Vor der historischen Abstimmung löcherten die Aufsichtsräte den Bayer-Vorstand zwei Stunden mit letzten Fragen: Ist die Finanzierung der Übernahme von Monsanto wirklich gesichert? Bleibt der hohe Forschungsetat auch künftig erhalten? Gegen elf Uhr am vorvergangenen Mittwoch hoben die Räte schließlich die Hand für die Megaübernahme. In New York hatten Bayer-Chef Werner Baumann und Monsanto-Boss Hugh Grant schon auf das Signal gewartet. Um 13.19 Uhr deutscher Zeit verkündeten sie den 66-Milliarden-Dollar-Coup, die größte Übernahme der deutschen Wirtschaftsgeschichte.
Der Saatgutkonzern Monsanto
Der US-amerikanische Konzern Monsanto ist einer der weltgrößten Hersteller von – oft auch gentechnisch verändertem – Saatgut sowie Unkrautbekämpfungsmitteln.
Das Unternehmen mit Hauptsitz in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri gehört zu den 500 größten börsennotierten in den USA und setzte zuletzt rund 15 Milliarden US-Dollar (gut 13 Mrd. Euro) um. Dabei erzielte Monsanto einen Überschuss von 2,3 Milliarden Dollar.
Weltweit beschäftigt das Unternehmen nach eigenen Angaben knapp 21.200 Menschen, fast die Hälfte davon in den USA. Der Saatgutkonzern ist in 66 Ländern vertreten – auch in Deutschland.
Monsanto bezeichnet eine nachhaltige Landwirtschaft als „Kernanliegen“, wird jedoch weltweit von Umweltschutzorganisationen unter anderem für die Herstellung von gentechnisch veränderten Saatgut heftig kritisiert.
Quelle: dpa
Perfekt ist sie damit noch lange nicht, die Arbeit für den Vorstand beginnt erst jetzt. In den nächsten Monaten müssen Baumann und seine Kollegen Kartellbehörden in nicht weniger als 30 Ländern vom Segen der Übernahme überzeugen.
Fachanwälte rechnen schon jetzt mit einer der heikelsten und aufwendigsten Übernahmeprüfungen aller Zeiten. Baumann selbst erwartet, dass die Transaktion nicht vor Ende 2017 abgeschlossen ist. Wenn es überhaupt dazu kommt. Es erscheint durchaus möglich, dass die Wettbewerbshüter so große Bedenken gegen den Megadeal haben, dass sie ihn komplett zum Kippen bringen. Für den Fall hat Bayer Monsanto bereits eine Ausfallzahlung von zwei Milliarden Dollar zugesichert.
Wer bei Bayer für Gewinn sorgt
Umsatz 2014: 42,2 Mrd. Euro
Gewinn* 2014: 8,4 Mrd. Euro
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 19,834 Mrd. Euro (47 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 5,124 Mrd. Euro (61 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 11,816 Mrd. Euro (28 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 1,092 Mrd. Euro (13 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 9,284 Mrd. Euro (22 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Gewinn* 2014: 2,184 Mrd. Euro (26 Prozent vom Gewinn insgesamt)
*vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, Ebitda; Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 1,266 Mrd. Euro (3 Prozent vom Umsatz insgesamt)
Entsprechend verhalten haben bislang die Investoren reagiert. Der Kurs der Monsanto-Aktie bewegte sich auch nach der Einigung deutlich unterhalb der Bayer-Offerte von 128 Dollar. „Die Kartellfrage ist der Knackpunkt“, sagt ein ranghoher Investmentbanker. Vor allem in den USA seien die Prüfungen in den vergangenen Jahren immer komplexer und langwieriger und damit zu einem erheblichen Unsicherheitsfaktor geworden. „Seriös lässt sich der Ausgang nicht vorhersagen“, sagt der Banker.
Unterm Strich Schulden in Höhe von 60 Milliarden Euro
Sicher ist aber schon jetzt, dass die Marktmacht bei einigen Regionen und Produkten derart groß sein wird, dass der künftig weltgrößte Agrarkonzern Teile abspalten muss. Bayer will sich dabei maximal von 1,6 Milliarden Dollar Umsatz trennen. Nicht nur die Vorgaben der Wettbewerbswächter dürften den Konzern zu Einschnitten zwingen: Zwar hat Bayer die Transaktion problemlos finanziert, unter dem Strich stehen nun aber Schulden von 60 Milliarden Euro. Am Dienstag erhöhte Baumann die Ziele für die künftige Profitabilität deutlich. Doch auch gesteigerte Gewinne dürften kaum reichen, um die Verbindlichkeiten in absehbarer Zeit entscheidend abzutragen. Insider rechnen deshalb fest damit, dass Bayer sich von Teilen des Unternehmens trennt. Zur Disposition könnte die Tiermedizin stehen. Auch ein schneller Verkauf der 64 Prozent am börsennotierten Kunststoffhersteller Covestro ist wahrscheinlich.
