die Unterstützung der meisten Aktionäre zählen. „Die ungünstigen Bedingungen erschweren die Sanierung von Lanxess“, sagt etwa Christoph Ohme, Portfoliomanager bei der Deutsche Asset & Wealth Management, der Vermögensverwaltung der Deutschen Bank, einem wichtigen Lanxess-Aktionär. Doch letztendlich vertraut der Portfoliomanager dem neuen Vorstandsvorsitzenden: „Die Probleme, insbesondere im synthetischen Kautschukbereich, lassen sich nicht wegdiskutieren, aber wir glauben, dass Lanxess unter der neuen Führung von Matthias Zachert die richtigen Schritte eingeleitet hat.“

Zachert ist Langstreckenläufer und weiß, dass er viel Atem mitbringen muss, um Lanxess zumindest auf Kurs zu bringen. Durchhalten kann er, wie er zuletzt beim Leverkusener Halbmarathon bewies, den er in einer Stunde und 49 Minuten absolvierte – schweißüberströmt und völlig verausgabt.

Beim großen Lanxess-Sanierungsmarathon hat Zachert gerade mal die ersten Kilometer geschafft.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%