Ölkonzerne unter Druck Schrumpfen, sterben, neu erfinden

Nach mehr als zwei Jahren Krise hoffen die Ölmultis auf die Wende. Doch im Kampf um Marktanteile geraten BP, Exxon und Co. verstärkt ins Hintertreffen. Ändern sie nicht rasch ihr Geschäftsmodell, droht der Untergang.

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Alleine die vier Ölgiganten BP, Exxon, Shell und Chevron haben zusammengerechnet in den vergangenen Jahren einen Schuldenberg von 184 Milliarden Dollar angehäuft. Quelle: Imago

Düsseldorf Euphorische Ansprachen sind Ben van Beurden völlig fremd. Der Chef des britisch-niederländischen Ölmultis Shell zählt zu den großen Mahnern seiner Branche. Stets betont der Manager mit dem akkuraten Seitenscheitel, dass seine Industrie vor „großen Herausforderungen“ steht und die Aussichten „ungewiss“ bleiben. Umso überraschender daher, wie positiv sich van Beurden diese Woche äußerte.

Bei dem Ziel, Shell wieder in einen „Weltklasse Investment-Case“ zu verwandeln, habe man „gute Fortschritte“ gemacht, schrieb der Niederländer in einer Mitteilung. Dank einer „starken operativen Performance“ konnte sein Konzern im dritten Quartal „bessere Resultate“ erzielen. Neue Projekte würden den Cashflow zudem künftig „erhöhen“. Tatsächlich verkündete Shell nach einem Verlust von mehr als sechs Milliarden Dollar im Vorjahr jetzt einen Gewinn nach neun Geschäftsmonaten von fast 1,5 Milliarden Dollar. Die Botschaft ist klar: Es geht allmählich bergauf.

Nach mehr als zwei Jahren Dauerkrise melden neben Shell auch andere Ölkonzerne wie der US-Riese Exxon oder die französische Total erste Erfolge ihrer Sparprogramme. Zwar schrumpfen die Umsätze der Unternehmen weiter kontinuierlich, aber die Gewinne erodieren nicht mehr ganz so stark, wie von Analysten zuvor befürchtet. Der Verfall des Ölpreises scheint zudem gestoppt, der Bodensatz erreicht.

Nun hoffen die Ölmultis auf die Wende. Doch selbst bei einem höheren Ölpreis geraten die Firmen zunehmend unter Druck. Ihr Geschäftsmodell schmiert ab. Staatliche Konkurrenten, neue Wettbewerber und strukturelle Probleme gefährden ihre Existenz.

„Die Phase der Restrukturierung ist noch nicht vorbei“, sagte Roland Rechtsteiner dem Handelsblatt. Der Energieexperte von Oliver Wyman berät und beobachtet seit 15 Jahren Unternehmen aus dem Öl- und Gassektor. Für Rechtsteiner ist klar: „Die Firmen müssen ihre Geschäftsmodelle weiter auf das sich ändernde Umfeld anpassen.“ Denn es ist augenscheinlich, dass BP, Shell und Co. im Kampf um Macht und Marktanteile verstärkt ins Hintertreffen geraten.

„Die großen staatlichen Ölkonzerne haben mittelfristig ein größeres Entwicklungspotenzial als die unabhängigen Ölmultis“, erklärt Rechtsteiner. Der Grund: Konzerne wie Saudi Aramco, die sich mehrheitlich im Staatsbesitz finden, können deutlich günstiger Öl fördern und werden ihr Geschäft etwa im Raffineriebereich international ausweiten – zulasten der börsennotierten Multis. 

Weil es kaum noch einfach zu erschließenden Ölreserven gibt, wird es immer schwieriger und teurer für die Multis, den wichtigsten Rohstoff der Welt aus dem Erdboden zu holen. Von 2001 bis 2014 haben die Multis ihre Explorationsausgaben nach Berechnungen der Unternehmensberatung Boston Consulting vervierfacht – von 25 Milliarden Dollar auf fast 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Gleichzeitig sind die Resultate der Mehrausgaben enttäuschend. Das Niveau neu erschlossener Ressourcen blieb unverändert – bei etwa 20 Milliarden Barrel Öläquivalent. In Folge sind die Gewinnmargen der Konzerne schon vor dem Ölpreisverfall erodiert. Zwischen 2012 und 2014 sind die Margen im Schnitt von acht auf 5,2 Prozent pro Jahr zusammengeschrumpft. Gewachsen sind bei den Ölmultis nur die Schulden: Sie haben sich in den vergangen 15 Jahren mehr als verdreifacht.


350.000 Jobs gestrichen

„Die Ölindustrie hat in der Vergangenheit oft wenig Wert auf Effizienz und Kostendisziplin gelegt“, erklärt Branchenkenner Rechtsteiner. Die Kosten der Multis, um neues Öl zu fördern sind explodiert – bei einzelnen Projekten gab es sogar Kostensteigerungen von bis zu 60 Prozent.  „Alle haben hohe Kosten, da sie in der Vergangenheit in besonders teure Projekte investiert haben“, sagte Roberto Cominotto dem Handelsblatt. Der Fondsmanager des Schweizer Vermögenverwalters GAM erläutert, dass insbesondere die gewagten Tiefseevorhaben der Konzerne und die Engagements in der Arktis oder in Ölsanden, die Unternehmen sehr teuer kommen.

