Die Verschwiegenheit erklärt sich vor allem damit, dass die undurchschaubaren Töchter vielfach mehreren Zwecken dienen. Zwar zählen die Minimierung der Steuerlast und die Ausnutzung von Sparmöglichkeiten zu den legitimen wie vornehmsten Pflichten eines Finanzchefs, weshalb die niedrigen Sätze auf sie wie Magneten wirken. Doch daneben gibt es auch auch andere Standortfaktoren, die Vorteile versprechen. "Steuern zu sparen ist ein angenehmer Nebeneffekt, rangiert aber unter allen Gründen nicht unter den ersten drei", sagt der Steuerfachmann eines Konzerns.
An Wilmington im US-Bundesstaat Delaware etwa reizt die Unternehmen ein ganzes Bündel an Vorzügen. Wer das Corporate Trust Center betritt, spürt sofort: Hier passiert unternehmerisch überhaupt nichts. Es gibt kaum Büros, fast nur schmucklose Schalter. "Bürozeit 8.30 bis 16 Uhr" steht auf einer Scheibe.
Unternehmen, die sich wie Daimler, Continental oder Bosch auf diese wenig repräsentative Weise in Delaware niedergelassen haben, sparen dadurch zunächst Steuern, und zwar vor allem für das US-weite Geschäft. Zwar müssen Firmen in Delaware auf alle Erträge die amerikanische Bundessteuer von bis zu 35 Prozent zahlen. Doch die zusätzlichen Steuern einzelner Bundesstaaten von bis zu zehn Prozent entfallen hier. Gewinne aus Lizenzen, Patenten, Marken- und Urheberrechten sind sogar komplett steuerfrei. Lediglich für die in Delaware erwirtschafteten Überschüsse kassiert der lokale Fiskus eine Abgabe. Aber das sind in der Regel nur überschaubare Minibeträge. Unternehmen reduzieren so ihr Steueraufkommen in den USA um Milliarden.
Dazu gebe es, sagt der Steuerexperte eines Dax-Konzerns, einen zweiten Effekt. Laufen die Einkünfte von Tochtergesellschaften aus dem Ausland oder anderen US-Bundesstaaten über Delaware, müssen sie beim deutschen Fiskus in der Regel erst ein Jahr später gemeldet und versteuert werden. "Das spart Cash", so der Experte.
Des Weiteren bietet Delaware zwei mindestens ebenso wichtige Vorteile: eine unbürokratische Verwaltung und ein zuverlässiges Rechtssystem. Schnell, günstig und unbürokratisch lässt sich in Delaware ein Unternehmen registrieren. „In New York dauert das Registrieren Wochen und ist teuer, in Delaware zahlen Sie ein paar Dollar für die Registrierung über einen Anwalt, und das Ganze geht in einem Tag über die Bühne“, sagt Reinhard Augustin von der Steuerkanzlei Augustin Partners. Um eine Firma mit der Rechtsform der LLC, der Limited Liability Company, zu gründen, "reicht ein Treuhänder vor Ort, und von denen gibt es viele in Delaware".
Wie Dax-Konzerne herumdrucksen
Die WirtschaftsWoche befragte 32 große deutsche Unternehmen zu ihrem Engagement in Steueroasen. Hier die merkwürdigsten Antworten.
Wir werden es diesmal nicht schaffen, ihnen zu dem Thema etwas zukommen zu lassen. Wir haben in dieser Woche schlicht keine Kapazität, Urlaub und Krankheit haben den Bereich reichlich dezimiert. Sorry! (Vollständige Antwort)
So hat die Registrierung im US-Bundesstaat Delaware - was von ähnlichen Journalistenanfragen regelmäßig verkannt wird - keinerlei steuerliche Konsequenzen, d.h. weder in den USA noch sonst wo. Delaware als Registrierungsstaat wird von sämtlichen US- und Nicht-US-Unternehmensgruppen allein aus US-gesellschaftsrechtlichen Gründen gewählt. (Gekürzte Antwort)
Ähnlich antworteten Henkel, Bosch, Continental, BASF und K + S.
(Anmerkung: Durch die Gründung in Delaware zahlen die Unternehmen nur die US-Bundesteuer. Die zusätzlichen Steuern einzelner Bundesstaaten von bis zu zehn Prozent entfallen hier. Gewinne aus Lizenzen, Patenten, Marken- und Urheberrechten sind sogar komplett steuerfrei. Lediglich für die in Delaware erwirtschafteten Überschüsse kassiert der lokale Fiskus eine Abgabe.)
"Siemens ist in mehr als 190 Ländern aktiv - und das seit mehr als 165 Jahren. In den meisten Ländern haben wir aus dieser Historie heraus gewachsene Vertriebs- oder Produktionsstandorte und damit Tochtergesellschaften. Über solche gewachsenen Strukturen hinaus ergeben sich Zahl und Ort der jeweiligen Gesellschaftseinheiten unter anderem aus Akquisitionen, die in der Vergangenheit stattgefunden haben." (Vollständige Antwort)
"Munich Re ist an vielen Standorten der Welt vertreten, wo wir vereinzelt auch deutlich niedrigere Steuersätze haben als in Deutschland. Die größte Steuerlast in absoluten Summen haben wir im Inland." (Vollständige Antwort).
