Merck&Co gegen Merck KGaA Armdrücken der Pharmariesen

Selber Ursprung, getrennte Wege: Lange Zeit verband die beiden gleichnamigen Merck-Konzerne in Deutschland und den USA nur wenig. Doch jetzt lebt die alte Rivalität wieder auf.

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Aus Merck entstanden 1917 die beiden Unternehmen Merck KGaA (Deutschland, rechts im Bild) und Merck & Co. (USA). Heute beginnt die einstige Rivalität erneut. Quelle: Getty Images

Die wenigsten Betroffenen dürften ahnen, dass sie Merck ihre Existenz verdanken. „Wir gehen davon aus, dass mithilfe unserer Produkte weltweit bisher rund zwei Millionen Babys gezeugt werden konnten“, sagt Stefan Oschmann, Mitglied der Merck-Geschäftsleitung. Mit seinen künstlichen Fruchtbarkeitshormonen, die Eizellen im Körper der Frau besser reifen lassen, gilt Merck als Lebensspender für Hunderttausende Deutsche, Spanier, Franzosen, Engländer oder Amerikaner.

Doch welche Firma Merck? Der Pharma- und Chemiekonzern aus Darmstadt, mit knapp elf Milliarden Euro Umsatz und einem Börsenwert von acht Milliarden Euro Mitglied im Deutschen Aktienindex Dax? Oder der 3-mal größere und 20-mal so wertvolle US-Konzern Merck & Co.? Beide Unternehmen haben den gleichen Ursprung, gehen aber seit 1917 getrennte Wege. Manager Oschmann hat für beide Unternehmen gearbeitet und steht seit 2011 in Diensten der Darmstädter.

Die 10 umsatzstärksten deutschen Chemiekonzerne 2013
Platz 10Beiersdorf AGUmsatz: 6.141 Mio. EuroBeschäftigte: k.A.Quelle: Verband der Chemischen Industrie e.V. Quelle: dpa
Platz 9Lanxess AGUmsatz: 8.300 Mio. EuroBeschäftigte: 17.000 Quelle: dpa
Platz 8Merck KGaAUmsatz: 11.095 Mio. EuroBeschäftigte: 38.154 Quelle: dpa
Platz 7Evonik Industries AGUmsatz: 12.874 Mio. EuroBeschäftigte: 32.995 Quelle: dpa
Platz 6Boehringer Ingelheim GmbHUmsatz: 14.065 Mio. EuroBeschäftigte: 47.492 Quelle: dpa
Platz 5Henkel AGAktiengesellschaft & Co. KGaAUmsatz: 16.355 Mio. EuroBeschäftigte: 46.850 Quelle: dpa
Platz 4Linde AGUmsatz: 16.655 Mio. EuroBeschäftigte: 63.487 Quelle: dpa

Verschwand in den vergangenen knapp 100 Jahren die Rivalität mehr und mehr, flammt diese nun wieder auf, und das in einem ausgesprochenen Wachstumsmarkt. Standen die Deutschen bisher eher im Schatten der entfernten US-Verwandtschaft, laufen sie den Amerikanern nun bei Fruchtbarkeitsmedizin den Rang ab.

Mit einem globalen Anteil von 40 Prozent sind die Hessen inzwischen Weltmarktführer und setzen mehr als 800 Millionen Euro im Jahr mit fertilitätssteigernden Mitteln um. Allein ihr Hormonpräparat Gonal-F sorgt für einen Jahresumsatz von 586 Millionen Euro. Merck & Co. in den USA kommt mit seinen Fruchtbarkeitspräparaten gerade mal auf geschätzt 20 Prozent. Genaue Zahlen veröffentlichen die Amerikaner dazu nicht.

Wie die Jungfrau zum Kinde

Damit ist das Feld für Frotzeleien und Sticheleien bereitet. „Bitte, wie heißt das Unternehmen?“, fragt Merck-Chef Karl-Ludwig Kley mit ironischem Unterton, wenn ihn jemand auf den US-Namensvetter Merck & Co. anspricht. Dann referiert Kley ausgiebig darüber, dass Merck aus Darmstadt ja schließlich das Original sei und die Konkurrenz unter der Führung des Amerikaners Kenneth Frazier sich nur in Nordamerika Merck nennen darf. In allen anderen Ländern firmiert der US-Konzern unter dem Kürzel MSD.

Merck versus Merck

Kley und sein Pharmamanager Oschmann haben es zum Weltmeister bei den Fruchtbarkeitspräparaten gebracht, weil sie früher als ihr Namenspendant in den USA den Trend zum späten Elternglück erkannten und konsequenter darauf setzten. Um jährlich vier Prozent soll die Nachfrage nach Mitteln wachsen, die gegen nachlassende Fruchtbarkeit mit steigendem Alter helfen.

