WirtschaftsWoche: Herr Winkler, Sie sind Ökonom. Wie fühlt sich ein Nichtingenieur in einer Technikbranche?
Reiner Winkler: Gut. Wir hatten bei der MTU in den vergangenen Jahren immer wieder Ökonomen als Chefs. Spätestens seitdem wir 2005 an die Börse gegangen sind, kommt es nicht mehr nur darauf an, was technisch möglich ist. Am Ende müssen wir auch Geld verdienen.
Seit Ihrem Start vor einem Jahr haben Sie nach und nach die Ziele Ihres Vorgängers Egon Behle kassiert. Warum?
Wir haben die Ziele nicht einfach kassiert. Wir setzen heute einen anderen Maßstab für unsere Prognosen: weg von absoluten Umsatz- und Gewinnzahlen, hin zu relativen Zahlen wie Steigerungsraten und Umsatzrenditen.
Zur Person
Winkler, 53, ist seit Januar 2014 MTU-Chef. Bevor der Diplom-Kaufmann 2001 als Finanzchef zu dem Münchner Triebwerkshersteller kam, arbeitete er als Controller unter anderem bei Daimler und Siemens.
Was soll das? Entscheidend ist doch der Betrag, der unter dem Strich steht.
Nehmen Sie den schwachen Euro und spiegelbildlich dazu den starken Dollar. Unsere jährlichen Dollar-Einnahmen ergeben zum heutigen Wechselkurs fast eine Milliarde Euro mehr Umsatz als zu den Kursen vom Sommer 2014 – und das, ohne dass sich an unserer Arbeit etwas geändert hätte. Wenn wir dagegen währungsbereinigte Wachstumsraten prognostizieren, wird das Bild klarer, vor allem für unsere Investoren.
Ist das denen nicht zu vage?
Ganz im Gegenteil. Das spiegelt auch unser Aktienkurs wider: Er ist seit November um mehr als ein Viertel gestiegen.
Ihr Ergebnis vor Steuern und Zinsen liegt heute bei 9,5 Prozent vom Umsatz. Was versprechen Sie Ihren Aktionären?
Bis 2017 erwarten wir aufgrund unserer Investitionen nur eine moderate Margenentwicklung. Ab 2018 soll die Rendite deutlicher steigen. Bis dahin wird die Serienproduktion neuer Triebwerke hochgefahren sein, anschließend wird das profitablere Geschäft mit Ersatzteilen und Instandhaltung stärker wachsen. Das wird sich auch in den Zahlen niederschlagen.
Dafür profitieren Sie jetzt von dem starken Dollar, weil Sie für Einnahmen in der US-Währung mehr Euro bekommen.
Das ist richtig. Deshalb erwarten wir 2015 ein operatives Ergebnis von 420 Millionen Euro, knapp zehn Prozent mehr als 2014.
Die großen Triebwerkshersteller
Umsatz 2014: 24,0 Milliarden Dollar
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr: +9,5 %
Anteil Rüstung: 17 Prozent
Operativer Gewinn: 5,0 Milliarden Dollar
Abnehmer: Airbus (A320, A380), Boeing (737, 747, 777, 787)
Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 14,5 Milliarden Dollar
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr: +0,0 %
Anteil Rüstung: 45 Prozent
Operativer Gewinn: 2,0 Milliarden Dollar
Abnehmer: Airbus (A320, A380), Boeing (777), Lockheed Martin (Joint Strike Fighter)
Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 13,8 Milliarden Dollar
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr: -3,6 %
Anteil Rüstung: 30 Prozent
Operativer Gewinn: 2,0 Milliarden Dollar
Abnehmer: Airbus (A350, A380)
Quelle: Unternehmen
Umsatz 2014: 4,8 Milliarden Dollar
Veränderungen gegenüber dem Vorjahr: +9,5 %
Anteil Rüstung: 14 Prozent
Operativer Gewinn: 0,4 Milliarden Dollar
Abnehmer: Airbus (A320, A380, A400M), Boeing (777)
Quelle: Unternehmen
Wieso nur zehn Prozent mehr, der Wert des Dollar ist seit Juli 2014 doch um ein Viertel gestiegen?
Weil wir unsere Dollar-Einnahmen zu einem niedrigeren Kurs gesichert haben. Das aktuelle Kursplus kommt deshalb nur zu 30 Prozent bei uns an. 2016 werden es 50 Prozent und 2017 schon 70 Prozent sein...
...sofern der Dollar auf dem heutigen Niveau bleibt.
Genau weil dies nicht vorhersagbar ist, prognostizieren wir keine absoluten Zahlen mehr.
Der Anteil der Rüstung beträgt bei MTU heute rund 14 Prozent. Wie tief wird er fallen, wenn Deutschland und andere Staaten weniger Eurofighter und damit weniger Ihrer Triebwerke kaufen?
