Ruhe im Konzern, mehr Profitabilität und keine betriebsbedingten Kündigungen. Der neue Siemens-Chef Kaeser umreißt sein Programm. Er gibt zu: Siemens ist zuletzt zurückgefallen. Dass er an einer Intrige gegen Vorgänger Löscher beteiligt gewesen sein soll, sei „Unsinn“, sagte er dem "Focus"
Der neue Siemens-Chef Joe Kaeser geht nach dem turbulenten Wechsel an der Konzernspitze in die Offensive. In mehreren Zeitungsinterviews kündigte der 56-Jährige an, Siemens in Sachen Technik, Qualität und Profitabilität wieder an die Weltspitze führen zu wollen. Als erstes solle nun aber wieder Ruhe im Unternehmen einkehren. Der neue Chef bestritt, einen Anteil am Abgang seines Vorgängers Peter Löscher gehabt zu haben. „Ich habe mit Herrn Löscher sehr gut zusammengearbeitet und war an seiner Ablösung nicht beteiligt“, sagte Kaeser den „Nürnberger Nachrichten“.
Der Aufsichtsrat habe entscheiden müssen, ob Löscher das Amt weiter führen soll - und falls nicht, wer dann nachfolgen sollte. „Ich stand ständig mit Herrn Löscher in Kontakt und wir haben uns beide darüber ausgetauscht, dass wir nicht gegeneinander arbeiten“, sagte Kaeser.
Der bisherige Finanzvorstand Kaeser hatte nach einem beispiellosen Machtkampf den Chefposten bei Deutschlands größtem Elektrokonzern von Löscher übernommen. Löscher war über eine Serie von Rückschlägen und zuletzt über eine neuerliche Gewinnwarnung gestürzt. Auf Kaeser wartet eine Reihe von Baustellen.
Wo Siemens den Anschluss verpasst hat
Nach jahrelangen Verlusten verkaufte Siemens das Handygeschäft an die später in die Pleite geschlitterte BenQ. Die Heimtelefone wurden ins selbstständige Unternehmen Gigaset ausgelagert.
Weil Siemens bei der Technologie für Kommunikationsnetzwerke hoffnungslos hinterherhinkte, schob man das Geschäft in das Joint-Venture NSN ab, das Nokia jetzt komplett übernimmt.
Auch im einst großen IT-Geschäft geriet Siemens ins Hintertreffen und verkaufte: Die Hardware ging an den japanischen Partner Fujitsu, die IT-Dienstleistungen an die französische Atos.
Im Jahr 2000 brachte Siemens seine Chipaktivitäten als Infineon an die Börse; passive Bauelemente wie Transistoren wurden als Epcos abgespalten. Sie gehören heute TDK aus Japan.
Weil Siemens den anhaltenden Preisdruck und die notwendigen Investitionen nicht allein stemmen wollte, ging die Lichttochter Osram Anfang Juli an die Börse.
Kaeser hatte stets betont, eng an der Seite Löschers zu stehen, doch bei Gelegenheit ließ er auch Zweifel an dessen Kurs durchschimmern. So soll er frühzeitig beim Aufsichtsrat vor Defiziten des von Löscher initiierten Sparprogramms gewarnt haben. Mit Blick auf Löschers Ziel, 100 Milliarden Umsatz zu erreichen, sagte Kaeser dem „Spiegel“: „Ich habe lediglich bisweilen darauf hingewiesen, dass solche Ziele mit konkreten Inhalten unterlegt sein müssen.“
Kaeser ist seit 33 Jahren bei Siemens. Manche bezweifeln, dass er der Richtige ist, um alte Strukturen aufzubrechen. Er selbst nannte seine lange Zugehörigkeit zum Konzern gegenüber dem Spiegel einen Vorteil, da man ein Netzwerk habe, "und die Mannschaft gut kennt und vice versa. Die Nachteile sind, dass einem Erfahrungen aus anderen Unternehmen fehlen und die internationalen Verbindungen vielleicht nicht so ausgeprägt sind."
Sein Verhältnis zur IG Metall bezeichnete Kaeser als „sehr konstruktiv“. Die Beschäftigten könnten sich darauf verlassen, dass es auch künftig keine betriebsbedingten Kündigungen bei Siemens Deutschland geben werde, sagte er der „Passauer Neuen Presse“ (PNP).
Wettbewerbern wieder "Angst einflößen"
Der 56-Jährige gab zu, dass Siemens zuletzt zurückgefallen ist. „Wir als Management und als Unternehmen haben uns selbst das Ziel gesetzt, nicht nur technisch und qualitativ, sondern auch in Sachen Profitabilität zu den Besten in der Welt zu gehören. Das ist uns in den vergangenen Jahren nicht mehr so gut gelungen wie es noch 2009, 2010 und in weiten Teilen von 2011 der Fall war“, sagte Kaeser der PNP.
Die zu starke Innenorientierung des Konzerns müsse aufhören. Dafür müssten Kundennähe, Ingenieurskunst, Innovation, das Gespür für Qualität und Zuverlässigkeit sowie finanzielle Stabilität wieder in den Vordergrund rücken - „das, wofür Siemens bekannt ist“, sagte Kaeser den „Nürnberger Nachrichten“.
Der PNP sagte der Niederbayer: „Letztlich müssen wir unseren Wettbewerbern wieder Angst einflössen - statt uns darüber zu unterhalten, was das nächste Problem bei Siemens ist oder welche Personalie als nächste über den Flurfunk geht.“
Von einer Krise könne bei Siemens „bei einem Nachsteuergewinn von circa vier Milliarden Euro im Jahr“ dennoch keine Rede sein. „Wir brauchen aber einen branchenbezogenen Ertragsdurchschnitt.“ Die Mitarbeiter sollten zudem Erfolgsprämien bekommen. „Das geht aber nur, wenn die Firma dauerhaft ausreichend Gewinne erzielt.“
Ziel sei, in Bereichen zu wachsen, in denen Siemens möglichst unabhängig sei von Konjunktur und weltwirtschaftlichen Verwerfungen. Als Beispiele nannte Kaeser Elektrizität und Kühlung für die gigantischen Server-Zentren weltweit. Oder das „Fracking“: Um Öl und Gas mit Hochdruck aus dem Boden zu pressen, seien Hochleistungspumpen und elektrischer Strom nötig - „das ist unser Thema“.
Das Programm „Siemens 2014“, mit dem Löscher die Kosten im Konzern um sechs Milliarden Euro drücken wollte, will Kaeser in der Sache unverändert weiterführen. Der Sparplan sieht unter anderem den Abbau von 4000 Stellen im Industriesektor vor. Arbeitnehmervertreter rechnen insgesamt mit 10.000 Stellen, die in Folge der Sparbemühungen wegfallen. Siemens beschäftigt allein in Deutschland 130.000 Mitarbeiter. Sie sind größtenteils durch Betriebsvereinbarungen vor Entlassungen geschützt.
In Bezug auf das konkrete Renditeziel seines Vorgängers von zwölf Prozent Marge sagte Kaeser, man dürfe sich nicht so fest an bestimmte Zahlen klammern, sondern müsse den Abstand zu den Wettbewerbern bei der Profitabilität wieder aufholen. „Ob dann die Rendite bei zehn, zwölf oder bei irgendeiner anderen Zahl liegt, ist nicht entscheidend.“