Baumann und Grant feiern den Deal als Meilenstein auf dem Weg zur Ernährung einer Weltbevölkerung von künftig zehn Milliarden Menschen. Der Vision eines allmächtigen Agrarkonzerns können Politiker, Verbraucherschützer und Kunden aber wenig abgewinnen. „Die Oligopolbildung am Agrarmarkt kann zu eingeschränktem Wettbewerb führen“, warnt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. Wenn die Übernahme gelingt, so die Befürchtung von Agrarökonomen, werden die Bauern in vielen Regionen der Welt künftig weniger Auswahl haben. Und diese auch noch teurer bezahlen.
Deal verstößt eindeutig gegen das US-Kartellrecht
In den USA gedeihen die Sorgen im Wahlkampf prächtig. Die Übernahme sei „eine Gefahr für alle Amerikaner“, warnt der demokratische Expräsidentschaftskandidat Bernie Sanders. Der aus dem ländlichen Iowa stammende Abgeordnete Chuck Grassley bestellte Manager von Bayer bereits zu einer Anhörung im Senat in Washington ein. „Mir scheint es, als sei diese Konsolidierungswelle zu einem Tsunami geworden“, sagt er. Ein von Verbraucherschützern finanziertes Gutachten kommt bereits zu dem Ergebnis, dass der Deal eindeutig gegen das US-Kartellrecht verstößt. „Dass Dritte bei solchen Fusionen intervenieren wollen, ist normal“, sagt ein in der Szene gut vernetzter Anwalt. „Dass solche Gutachten so früh auftauchen, ist aber ungewöhnlich.“
Skepsis scheint durchaus angebracht. „Hier schließen sich Unternehmen zusammen, die zum Teil denselben Leuten gehören“, sagt der Chef der deutschen Monopolkommission Achim Wambach. Damit meint er etwa den US-Vermögensverwalter Blackrock, der an beiden Unternehmen Anteile von mehr als sechs Prozent hält. „Es wäre naiv, zu glauben, dass die politische Stimmung bei diesem Verfahren keine Rolle spielt“, sagt der Wettbewerbsökonom Justus Haucap. „Das ist ein sehr schwieriger Fall.“
EU-Kommissarin Margrethe Vestager hat angekündigt, die Fusion „sehr sorgfältig“ zu prüfen. Die Komplexität dürfte tatsächlich beispiellos sein. Zusätzlich erhöht wird sie dadurch, dass sich neben Bayer und Monsanto auch die US-Konkurrenten Dow und DuPont zusammenschließen; die chinesische ChemChina kauft den Konkurrenten Syngenta. Damit bleiben von den sechs großen Agrarkonzernen nach der Fusionswelle nur noch drei übrig, vier, wenn man die deutsche BASF mitzählt.
Es geht um 20.000 einzelne Märkte
Die Behörden müssen nun entscheiden, ob so viel Konzentration gesund ist. Dazu können die Kartellwächter nicht einfach die globalen Anteile beim Pflanzenschutz addieren. Jedes Mittel gegen Insekten oder Pilze gilt in jedem Land als eigener Markt. Bei Unkrautvernichtern müssen die Prüfer zudem danach differenzieren, ob sie im Boden oder an der Erdoberfläche eingesetzt werden. Insgesamt geht es bei der Übernahme deshalb um 20.000 einzelne Märkte, ein gefundenes Fressen für alle Kartellanwälte dieser Welt.
Besonders kritisch hat die EU-Kommission in den vergangenen Jahren darauf geachtet, dass Fusionen nicht zulasten der Innovation gehen. So musste der Pharmakonzern Novartis bei der Übernahme der Krebsmedizinsparte des Konkurrenten GlaxoSmithKline 2015 die Rechte an zwei Medikamenten im Entwicklungsstadium verkaufen. „Auch Bayer könnte Lizenzen für Forschungsprojekte abtreten müssen“, sagt Wettbewerbsökonom Haucap.
