Als Technik-Vorstand Volker Kefer beim Neujahrstreffen der Deutschen Bahn in Berlin im Januar dieses Jahres auf das Problem mit den neuen Doppelstockwagen angesprochen wurde, holte er Stift und Papier und gab den anwesenden Journalisten Nachhilfe in Physik. Er malte auf, wie sich ein Zug auf der Schiene bewegt. Die Räder folgen dem Profil einer Sinuskurve. Sie rollen über den Stahl gleichmäßig ein paar Millimeter nach links und wieder nach rechts. Immer abwechselnd, das ist völlig normal.
Die Sinuskurve könnte erklären, warum die Doppelstockzüge (Dostocks) von Bombardier, die seit Dezember 2015 auf Nebenstrecken der Deutschen Bahn zum Einsatz kommen, hin und wieder wanken. Fahrgäste meldeten gleich nach der Jungfernfahrt ein komisches Gefühl. Die Züge schaukeln sich auf Teilabschnitten auf, etwa in der Nähe von Leipzig oder zwischen Hannover und Bremen.
Kefers Theorie folgten damals weitere Erklärungsversuche: Die Stoßdämpfer der Fahrzeuge könnten schlicht fehlerhaft oder die Schienen unrund abgeschliffen sein. Kefer versprach Ursachenforschung und baldige Abhilfe. Bis es soweit sei, fahre der Zug auf Teilabschnitten mit reduzierter Geschwindigkeit.
Seitdem wurde viel gerätselt, diskutiert und vermutet. Doch der Doppelstock-Intercity der Deutschen Bahn wackelt auch noch acht Monate später. Eine konkrete Lösung für das Aufschaukeln, das den Fahrkomfort für die Fahrgäste beeinträchtigt, haben Bahn und Bombardier noch nicht erarbeitet. Immerhin wurden mittlerweile „zwei Lösungsansätze identifiziert“, heißt es bei Bombardier.
Erstens: Durch eine „Überarbeitung des Feder- und Dämpfersystems“ müsste eine spürbare Verbesserung des Fahrkomforts erreicht werden können.
Zweitens: Eine „zusätzliche Änderung der Lauffläche des Rades“ soll das Wanken weiter deutlich reduzieren.
Neue Züge der Deutschen Bahn
Die neuen ICx von Siemens erhalten eine Beleuchtung, die sich an Zeit und Außenstimmung anpasst. Zudem erlauben sie die Mitnahme von Rädern. Die ersten der 130 bestellten Züge kommen 2017. Investition: 5,3 Milliarden Euro. Pro Jahr liefert Siemens 20 Stück. Ein rund 200 Meter langer Zug besteht beim ICx aus sieben statt acht Wagen wie beim ICE. Das senkt Kosten und bringt mehr Sitzplätze. Siemens baut zwei Modelle: 345 und 202 Meter lang, Höchsttempo 249 und 230 Kilometer pro Stunde.
Die Doppelstockzüge von Bombardier kommen vor allem auf Nebenstrecken zum Einsatz. Anders als im Nahverkehr, wo sie bereits als Regionalexpress unterwegs sind, erhalten die 44 bestellten Dostocks das blaue Velours-Ambiente eines Intercity. Investition: 660 Millionen Euro. Es gibt keinen Schnickschnack: Sitzreihen und Toiletten sind enger, kein Bordrestaurant, stattdessen mobiler Gastro-Service. Betriebliche Vorteile: Die Züge sind in der Länge variabel und gelten als extrem verlässlich.
Doch das braucht Zeit. Vor allem die Änderungen am Dämpfersystem müssten durch das Eisenbahnbundesamt (Eba) genehmigt werden. Bahn und Bombardier rechnen zwar bis Anfang 2017 mit der nötigen Zulassung. Dann könnte die Maßnahme „auf die Flotte ausgerollt werden“. Doch die Unternehmen wissen, wie schnell man sich beim Eba verschätzen kann. Die fehlende Zulassung neuer Komponenten bei der letzten ICE-Auslieferung von Siemens führte zu jahrelangen Verzögerungen. Bei Bombardier standen außerdem Regionalzüge lange Zeit bewegungslos im Depot, weil die Bremssteuerung nicht ordentlich funktionierte.
Immerhin gilt das Aufschaukeln der Züge nicht als sicherheitsrelevant. Eine Zulassung durch das Eba könnte also schneller als üblich erfolgen. Außerdem klagt noch nicht einmal jeder Passagier über Schwindelgefühle. Interessanterweise merken viele Fahrgäste das Wackeln gar nicht.
Bahn braucht den Dostock-Intercity dringend
Dennoch werfen die ungelösten Probleme am neuen Vorzeigezug der Deutschen Bahn ein schlechtes Bild auf den Hersteller. Bombardier kämpft seit Jahren mit Qualitätsproblemen. Es wirkt, als könnten selbst kleinere Fehler das Unternehmen überfordern. Das Unternehmen befindet sich derzeit in einem Restrukturierungsprozess. In der Branche gibt es Spekulationen, das Unternehmen könnte die Zahl der Arbeitsplätze in ganz Europa stark reduzieren - auch in Deutschland.
Dabei sah anfangs alles ganz gut aus. Bombardier bekam von der Deutschen Bahn 2011 den Zuschlag zum Bau von zunächst 27 Zügen mit je vier Doppelstockwagen. Das Auftragsvolumen liegt bei mehreren Hundert Millionen Euro.
Doppelstock-Züge sind im Nahverkehr seit Jahren erfolgreich im Einsatz, ihre technische Weiterentwicklung schien für Bombardier somit nur Formsache. Doch der deutsch-kanadische Konzern lieferte die ersten Garnituren trotzdem um zwei Jahre verspätet. Und jetzt belastet das Wackel-Problem das Image des einstigen Qualitätsführers.
Die Deutsche Bahn braucht die Züge dringend. Sie gelten als ideale Waffe im Kampf gegen die Fernbus-Konkurrenz. Der Doppelstock-Intercity drückt die Kosten pro gefahrenen Zug-Kilometer auf 18 Euro – eine Reduzierung um sieben Euro. Auf Bordrestaurants, die den Betrieb verteuern, verzichtet die Bahn. Außerdem passen in den zwei Etagen besonders viele Passagiere in einen Zug. Die Dostocks sollen den Fernverkehr vor allem in die Fläche bringen.
Das neue Konzept der Deutschen Bahn, das für den Zeitraum bis 2030 ausgelegt ist, funktioniert nur dann gut, wenn die Züge pünktlich sind. Intern hofft der Konzern, die Pünktlichkeit mittelfristig auf 85 Prozent zu heben. Der Wert gilt intern als magische Größe, um die Verlässlichkeit bei den Umsteigeverbindungen deutlich zu erhöhen.
In den ersten sieben Monaten lag die Pünktlichkeitsquote im Fernverkehr im Schnitt bei 79 Prozent – zu wenig für die ausgerufene Pünktlichkeitsoffensive. Wenn die Bahn nun die Geschwindigkeit der Dostocks dauerhaft reduzieren müsste, um ein Wackeln zu verhindern, könnte das auch die Qualität im Fernverkehr negativ beeinflussen. Die Zeit drängt.