Linde, man muss es so deutlich sagen, hat in den vergangenen Monaten seine innere Ordnung verloren. Erst zwei Gewinnwarnungen, die den Aktienkurs des Konzerns auf eine seit langem nicht gesehene Talfahrt geschickt hatten. Dazu kam der Streit zwischen Vorstandschef Wolfgang Büchele und seinem Finanzvorstand Georg Denoke über den richtigen Umgang mit den Warnungen. Der Zwist der beiden Manager wuchs sich schließlich zu einem veritablen Machtkampf aus.
Probleme im Geschäft, vor allem beim Anlagenbau und beim Absatz medizinischer Gase in den USA, sorgten für zusätzliche Nervosität in München. Schließlich die geplatzten Gespräche über eine Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair. Viele Anleger rieben sich überrascht die Augen: Was ist los beim lange Zeit so ruhig und stabil dahin segelnden Linde-Konzern? Mit einem radikalen Umbau sowie geschickten Zu- und Verkäufen hatte Reitzle den 18-Milliarden-Euro-Umsatz-Konzern in seinen elf Jahren als Vorstandschef von 2003 bis 2014 schließlich zu einem hoch profitablen und schlagkräftigen Unternehmen geformt.
An diese Zeiten will der schillernde Manager nun offenbar anknüpfen – und macht Nägel mit Köpfen. Denoke wird das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlassen, Büchele seinen im April 2017 auslaufenden Vertrag nicht verlängern. Linde sucht extern nach einem Nachfolger für den früheren BASF-Manager.
Die Umsätze der Linde Group 2015 nach Segmenten
2 594 Millionen Euro
182 Millionen Euro
(einschl. Konsolidierung)
Die Personalentscheidungen sind absolut richtig. Ein Finanzvorstand, der die Aktivitäten des Vorstandschefs gezielt hintertreibt, ist nicht tragbar. Denoke hätte im Grunde schon früher gehen müssen. Büchele dagegen, der seinen Job in München vor gut zwei Jahren angetreten hatte, war mit Linde nie richtig warm geworden. Nach den Jahren der straffen Führung unter Reitzle versuchte der Neue einen Kulturwandel hin zu einem lockeren Umgang. Doch nicht wenige im Konzern fragten sich schnell, warum auf einmal alles anders werden müsse – Linde hatte in all den Jahren doch gut funktioniert. Wirklich überzeugt war Reitzle von den Qualitäten Bücheles nie und hatte es diesen in letzter Zeit auch deutlich spüren lassen.
Das ist die Linde Group
1879 gründete Carl von Linde das Unternehmen, das heute nach eigenen Angaben das größte Gase- und Engineeringunternehmen der Welt ist. Das Unternehmen stellt eine große Bandbreite an Industrie-, Spezial- und medizinischen Gasen und Gasgemischen her. Das Unternehmen ist in drei Divisionen aufgeteilt: Industriegase & Medizinische Gase, Anlagenbau und Logistikdienstleistungen.
Quelle: Linde Finanzbericht 2016
Umsatz: 17.345 Millionen Euro
Ergebnis nach Steuern: 1.252 Millionen Euro
Mitarbeiter: 59.774 weltweit
Umsatz: 16.948 Millionen Euro
Ergebnis nach Steuern: 1.275 Millionen Euro
Mitarbeiter: 59.715 weltweit
Der neue starke Mann bei Linde ist nun bis auf Weiteres Chefkontrolleur Reitzle. Als der frühere Automanager im Mai an die Spitze des Aufsichtsrates rückte, jubelten die Anleger. Doch seine Aufgaben sind schwierig. Am schleppenden Geschäft im Anlagenbau wird auch das Wunderkind der deutschen Wirtschaft wenig ändern können. Die Ursachen liegen unter anderem im niedrigen Ölpreis und den Krisen in Schwellenländern wie Brasilien und Russland.
Außerdem: Für die geplatzten Fusionsgespräche mit Praxair trägt Reitzle zumindest eine Teil-Verantwortung. Wie sich nun zeigt, war Linde von Anfang an nicht mit einer klar geschlossenen Front zu den Konditionen des Mergers in die Gespräche mit den Amerikanern gegangen.
Das wichtigste dürfte nun allerdings sein, das Unternehmen wieder in ruhigeres Fahrwasser zu bringen – und einen neuen Vorstandschef zu suchen. Es wird spannend sein, zu sehen, wen der machtbewusste Reitzle neben sich duldet.