Mercedes in der Formel 1 Wir wollen wieder wilder werden

Die Formel-1 steuert auf ihr Finale zu. Beim Rennen in Abu Dhabi könnte in Nico Rosberg sogar ein Deutscher in einem deutschen Auto Weltmeister werden. Die Euphorie hält sich trotzdem in Grenzen.

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Zum dritten Mal in Serie wird ein Mercedes-Fahrer den Weltmeistertitel in der Formel 1 holen. Quelle: dpa

Düsseldorf Einige hatten vor der Saison noch gehofft, dass die wichtigste Rennserie der Welt wieder spannender werden könnte. Neue Regeln sollten die Dominanz des Mercedes-Teams in der Formel 1 brechen. Der einstige Weltmeister Sebastian Vettel wollte in seiner zweiten Ferrari-Saison, unterstützt von einem Rekordetat, zum Angriff blasen.

Doch schon vor dem großen Saison-Finale in Abu Dhabi am Sonntag steht fest: Der Weltmeister wird wieder einen Stern tragen. Die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft ist dem Rennteam Mercedes-Patrobas ohnehin seit Wochen nicht mehr zu nehmen. Offen ist nur, ob am Ende der Brite Lewis Hamilton seinen Titel verteidigen kann oder Nico Rosberg – wie einst sein Vater Keke – erstmals zum Weltmeister gekrönt wird.

Die Spannung, die vor der Saison versprochen wurde, hat sich damit nicht eingestellt. Durch die Schwäche Ferraris fuhr Mercedes gerade zum Saisonende meist souverän vorneweg. Auch vor Vettels einstigem WM-Team Red Bull Racing. Die haben plötzlich ihren Speed wiederentdeckt und auf Saisonsicht die Scuderia klar abgehängt. Die beiden Silberpfeile haben dennoch in der Fahrerwertung jeweils einen Vorsprung von über 100 Punkten auf den Drittplatzierten Red Bull Piloten Daniel Ricciardo. Für die Rennserie ist das ein Problem.

Die Boulevard-Presse schimpft seit einigen Jahren über die „Formel Gähn“. Das erklärte Ziel, die Rennserie wieder enger zu machen, ist nicht aufgegangen. Dabei hatte selbst Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der sich lange gegen technische Änderungen gesperrt hatte, vor dem Saisonstart eingestanden, „dass wir im Moment wahrscheinlich mit der Technik etwas zu weit gegangen sind“.

Wo früher das Talent der Fahrer wichtig war, regiert heute das Geld, ist ein vielzitierter Vorwurf der langjährigen Fans. „Don't race“ umschrieb Formel-1-Chef Bernie Ecclestone unlängst die aktuellen Rennregeln und meint: Mit Rennfahren hat das nichts mehr zu tun. Bessere Entwickler, bessere Motoren, besseres Material, bessere Testumgebungen: Das alles verschlingt etliche Millionen. Am Ende brauchen die Teams dann doch noch fähige Piloten, die die Geschosse mit bis zu 900 PS und über 350 km/h erfolgreich über die Piste jagen. Und, richtig, aus das kostet.

Tatsächlich führen Mercedes und Ferrari nicht nur die Weltrangliste, sondern auch die Geldrangliste an. 36 Millionen Euro verdient allein Ferrari-Pilot Vettel im Jahr – mehr als jeder aus dem Team der Fußball-Weltmeister. Mit 22,5 Millionen Euro nimmt der designierte Weltmeister Nico Rosberg Platz drei in der Gehaltsrangliste der deutschen Sportler ein.

Vor der Saison wurde das Budget nochmal kräftig erweitert. Mit rund 316 Millionen Dollar gingen allein die Silberpfeile in die Saison. Daimler ist mit einem Zuschuss von rund 75 Millionen Dollar der wichtigste Geldgeber, darüber profitierte das Mercedes-Team von gewachsenen Sponsoreneinnahmen. Kleine Teams haben dagegen mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Force India und Manor Racing mussten zuletzt persönlich bei Formel-1-Chef Bernie Ecclestone für einen Vorschuss anklopfen.

Mit der Spannung haben über Jahre auch die deutschen Einschaltquoten gelitten. In nur zwei Jahren sank die durchschnittliche Zuschauerzahl eines Rennens von 5,32 Millionen auf 4,2 Millionen. Dieses Jahr ist es zwar gelungen, den Abwärtstrend zu stoppen, doch von den goldenen „Schumi“-Jahren ist man meilenweit entfernt.


Nur Boxen und Schwimmen sind schlechter

Auch dem Chef-Promoter Ecclestone ist die Formel 1 zu brav geworden. „Ich würde mein Geld nicht ausgeben, um mit meiner Familie ein Rennen anzusehen – ausgeschlossen“, polterte er schon vor Saisonbeginn in einem Gespräch mit dem britischen Revolverblatt Daily Mail. Auch wenn der Rennsportchef es nicht so meinte, steckt in der Kritik viel Wahres. Tatsächlich ist die Rennserie durch neue Regeln aber auch einfach zu brav geworden. Wo in den Siebzigern die wilden Kerle sich harte Schlachten auf dem Asphalt lieferten, geht es heute um Reifen und Tankfüllungen.