Dabei sind sowohl Merck als auch Merck & Co. zu ihren Fertilitätssparten gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Die Hessen übernahmen 2006 das Schweizer Biotech-Unternehmen Serono, allerdings eher aus Verlegenheit. Denn ursprünglich wollten die Darmstädter den damaligen Berliner Dax-Konzern Schering übernehmen, dort kam jedoch dann Bayer zum Zuge. Darauf schnappte sich Merck für knapp elf Milliarden Euro Serono, vor allem wegen des vielversprechenden Präparats Rebif gegen multiple Sklerose. Zudem galt Serono auch als Weltmarktführer der Reproduktionsmedizin und verfügte über aussichtsreiche Hormonpräparate wie Gonal-F, ohne das keine künstliche Befruchtung im Labor funktionieren kann.

Startvorteile ausgespielt

Merck & Co. in den USA wiederum schluckte 2009 den US-Wettbewerber Schering-Plough, vor allem wegen seiner Medikamente zur Blutverdünnung und gegen Allergien. Zu der neuen Tochter, die aus der Enteignung der Schering-US-Tochter während des Zweiten Weltkriegs hervorgegangen war, gehörte auch ein Biotech-Unternehmen namens Organon, das sich auf Verhütungsmittel und Fruchtbarkeitshormone spezialisiert hatte.

Dass die Hessen in dem einst beiläufigen Geschäft heute rund doppelt so stark sind wie die Amerikaner, verdanken sie ihrem Startvorteil, den ihnen die starke Marktposition von Serono bot. Zugleich bauten sie den Vorsprung aber auch aus.

Nachdem Merck Oschmann 2011 von Merck & Co. abgeworben hatte, überlegte dieser, das Fertilitätsgeschäft zu verkaufen, besann sich aber eines Besseren: „Aufgrund der Marktaussichten haben wir uns für einen Verbleib im Portfolio entschieden.“ Auf diese Weise kann sich der 57-Jährige seinem alten Arbeitgeber noch einmal beweisen. So erhielt Oschmann 2013 die Zulassung für einen Pen, eine Art Spritze, mit der sich Patientinnen – ähnlich wie Diabetiker das Insulin – Fruchtbarkeitshormone injizieren können. Mit dem Hormonpräparat Pergoveris brachte Oschmann einen weiteren Trumpf. „Das eignet sich gut bei älteren Patientinnen, deren Eierstöcke nicht mehr gut funktionieren“, sagt Jan-Steffen Krüssel, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin und Leiter des Universitäts-Kinderwunschzentrums Düsseldorf.

Wenig entgegenzusetzen

Dagegen brachte der US-Konzern Merck zuletzt eine Hormoninjektion namens Elonva heraus, die weniger häufiger gespritzt werden muss als andere klassische Präparate. Doch endgültig davongezogen ist Oschmann seinem Ex-Arbeitgeber mit dem sogenannten Eeva-Test, mit dessen Hilfe Ärzte am dritten Tag nach der künstlichen Befruchtung mithilfe von Videoaufnahmen genau bestimmen können, wie lebensfähig die Embryonen in der Laborschale sind. Dabei wertet eine spezielle Software Daten zur Vorhersage der Embryonenentwicklung aus. Eeva stammt vom kalifornischen Unternehmen Auxogyn, Oschmann hat sich die Vermarktungsrechte gesichert. Dem hat Merck & Co. erst einmal nichts entgegenzusetzen.

Größter Konkurrent der Darmstädter ist dabei der skandinavische Hersteller Fertilitech, der einen vergleichbaren Test anbietet. „Welcher Test die besseren Schwangerschaftsraten bringt, ist noch nicht ausgemacht“, sagt Mediziner Krüssel, „noch fehlt es dazu an aussagefähigen Studien.“ In Deutschland soll das Verfahren im nächsten Jahr auf den Markt kommen.

Bei aller Rivalität: In einem Punkt ziehen beide Mercks an einem Strang. In Deutschland sollten die gesetzlichen Krankenkassen großzügiger bei der Kostenerstattung für künstliche Befruchtungen sein, sagen die Manager beider Konzerne. Die Kassen zahlen die 1000 bis 4000 Euro teure Hormonbehandlung nur zur Hälfte – aber nur für drei Versuche und nur für verheiratete Paare.

„Ich glaube nicht, dass es zeitgemäß ist, unverheirateten Paaren anders als verheirateten Paaren die Kosten für künstliche Befruchtung nicht zu erstatten“, sagt Oschmann – was nicht nur im Sinne von Merck, sondern auch von Merck & Co. ist.

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