Beiersdorf ist ein weltweit operierendes Unternehmen. Um nahe an unseren Kunden und Konsumenten zu sein, haben wir in über 150 Ländern operativ tätige Tochtergesellschaften. Unsere Politik dabei ist, dass wir lokal jeweils die der Wertschöpfung entsprechenden Steuern zahlen. Die aktuelle Anteilsbesitzliste findet sich in unserem Online-Geschäftsbericht. (Vollständige erste Antwort).
Antworten auf Nachfragen zu Gesellschaften in Panama:
Die BDF Panamá S.A. ist die Vertriebsgesellschaft, über die der Verkauf unserer Produkte vor Ort erfolgt. Die HUB LIMITED S.A. hat, wie aus S. 54 unseres AG-Berichts hervorgeht, kein nennenswertes Geschäft (Ergebnis in 2012: 17 TEUR).
Die HUB LIMITED S.A. hat wie bereits beschrieben kein Geschäft. Die Gesellschaft wurde als operative Vertriebsgesellschaft gegründet, übt diese Funktion allerdings im Moment nicht aus.
Mündliche Antwort (sinngemäß)
"Die Tochter in Delaware sein klein und unbedeutend mit praktisch nur einer Handvoll Anwälte", weswegen man nicht von einer Niederlassung sprechen könne. Das regionale Infineon-Hauptquartier für Nordamerika sei im kalifornischen Milpitas angesiedelt.
(ANMERKUNG: den Aufsichtsrat der "Infineon Technologies North America Corp, Wilmington, Delaware" sitzen zwei Infineon-Konzernvorstände, von denen einer Vorsitzender des Gremiums ist) .
In klassischen Steueroasen ist der Reifen- und Autoelektronikhersteller aus Hannover zwar nicht vertreten, dafür aber in der Delaware-Hauptstadt Wilmington gleich mit acht Töchtern: Die Firmen sind als Holding konzipiert und bündeln das operative Geschäft der einzelnen Unternehmensbereiche in den USA. Ausschlaggebend für die Ansiedlung der Töchter in Delaware sind "vornehmlich gesellschaftsrechtliche Gründe", so das offizielle Statement. Der Standort biete "durch seine hohe juristische Kompetenz eine besonders gute Infrastruktur" für Unternehmen. Das hilft offenbar auch bei der Erschließung neuer Finanzquellen: Um seine hohe Schuldenlast zu vermindern, platzierte Continental über die Delaware-Tochter Continental Rubber of America eine Anleihe mit einem Emissionsvolumen von 950 Millionen Dollar.
Auch die deutsche Industrie-Ikone unterhält eine Briefkastenfirma in Wilmington. Die in der Hauptstadt des US-Bundesstaats Delaware ansässige Bosch Management Services Corporation wurde nicht gegründet, um Steuern zu sparen, so das offizielle Statement des Konzerns, sondern weil "die Gesetze und die Gerichte in diesem Bundesstaat als besonders wirtschaftsfreundlich gelten". Bei Verbraucherklagen etwa werde in der Regel zugunsten der betroffenen Firmen entschieden, US-Unternehmen ließen sich deshalb "aus juristischen Gründen" bevorzugt in Delaware registrieren. Dieser Praxis sei auch Bosch mit seinen amerikanischen Geschäftsaktivitäten gefolgt.
Zudem gilt Delaware als ein unternehmensfreundlicher Standort bei Gerichtsstreitigkeiten. Seit dem späten 18. Jahrhundert gibt es hier eine besondere Gerichtsbarkeit, den sogenannten Court of Chancery. Dieser ist auf Rechtsfälle rund um das Thema gute Unternehmensführung, Haftungsfragen, Übernahmeangebote oder den Umgang mit Interessenkonflikten spezialisiert. Anders als in den USA sonst üblich, urteilen in Delaware keine Laien-Jurys, sondern Berufsrichter. "Diese Richter in Delaware verfügen über einen großen Erfahrungsschatz im Unternehmensrecht und wissen, worüber sie entscheiden. Das ist an vielen Laien-Gerichten in den USA nicht unbedingt der Fall", sagt Steueranwalt Augustin. Das erhöhe die Rechtssicherheit.
Offenbar spekulierte darauf auch die Commerzbank, die sich über Delaware Kapital bei amerikanischen Investoren besorgte. Das Institut hatte 2006 Hybridanleihen zur Stärkung seines Kapitals herausgegeben und diese über eine Treuhandgesellschaft in Delaware in den USA verkauft. Doch damit hatte die Commerzbank kein Glück. Das Institut streitet sich gerade mit US-Investoren, weil die Zinszahlungen für 2009 und 2010 ausgefallen sind. Die Bank gewann zunächst vor dem Court of Chancery. Die nächsthöhere Instanz, der Supreme Court des Staates Delaware, gab im März jedoch den Investoren recht. Die Frankfurter sind in Berufung gegangen.