Aber auch mit dem Kernmarkt Europa hat die Rennserie zuletzt offen gefremdelt. Für viele traditionelle Rennstrecken ist die Austragung eines Rennens zu teuer geworden. Mit Hockenheim wird in der kommenden Saison auch die letzte deutsche Piste aus der Rennserie ausscheiden. Gefahren wird in den aufstrebenden Schwellenländern, in Russland, Brasilien, China und sogar in Aserbaidschan.

Die mangelnde Spannung und das sinkende Zuschauerinteresse haben auch bei den Geldgebern Spuren hinterlassen. Im Sponsoringreport 2016 der Marktforscher von Nielsen Sports schnitt Motorsport eher schlecht ab. 38 Prozent aller befragten Sponsoring-Verantwortlichen gaben an, dass die Rennserien in Zukunft wohl eher eine untergeordnete Rolle spiele sollen. Nur Boxen und Schwimmen waren schlechter.

Für Lars Stegelmann, Motorsportexperte bei Nielsen Sports, sollte man die wichtigste Rennserie der Welt aber deswegen keinesfalls abschreiben. „Die Formel 1 ist eine der wenigen weltweiten Wettbewerbe – und damit eine ideale Werbeplattform für global operierende Konzerne.“ Ein Rennen werde weltweit live von 80 Millionen Zuschauern verfolgt. „Auch in den nächsten Jahren werden darum regelmäßig neue Sponsoren die Formel 1 nutzen“, prognostiziert er.

Die Formel 1 müsse dazu dennoch ihre Hausaufgaben machen – und genau analysieren, was sich die Fans wünschen. „Ziel muss es sein, neben der bisherigen Kernzielgruppe unter anderem auch digital affine Zielgruppen zu gewinnen“, sagt Nielsen-Experte Stegelmann.


Zurück in die Vergangenheit

Der neue Anteilseigner Liberty Media denkt bereits offen über mehr Rennen nach. Vor allem soll aber das Rennerlebnis wieder rasanter werden. In der kommenden Saison sollen die Boliden mehr Leistung bringen und die Fahrer auch physisch mehr herausfordern. Optisch sollen die Rennwagen aggressiver designt werden. Damit wollen die neuen Chefs an die wilde Vergangenheit der Rennserie anknüpfen. Ecclestone selbst trägt sich mit der Vision von zwei Rennläufen an einem Tag, je über nur 40 Minuten. So, wie es bei vielen anderen Motorsport-Events üblich ist.

Bei Mercedes will man so oder so alles daran setzen, in der neuen Formel-1-Saison auch unter neuen Voraussetzungen vorne mitzufahren. „Die Investitionen in dem Formel 1-Engagement lohnen sich natürlich besonders dann, wenn das Team wettbewerbsfähig ist und um Rennsiege und Titel kämpft“, erklärt das Unternehmen. Die Marketingstrategie für die Saison basiere nicht nur auf dem möglichen Gewinn des Titels, aber es sei klar, dass der Sieg „einen Extra-Schub in der Öffentlichkeit mitbringt“. Ferrari und Mercedes sind die einzigen Autohersteller, die sich derzeit Werksteams in der Formel 1 gönnen. Renault und Honda liefern zwar Motoren, Glanz bleibt bei ihnen aber deutlich weniger haften. So ist Mercedes buchstäblich wie sprichwörtlich in der Pole Position.

Am Ende ist ein Sieg in der Formel 1 für alle Beteiligten lukrativ. Und auch einem möglichen Weltmeister Nico Rosberg, der von vielen oft als zu blass und brav kritisiert wird, stellt Nielsen-Sponsoringexperte Stegelmann gute Noten aus. „Natürlich liegt er bei der Bekanntheit noch nicht auf gleichem Level wie Sebastian Vettel oder sogar Rekordweltmeister Michael Schumacher, doch mit weiteren sportlichen Erfolgen wird er ganz natürlich seinen Bekanntheitsgrad steigern“, sagt er. Rosberg werde von den Zuschauern insgesamt sehr positiv angenommen und sei damit ein idealer Werbeträger. „Unsere Analysen zeigen, dass er noch ein großes Wachstumspotenzial in der werberelevanten Gruppe der 16- bis 24-Jährigen hat“, sagt Stegelmann.

Und vielleicht gelingt es Rosberg ja auch, sein braves Image mit dem Titel abzulegen. Selbst bei einem Sieg wird es ihm aber kaum gelingen, nach dem Saisonfinale über die Stränge zu schlagen. Der traditionelle Siegerchampagner wird in Abu Dhabi durch Rosenwasser ersetzt.

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