Das rächt sich bei einem niedrigen Ölpreis. Heute ist ein Barrel Rohöl (159 Liter) mit rund 45 Dollar nicht einmal halb so viel wert wie noch Mitte 2014. Die Hoffnungen ruhen nun auf dem kommenden Jahr. Viele Experten glauben, dass der Ölpreis dann anzieht. Doch kaum jemand erwartet die alten Höchststände. Die Fondsgesellschaft GAM prognostiziert für 2017 durchschnittlich 60 Dollar pro Barrel – viel mehr werde es aber wohl nicht.

„Denn sobald der Preis über 60 Dollar steigt, wird der amerikanische Ölmarkt deutlich wachsen“, sagt Fondsmanager Cominotto mit Blick auf die US-Schieferölproduktion. Sie gilt als ein maßgeblicher Grund für das Überangebot an Öl in den vergangenen Jahren. Das Ölkartell Opec, in dem sich die wichtigsten Erdöl exportierenden Staaten rund um Saudi Arabien absprechen, und andere große Förderländer wie Russland konnten sich zudem trotz mehrerer Anläufe nicht auf eine Drosselung der Produktion einigen.

Die Rechnung der Multis, Phasen der Preisschwäche wie üblich einfach auszusitzen, geht daher nicht auf. Die großen Ölgesellschaften müssen ihr bisheriges Verhalten überdenken. „Ihr Geschäftsmodell können sie schwer beibehalten“, meint Cominotto. Unternehmen wie BP, Exxon oder Shell verlieren an Wettbewerbsfähigkeit, weil sie zu den Produzenten mit den höchsten Kosten zählen. „Bei Preisen von 60 bis 70 Dollar werden sie ihre Marktanteile nur schwer verteidigen können“, erwartet Cominotto.

Die Konzerne versuchen daher, weiterhin überall die Kosten zu drücken. Eine Billion Dollar an geplanten Investitionen hat die gesamte Ölbranche bereits zusammengestrichen. Die Beratungsfirma Graves & Co. schätzt zudem, dass in den vergangenen zwei Jahren mehr als 350.000 Jobs weltweit in der Öl- und Gasindustrie verloren gegangen sind. Dutzende Firmen gingen Pleite. Und der Branchenprimus Exxon Mobil warnt schon vor der nächsten Krise.


Digitalisierung als Rettung?

„Bleibt der Preis so niedrig wie im bisherigen Jahresverlauf, stehen nachgewiesene Ölreserven von 3,6 Milliarden Barrel aus den kanadischen Ölsanden und eine weitere Milliarde Barrel Öl aus anderen nordamerikanischen Ölfeldern auf dem Spiel“, schrieb der Konzern bei der Bekanntgabe seiner Quartalsergebnisse. Beim weltweit größten börsennotierten Ölkonzern stehen damit rund 19 Prozent der nachgewiesenen Reserven auf der Kippe. Es wäre die größte Korrektur seit 1999.

„Bei den Majors setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass es nichts bringt, um jeden Preis immer neue Reserven zu erschließen. Investitionen in neue Vorräte lohnen sich nur dann, wenn sich der Schatz auch zu vertretbaren Kosten aus dem Boden holen lässt“, sagt Oliver-Wyman-Experte Rechtsteiner. Der neue Fokus der Konzerne heißt: Effizienz statt schiere Masse. Randgeschäfte werden abgestoßen; die Riesen versuchen sich gesundzuschrumpfen.

Trotz der vergleichsweise hohen Kosten und neuen Wettbewerbern wie den Schieferölproduzenten können Unternehmen wie Chevron, ConocoPhillips oder Eni weiter eine wichtige Rolle spielen, glaubt Rechtssteiner. Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Multis ihren technologischen Vorsprung aufrechterhalten. Die Ausgangslage dafür ist gut.

Dank ihrer jahrzehntelangen Erfahrung sitzen die Majors auf einem „wahren Datenschatz, den sie in der heutigen, digitalen Zeit geschickt zu ihrem Vorteil einsetzen können, um weiterhin in den Produktionsländern gefragt zu sein“, erklärt Rechtsteiner. Der Energieexperte ist überzeugt: „Die Unternehmen, die bei der Exploration und Produktion verstärkt auf Digitalisierung setzen, können höhere Renditen erzielen“.

Innovative Ölmultis haben also durchaus Chancen, ihrem Untergang noch zu entrinnen. Gelingt es ihnen aber nicht, endlich wieder höhere Margen zu erzielen, drohen die Konzerne von ihrer Schuldenlast erdrückt zu werden. Alleine die vier Ölgiganten Exxon, Shell, BP und Chevron haben zusammengerechnet in den vergangenen Jahren einen Schuldenberg von 184 Milliarden Dollar angehäuft.

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