Monsanto – was ist der Konzern wert? Die 65-Milliarden-Dollar-Frage

Gut oder schlecht investiertes Geld? Bayer will mit aller Macht den amerikanischen Saatgut-Hersteller Monsanto übernehmen. Für einige Analysten kommt das hohe Kaufangebot zu früh – vielleicht sogar um Jahrzehnte.

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Der Aufsichtsrat des Leverkusener Chemiekonzerns entscheidet über die Übernahme. Quelle: AFP

Frankfurt/New York Für die Aufsichtsräte von Bayer geht es am Mittwoch um eine der wichtigsten Entscheidungen in der Geschichte des Leverkusener Konzerns. Aller Voraussicht nach müssen sie darüber abstimmen, ob Firmenchef Werner Baumann noch etwas mehr Spielraum erhält, um seine bereits 65 Milliarden Dollar schwere Übernahme-Offerte für den amerikanischen Saatgut-Riesen Monsanto noch weiter aufzustocken. Eine der entscheidenden Fragen für die Bayer-Aufseher wird daher lauten: Was ist der US-Konzern eigentlich wert?

Aktuelle Zahlen und Analysten-Bewertungen geben darauf keine eindeutige Antwort. Klar erscheint nur so viel: Bayer schickt sich an, einen Konzern zu übernehmen, der in den ersten zwölf Jahren des neuen Jahrhunderts als führender Anbieter von genmodifiziertem Saatgut einen enormen Aufschwung erlebte – in dieser  Zeit hat er seinen Umsatz fast verdreifacht und den Nettogewinn mehr als verzehnfacht. Seither hat aber die Dynamik deutlich nachgelassen.

Seit 2013 sind Umsatz, Betriebsgewinn und Ebitda im Grunde nur noch stagniert. Und im Geschäftsjahr 2016, das am 31. August endete, dürften sie deutlich gesunken sein. Für das Gesamtjahr hat die Monsanto-Führung einen Rückgang des ausgewiesenen Gewinns um rund 30 Prozent in Aussicht gestellt, was auf einen Wert von etwa 1,5 Milliarden Dollar hinausläuft. Klammert man Sonderfaktoren wie Restrukturierungskosten aus, zeichnet sich ein Gewinnrückgang um etwa 23 Prozent auf 4,40 Dollar je Aktie oder rund 1,9 Milliarden Dollar ab.

Bayer hat seine Attacke damit geschickt in einer Schwächephase von Monsanto wie auch der gesamten Agrobranche gestartet. Allerdings bedeutet das auch, dass sich die aktuellen Ertragsdaten von Monsanto kaum eigenen, um einen Preis von 127,50 Dollar je Aktie, wie ihn Bayer derzeit bietet, zu rechtfertigen. Geschwiege denn eine noch höhere Bewertung.

Selbst wenn man die sehr ansehnlichen Kurs-Gewinn-Relationen der Konkurrenten Bayer, Dupont und Syngenta zugrunde legt, die derzeit im Schnitt mit etwa 24-fachen des Nettogewinns gehandelt werden, errechnet sich für Monsanto auf Basis der 2016er Ergebnisse nur ein Wert von 36 bis 46 Milliarden Dollar. Das entspräche 80 bis 105 Dollar je Aktie – je nachdem ob man mit offiziellen oder bereinigten Zahlen rechnet. Einschließlich Schulden würde sich ein Unternehmenswert von 45 bis 55 Milliarden Dollar ergeben. Höhere Bewertungen hängen also klar von einer deutlichen Erholung des Geschäfts ab.

Das Meinungsspektrum der Bankanalysten ist in dieser Hinsicht breit gefächert. Ihre Kursziele reichen von 88 Dollar bis 132 Dollar je Aktie, wobei überwiegend bereits eine Übernahme durch Bayer mit gewisser Wahrscheinlichkeit einkalkuliert ist. Im Schnitt liegt die Bewertung der Analysten laut der Nachrichtenagentur Bloomberg aktuell bei 115 Dollar. Vor Bekanntwerden der Übernahmeverhandlungen bewegte sich das Durchschnitts-Kursziel sogar bei nur etwa 100 Dollar je Aktie.