Schon jetzt können sich nur die größten Konzerne aufwendige Forschungsprojekte zum Pflanzenschutz leisten. Diese konzentrieren sich im Wesentlichen auf große Umsatzbringer wie Weizen, Mais und Soja. „Was fehlt, sind etwa Lösungen mit echtem Mehrwert, zum Beispiel bessere Inhaltsstoffe für bessere Nahrungssorten“, sagt Bauernvertreter Krüsken. Kleinere Kulturen wie etwa Himbeeren würden von den Agrarkonzernen vernachlässigt.
In der EU liegt die Prüfung in den Händen von Thomas Deisenhofer. Dem deutschen Abteilungsleiter der Generaldirektion Wettbewerb stehen nur sieben Mitarbeiter zur Seite, die alle drei Agrarfusionen detailliert durchdringen müssen. Schon vor Wochen reisten Vertreter von Bayer und Monsanto für ein informelles Treffen nach Brüssel. Offiziell zur Prüfung anmelden dürften sie die Fusion erst Anfang kommenden Jahres.
Zu viel Baumwolle und Raps
Bis dahin dürften Deisenhofer und sein Team immerhin ihre Entscheidung über die erste Fusion in der Branche, den Zusammenschluss von Dow und DuPont, gefällt haben. Spätestens am 20. Dezember müssen die Brüsseler entscheiden. Leichter wird es für Bayer danach in keinem Fall. Denn die Behörden müssen bei ihrer Prüfung vom Status quo im Markt ausgehen.
- Sollten die Prüfer die Fusion von Dow und DuPont absegnen, gelten für Bayer und Monsanto fortan schärfere Maßstäbe, weil der Markt dann ja schon stärker konzentriert ist als heute. „Die Prüfer werden dann von Bayer und Monsanto noch mehr Zugeständnisse verlangen“, sagt ein Anwalt.
- Eine Blockade wäre für Baumann noch schlechter. Wenn die Prüfer nicht mal die Fusion der US-Konzerne durchwinken, müssten sie Bayer erst recht stoppen.
„Ohne Auflagen wird der Deal in vielen Ländern vermutlich nicht durchgehen“, sagt Wettbewerbsökonom Haucap. Bayer und Monsanto werden sich von Geschäftsbereichen trennen müssen. Beim Saatgut für Baumwolle zum Beispiel kommen beide in den USA auf einen Marktanteil von rund 70 Prozent. In Kanada verkaufen sie zusammen rund 80 Prozent der Raps-Saat. Die kanadischen Kartellbehörden werden das kaum ignorieren können.
Auch das umstrittenste Produkt der Agrarallianz dürfte ins Visier geraten. Monsantos Anti-Unkraut-Bestseller „Roundup Ready“ basiert auf dem Wirkstoff Glyphosat und könnte Bayer dazu zwingen, das Geschäft mit seinem „LibertyLink“ zu reduzieren oder sogar aufzugeben. Das Bayer-Mittel setzen Bauern gerne komplementär zur Roundup-Keule ein, gegen die insbesondere in den USA immer mehr Pflanzen eine Resistenz entwickeln. Bayer bewirbt Liberty deshalb fleißig als Ersatzmittel. Das ist allerdings teurer. Ist das resistente Unkraut weg, wechseln die Bauern deshalb in der nächsten Saison meist wieder zu Glyphosat.
Die Rivalen stehen bereit
„Eine der schlechtesten Entscheidungen wäre es, Liberty und Roundup im selben Unternehmen zu verketten“, warnt der US-Kartellexperte Peter Carstensen. Vor allem in den USA, Kanada, Brasilien und Argentinien wird Bayer wohl nicht ohne Einschränkungen davonkommen. „Sie werden Roundup oder Liberty auch an Dritte auslizenzieren müssen“, sagt ein Branchenkenner. Insgesamt macht Bayer mit Liberty nach Angaben von Analysten über 1,2 Milliarden Euro Umsatz, Monsanto kommt mit Roundup auf schätzungsweise 1,3 Milliarden Euro.
Rivalen stehen bereits bereit, um jene Teile aufzusammeln, die vom Hochzeitstisch fallen. Wenn im Zuge der Fusionen Geschäft auf den Markt kommt, werde man sich das anschauen, sagt BASF-Vorstand Harald Schwager. „BASF dürfte etwa Interesse haben, beim Saatgut zuzukaufen“, sagt ein Branchenkenner. Geld genug ist vorhanden: Die Ludwigshafener könnten leicht zehn Milliarden Euro ausgeben, ohne ihre finanzielle Stabilität zu gefährden, meint Analyst Christian Faitz von Kepler Cheuvreux. BASF spielt erst mal auf Zeit. Ein Zukauf, sagt Vorstand Schwager, „muss strategisch und finanziell für uns Sinn ergeben“.