WirtschaftsWoche: Herr Dallmann, wie kann sich der Laie eine Prüfung durch die Kartellrechtsbehörden vorstellen, wie sie nun im Fall der Monsanto-Übernahme durch Bayer ansteht?
Michael Dallmann: Die Kartellbehörden prüfen den Vorgang und sehen sich die betroffenen Märkte an. Es gibt verschiedene Kriterien, die überprüft werden, insbesondere die Marktanteile der fusionierenden Unternehmen, aber auch wie die näheren Wettbewerber aufgestellt sind. Eine weitere wichtige Frage ist: Welche Ausweichmöglichkeiten haben die Nachfrager nach dem Zusammenschluss und wie hoch ist die Marktmacht der Nachfrager beim Einkauf? Wenn die Kartellbehörden Bedenken gegen den Zusammenschluss haben, gibt es auch die Möglichkeit, ihn unter Auflagen zu genehmigen – bestimmte Teile von Monsanto dürften dann nicht übernommen werden oder Bayer müsste bestimmte Unternehmensteile veräußern.
Nun kam es in den letzten Monaten in der Agrarchemie zu Konsolidierungen. Der staatliche Konzern ChemChina übernimmt die Schweizer Firma Syngenta, in den USA tun sich Dow Chemical und Dupont zusammen. Welche Rolle spielt das?
Der Zusammenschluss, der schon erfolgt ist, wird bei der Bewertung der aktuellen Marktsituation miteinbezogen. Ein sich anbahnender Zusammenschluss kann ebenfalls berücksichtigt werden, wenn er bereits angemeldet wurde. Die Entscheidung darüber, wie sich ein zu prüfender Zusammenschluss auf den Markt auswirkt, ist eine Prognoseentscheidung.
Spielen die jüngsten Fusionen Bayer in die Karten?
Ohne Einblick in die Akten ist so etwas schwer zu sagen. In dem Fall könnte es sein, dass die erfolgten Fusionen eher dagegen sprechen, weil es durch den Zusammenschluss von Bayer und Monsanto zu einer noch höheren Marktkonzentration kommt und damit möglicherweise zu noch geringeren Ausweichmöglichkeiten für die nachfragenden Unternehmen.
Der Saatgutkonzern Monsanto
Der US-amerikanische Konzern Monsanto ist einer der weltgrößten Hersteller von – oft auch gentechnisch verändertem – Saatgut sowie Unkrautbekämpfungsmitteln.
Das Unternehmen mit Hauptsitz in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri gehört zu den 500 größten börsennotierten in den USA und setzte zuletzt rund 15 Milliarden US-Dollar (gut 13 Mrd. Euro) um. Dabei erzielte Monsanto einen Überschuss von 2,3 Milliarden Dollar.
Weltweit beschäftigt das Unternehmen nach eigenen Angaben knapp 21.200 Menschen, fast die Hälfte davon in den USA. Der Saatgutkonzern ist in 66 Ländern vertreten – auch in Deutschland.
Monsanto bezeichnet eine nachhaltige Landwirtschaft als „Kernanliegen“, wird jedoch weltweit von Umweltschutzorganisationen unter anderem für die Herstellung von gentechnisch veränderten Saatgut heftig kritisiert.
Quelle: dpa
Das sind in dem Fall vor allem Bauern. Landwirtschaftsverbände beklagen schon jetzt zu wenig Wettbewerb. Greenpeace spricht von einer „schlechten Nachricht für nachhaltige Landwirte, Verbraucher und die Umwelt“ und von einer „bislang ungekannten Marktmacht“ für Bayer und Monsanto.
Genau das wird von den Kartellbehörden bei den Auswirkungen auf den jeweiligen Markt untersucht.. Die Meinung von Verbänden und Nachfragern wird im Rahmen der Prüfung möglicherweise abgefragt und fließt in die Bewertung der Marktsituation ein. Dritte, das heißt Wettbewerber und Nachfrager können sich auch proaktiv bei den Behörden melden und ihre Einschätzung abgeben. Diese können später eine mögliche Freigabe durch die Behörden gegebenenfalls auch gerichtlich überprüfen lassen.
Nun ist die Marktsituation in den USA einer Studie von zwei früheren Mitarbeitern des US-Justizministeriums zufolge, in Auftrag gegeben von der Verbraucherbewegung „SumOfUs“, ziemlich klar: Monsanto ist Marktführer im Geschäft mit Saatgut, auf mehr als 31 Prozent der Anbauflächen für Baumwolle in den USA werden Samen des US-Konzerns verwendet, auf 38,5 Prozent von Bayer.
In allen Bereichen, in denen der fusionierte Konzern sehr hohe Marktanteile hat, könnte es Probleme geben, die die Kartellbehörden untersuchen. Grundsätzlich problematisch sind jedenfalls Anteile jenseits der 50 Prozent.
Laut Bayer stehen in 30 Ländern Kartellprüfungen an. Ist das üblich?