Analysten sind bei Angebotshöhe gespalten

Einer solchen – alles in allem eher verhaltenen Bewertung für den Saatgut-Konzern – stehen die weitaus optimistischeren Prognosen für das Agrogeschäft sowohl von Monsanto als auch von Bayer gegenüber. ‪Das Bayer-Management geht fest davon aus, dass die Nachfrage der Bauern wieder anziehen wird. „Wir erwarten, dass der Agrochemiemarkt in der zweiten Jahreshälfte 2017 zum Wachstum zurückkehrt”, sagt Liam Condon, der im Bayer-Vorstand die Division Crop Science verantwortet, und ergänzt: „Es wird aber keine schnelle Erholung geben.” Ähnliche Zuversicht propagiert Monsanto-Chef Hugh Grant. Er verspricht ab 2017 die Rückkehr auf den Wachstumskurs und für die Jahre danach ein Gewinnwachstum von durchschnittlich etwa 15 Prozent pro Jahr.

Aber wie realistisch sind solche Prognosen? In den vergangenen Jahren musste sich Grant mehrfach nach unten korrigieren. Noch im vergangenen November hatte er für das Jahr 2019 einen Gewinn von mehr als zehn Dollar je Aktie in Aussicht gestellt. Davon kann inzwischen keine Rede mehr sein. Selbst die neueste Mittelfristprognose, die eine Trendwende 2017 unterstellt, läuft auf allenfalls etwas über sechs Dollar Gewinn für 2019 hinaus.

Auch dieses Ziel sehen etliche Experten skeptisch: Jonas Oxgaard etwa, der Agrochemie-Experte von Sanford Bernstein, glaubt nicht an die schnelle Erholung der Agromärkte. Der gelernte Chemiker gehört zu den angesehensten Vertretern seiner Branche. Früher arbeitete er bei der Unternehmensberatung McKinsey, davor war er Forschungsdirektor am California Institute of Technology. Mit einem Kursziel von nur 90 Dollar zählt er – ähnlich wie seine Kollegen von Barclays und Goldman Sachs - zu den Monsanto-Pessimisten.

Oxgaard verweist dabei vor allem auf die schwierige Situation in der US-Landwirtschaft, dem Stammmarkt von Monsanto. Die Landwirte dort leiden seit Jahren unter fallenden Preisen. Erzielten sie 2013 noch einen Umsatz von 124 Milliarden Dollar, so halbiert sich ihr Einkommen 2016 fast auf 71,5 Milliarden Dollar.

Die Bauern müssen sparen, an Traktoren sowie an Saatgut. Besserung ist nicht in Sicht: Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte der Düngemittelhersteller CF Industries eine skeptische Prognose für das kommende Jahr. „Die Situation wird schlimmer und schlimmer“, so Oxgaard. Nach seiner Berechnung beläuft sich für Bayer die Rendite auf das investierte Kapital auf sieben Prozent. Minimum wären zehn Prozent. „Wenn ich als Chef von Bayer das meinem Aufsichtsrat präsentieren würde, müssten sie mich sofort vor die Tür setzen“, ergänzt er. 

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Optimisten wie die Experten von UBS, Jefferies und Macquarie, die Kursziele von 125 bis 132 Dollar für Monsanto gesetzt haben. Die Deutsche Bank und JP Morgan gehen davon aus, dass sich eine Übernahme für Bayer auch noch zum Kurs von 135 Dollar lohnen würde.

Die Analysten der Deutschen Bank etwa schätzen, dass Monsanto bis 2020 rund 4,4 Milliarden Euro Betriebsgewinn für Bayer erzielen könnte, gegenüber weniger als 2,5 Milliarden Euro im Jahr 2016. „Der Deal könnte fünf bis elf Prozent Zusatzbeitrag zum Gewinn je Aktie liefern“, schreiben die Analysten der Bank, „sowie weitere vier Prozent, wenn Bayer die angestrebten Synergien von 1,5 Milliarden Dollar realisiert.“


Saatgut-Nachfrage steigt nur langsam an

Die Experten sehen den Agrar-Zyklus auf einem Tiefpunkt, von dem aus es wieder nach oben gehen wird. JP Morgan unterstellt in einer Analyse sogar knapp 5,5 Milliarden Euro zusätzliches Ebit und drei Milliarden Euro zusätzlichen Reingewinn, den Bayer mit Monsanto 2020 erzielten könnte.