Wir rechnen erst einmal nicht mit einem weiteren Rückgang. Allerdings wird aufgrund des Wachstums in den anderen Bereichen der Anteil des Militärgeschäfts mittel- und langfristig auf etwa zehn Prozent sinken.
"Beim A400M rechnen wir mit weiteren Exportaufträgen"
Wären denn Ihre Triebwerke nicht auch etwas für militärische Drohnen?
Nein. Die Triebwerke für diese Fluggeräte sind technologisch weniger anspruchsvoll, und ihre Leistung ist deutlich geringer.
Was erhoffen Sie sich vom Airbus-Militärtransporter A400M, für den MTU einen Teil der Triebwerke baut?
Beim A400M rechnen wir mit weiteren Exportaufträgen. Das Flugzeug hat wenig Konkurrenz. Aktuell warten potenzielle Kunden ab, wie sich der A400M im Alltag bewährt. Wenn er dabei überzeugt hat, folgen sicher die Aufträge.
Wie die großen Triebwerkshersteller ihre Motoren effizienter machen
Um gleichzeitig den Verbrauch und den Lärm zu senken, gehen die großen Triebwerkshersteller grundlegend andere Wege. Pratt & Whitney, Tochter des US-High-Tech-Konzerns United Technologies, setzt zusammen mit der Münchner MTU auf eine revolutionäre Neuerung: das Getriebe. Bislang waren alle Triebwerksteile fast starr verbunden und rotierten gleich schnell. Dabei wäre es effizienter, wenn sich der hintere Teil mit der Brennkammer schneller drehte als der vordere mit den großen Triebwerksschaufeln. Das Getriebe, von Pratt und MTU entwickelt, trennt erstmals die Teile. Auch der Turbinenhersteller Rolls-Royce setzt auf die neue Technik.
Der weltgrößte Triebwerksbauer General Electric (GE) hingegen feilt vorerst am bestehenden Turbinenkonzept. In den neuen Leap-Motoren, die GE mit dem französischen Partner Snecma baut, ersetzen besonders widerstandsfähige Keramiken die bisher in der Brennkammer üblichen Metalle. Das ermöglicht höhere Temperaturen von gut 1600 Grad, bei denen der Motor mehr Energie aus dem Flugbenzin herausholt.
Welches Konzept die Nase vorn hat, ist noch offen. "Wenn eine technisch versierte Linie wie die Lufthansa beide Triebwerkstypen bestellt, scheinen sie ähnlich gut zu sein", glaubt Cay-Bernhard Frank, Luftfahrtexperte bei der Unternehmungsberatung A.T. Kearney.
Kerosin kostet heute halb so viel wie vor einem Jahr. Da ist es für viele Fluglinien günstiger, alte abgeschriebene Jets weiter zu fliegen, als mit neuen Sprit zu sparen. Wie sehr bremst das die Nachfrage?
Wir erwarten keinen Rückgang bei den Auslieferungen. 60 Prozent der Aufträge in den Büchern sind kein Ersatz für alte Flugzeuge, sondern sollen gerade in Asien und Lateinamerika die wachsende Nachfrage bedienen. Keine Fluglinie storniert eine Bestellung, nur weil der Spritpreis ein paar Monate niedrig ist. Viele Experten erwarten, dass der Kerosinpreis wieder steigen wird.
Um die Nachfrage zu bedienen, will Airbus vom Mittelstreckenjet A320 statt heute knapp 40 pro Monat künftig gut 50 Exemplare bauen. Viele Zulieferer fürchten, die Steigerung nicht zu schaffen. Sie auch?
Nein. An uns sollte eine höhere Produktionsrate nicht scheitern. Wir sind in der Lage diese höheren Stückzahlen umzusetzen, wenn wir mehr als ein halbes Jahr im Voraus davon erfahren.
Sie sind an einem der beiden Triebwerkstypen für den Superjumbo Airbus A380 beteiligt. Nun fordert die Fluglinie Emirates aus Dubai als größter Kunde eine neue Version des A380 mit effizienteren Triebwerken. Wären Sie dabei?
Bei dieser Frage zum A380neo sind vor allem Airbus und die Engine Alliance, also die Triebwerkshersteller General Electric und Pratt & Whitney, gefragt. Ein neues Triebwerk könnte den Verbrauch des A380 spürbar senken. Jedoch zählt letztendlich, wie viele Flugzeuge mehr verkauft werden und ob dies den Kostenaufwand deckt.
Autos werden bald elektrisch, wann ist es bei Flugzeugen so weit?
Das kann ich mir für die nächsten 20 bis 30 Jahre nicht vorstellen. Auf absehbare Zeit lassen sich keine Batterien entwickeln, mit denen ein Verkehrsflugzeug abheben kann. Dafür ist die Technik zu unwägbar.