Üblich ist das nicht, aber in einem Fall wie der Monsanto-Übernahme durch Bayer auch nicht ungewöhnlich. Beide Konzerne sind weltweit tätig und setzen Milliarden um. In vielen Jurisdiktionen ist eines der Aufgreifkriterien für ein Fusionskontrollverfahren der Umsatz der beteiligten Unternehmen – unabhängig davon, ob dieser auf den betroffenen Märkten erzielt wird oder nicht.
Wettbewerbsrechtlich problematisch
Wie lange dauert so eine Prüfung?
Das ist in den einzelnen Jurisdiktionen völlig unterschiedlich geregelt. Dieser Fall wird wahrscheinlich unter anderem auf EU-Ebene angemeldet. Die EU-Kommission hat in einer ersten Phase 25 Arbeitstage Zeit für die Prüfung. Stößt sie auf wettbewerbsrechtliche Bedenken, tritt sie in eine zweite Phase ein, in der sie zunächst weitere 90 Arbeitstage für die Untersuchung Zeit hat, den Zusammenschluss freizugeben - gegebenenfalls unter Auflagen - oder zu untersagen. Vor der förmlichen Anmeldung bei der Kommission findet jedoch noch ein Abstimmungsprozess zwischen den beteiligten Unternehmen und der Kommission statt, der ebenfalls einige Monate in Anspruch nehmen kann. In der EU kann ein Fusionskontrollverfahren also mehr als fünf Monate dauern. In den USA oder anderen Jurisdiktionen, in denen der Zusammenschluss möglicherweise angemeldet werden muss, können die Zeitabläufe noch einmal anders aussehen, jedenfalls können schon acht bis zwölf Monate vergehen.
Was wird schwieriger für Bayer, die Fusionskontrolle durch die EU-Kommission oder die Prüfung durch die US-Kartellbehörden?
Das ist aus der Ferne nicht abzusehen. Das hängt davon ab, wie Bayer und Monsanto auf den jeweiligen Märkten aufgestellt sind.
Die Autoren der oben bereits angesprochenen Studie kommen zu dem Schluss, dass die Fusion durch die US-Kartellrechtler gekippt wird. Sie argumentieren unter anderem mit dem Clayton Act, ein US-Gesetz, das wettbewerbsverzerrende Unternehmenszusammenschlüsse untersagt.
Das mag sein. Bayer und Monsanto sind aber rechtlich beraten. Die Berater sind wohl zu dem Schluss gelangt, dass es nicht aussichtslos ist, eine Freigabe durch die Kartellbehörden zu erhalten – mit oder ohne Auflagen.
Große Firmenübernahmen in Deutschland und weltweit
Für 199 Milliarden Dollar (aktuell rund 178 Milliarden Euro) verleibt sich Vodafone im April 2000 den deutschen Mobilfunk-Konzern Mannesmann ein. Es ist die bislang größte feindliche Übernahme - und die mit Abstand größte mit deutscher Beteiligung.
154,8 Milliarden Dollar zahlt der US-Internetkonzern AOL im Januar 2000 für den US-Medienkonzern Time Warner.
Für 129 Milliarden Dollar übernimmt die Telefongesellschaft MCI Worldcom die US-Telekommunikationsfirma Sprint im Oktober 1999.
Knapp 90 Milliarden Dollar zahlt der US-Pharmahersteller Pfizer im Juni 2000 für seinen Konkurrenten Warner-Lambert.
Rund 50,7 Milliarden US-Dollar zahlt die Deutschen Telekom im Jahr 2000 für den US-Telekommunikationsanbieter Voicestream.
Etwa 32,6 Milliarden Dollar kostet Mannesmann 1999 die Übernahme des Mobilfunk-Anbieters Orange.
Für 17 Milliarden Dollar kauft der deutsche Pharma- und Chemiekonzern Merck im November 2015 den Laborausrüster Sigma-Aldrich.
Auflagen erhielt Monsanto bereits 2008. Damals musste der Saatgutriese sich von Vermögenswerten im Bereich Baumwollsaatgut trennen, um die „Delta and Pine Land Company“ zu übernehmen. Gekauft hat die Anteile Bayer. Die gerichtliche Anordnung lautete, vor 2018 dürfte weder Monsanto noch dessen Rechtsnachfolger das abgestoßene Geschäft zurückkaufen. Inwiefern ist die richterliche Anordnung problematisch?
Wahrscheinlich ist das in den USA wettbewerbsrechtlich problematisch. Möglich wäre etwa die Auflage, dass Bayer die damals übernommenen Teile veräußern muss oder bestimmte Bereiche von Monsanto nicht übernommen werden können.
Sollte die Fusion nicht zustande kommen, hat sich Bayer verpflichtet zwei Milliarden US-Dollar an Monsanto zu zahlen.
Mitunter wird eine solche Klausel aufgenommen. Der Betrag steht in einem bestimmten Verhältnis zum Kaufpreis und zum Risiko.
Glauben Sie, Bayer wird am Ende die zwei Milliarden US-Dollar zahlen müssen?
Das ist schwer von außen zu beurteilen und könnte maßgeblich davon abhängen, zu welchen Zugeständnissen Bayer gegenüber den Wettbewerbsbehörden bereit ist.