Das Grundargument der Optimisten lautet dabei: Die Weltbevölkerung wächst weiter, mit einer immer größeren Mittelschicht, die immer anspruchsvoller isst. Das wiederum, so die Erwartung, treibt die Nachfrage nach Weizen, Mais oder Soja. Monsanto-Chef Grant etwa sieht für Mais und Soja ein langfristiges Nachfragewachstum von drei bis vier Prozent pro Jahr.

Allerdings gibt es auch Analysen, die eine Fortschreibung des Trends der zurückliegenden Jahre in Frage stellen: Ein großer Teil des Landwirtschaftsbooms in den USA war seit 2006 dem Ethanol zu verdanken. Doch das Biobenzin ist immer weniger gefragt, nachdem der Ölpreis zuletzt dramatisch gesunken ist und laut Analyse von Energieexperten wohl weiter unter Druck bleiben wird.

Wunderdinge von der chinesischen Mittelschicht zu erwarten, erscheint aus Sicht der Skeptiker ebenfalls fehl am Platz. Denn ebenso wenig, wie chinesische Autofahrer den Ölpreis nach oben getrieben haben, haben sie auch die Agrarpreise beflügelt. „Seit 20 Jahren höre ich: Immer mehr Chinesen essen mehr Schweinefleisch, die Schweine brauchen Futter, das führt zu einem dramatischen Nachfrageanstieg“, sagt Analyst Oxgaard. „Aber das ist nicht eingetreten.“

Es stellte sich aus seiner Sicht vielmehr heraus: Wird Schweinefleisch teurer, essen die Leute es weniger. Eine Analyse der landwirtschaftlichen Daten aus 150 Jahren zeigt: Alle 40 Jahren gibt es einen Aufschwung, zuletzt 2006, wenn schlechtes Wetter auf eine hohe Nachfrage stößt. Davor war der letzte Boom 1974. Historisch gesehen wächst die Nachfrage ansonsten stetig und explodiert nicht. Beispielsweise wächst die Weizennachfrage um 1,5 bis zwei Prozent pro Jahr. Das schafft die globale Landwirtschaft durch bessere Technik und neue Ländereien wie in Russland auszugleichen.


„Wer sagt, dass Monsanto nicht das Myspace oder Yahoo sind?

Auch Studien wie die von der Weltgesundheitsbehörde sagen einen Nachfrageanstieg nach Landwirtschaftsprodukten in den nächsten 40 Jahren von jährlich nur ein bis zwei Prozent voraus. Das entspricht ungefähr dem historischen Ertragszuwachs der globalen Landwirtschaft. „Die Nachfrage wächst, kann aber befriedigt werden“, meint Oxgaard. „Das Argument rettet Monsanto nicht.“

Ähnlich umstritten sind die großen Hoffnungen, die Monsanto-Chef Grant in sein neues Geschäftsfeld digitale Landwirtschaft setzt. Über seine Tochter Climate Corporation verkauft Monsanto den Bauern Daten zu Wetter und Bodenverhältnissen, mit deren Hilfe der Einsatz von Saatgut oder Pflanzenschutzmitteln optimiert werden kann. Bayer-Chef Baumann nannte das mit einen der Gründe für den Kauf: Monsanto stünde „ganz vorne bei der digitalen Landwirtschaft“.

Allerdings gibt es bislang noch keine Umsätze, die ins Gewicht fallen – obwohl Monsanto bereits bis zu zwei Milliarden Dollar dafür ausgab. Zudem schläft die Konkurrenz nicht. Syngenta kaufte mehrere Unternehmen in dem Bereich, Dupont weitet sein Angebot Encirca aus und Traktorenhersteller wie Deere oder Agco bauen Software und Datenverarbeitung in ihre Landwirtschaftsgeräte ein.

Nach eigener Prognose will Monsanto 2020 rund 200 Millionen Dollar Umsatz mit dem Geschäft erzielen. Selbst bei einer großartigen Gewinnmarge von 50 Prozent wäre das im Verhältnis zur Gesamtbewertung von Monsanto immer noch Kleingeld. „Wir wollen das Amazon der Landwirtschaft werden“, sagt Grant. Ohne Frage ist die Geschäftsidee vielversprechend, allerdings steckt sie noch in den Kinderschuhen. „Wer sagt, dass sie anstatt Amazon nicht das Myspace oder Yahoo sind?“, fragt Analyst Oxgaard.

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