Fast auf den Tag genau vor zwei Jahren sitzt Olaf Berlien, Vorstandsvorsitzender bei Osram, auf einem Podium in der Konzernzentrale in München-Schwabing. Berlien präsentiert die Bilanz für das abgelaufene Geschäftsjahr. Gegen Ende macht der Osram-Chef noch eine Ankündigung – eine folgenschwere: Berlien sagt, man werde eine Milliarde Euro in die Fertigung von LED-Chips investieren, den ganz überwiegenden Teil davon in eine riesige neue Halbleiterfabrik im malaysischen Kulim.
Analysten und Investoren sind entsetzt. Binnen weniger Minuten bricht der Kurs der Osram-Aktie um fast 30 Prozent ein. LED-Chip-Fertigung, so geht die Kritik, können asiatische Hersteller besser und billiger. Berlien möge sich bitte auf das Kerngeschäft mit Leuchten und der Automobilbeleuchtung konzentrieren.
Am Donnerstag dieser Woche sitzt der damals so Gescholtene in einem klimatisierten Festzelt in Kulim, direkt hinter der neuen Chipfabrik. Der malaysische Handelsminister ist gekommen und preist die Investoren aus Deutschland. Einheimische Künstler führen zu Trommelklängen traditionelle Tänze auf. Es gibt ein flottes Imagefilmchen, Häppchen, Tee und Limonade – Osram feiert die Eröffnung der neuen LED-Chipfabrik in Malaysia. 370 Millionen Euro haben die Münchner in den Bau der ersten Stufe der Fertigung investiert. Zwei weitere Ausbaustufen werden folgen. Berlien hat es einfach durchgezogen.
Die wichtigsten LED-Hersteller nach Umsatz 2016
Umsatz: 116 Millionen Dollar
Land: Kanada
Quelle: Statista
Umsatz: 159 Millionen Dollar
Land: USA
Umsatz: 811 Millionen Dollar
Land: Südkorea
Umsatz: 1454 Millionen Dollar
Land: Deutschland
Umsatz: 1510 Millionen Dollar
Land: Südkorea
Umsatz: 1599 Millionen Dollar
Land: Niederlande
Umsatz: 2618 Millionen Dollar
Land: Japan
Der Ärger von damals ist längst verflogen, die Osram-Aktie eilt von einem Rekordhoch zum nächsten, und die Investoren loben das neue Werk. Denn mit der Eröffnung der neuen Fertigung macht Osram einen weiteren Schritt bei seiner Neuausrichtung: Aus dem 111 Jahre alten Hersteller von Glühbirnen, Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen wird allmählich ein Hochtechnologiekonzern, und die Nachfrage nach hochwertigen LED-Chips kennt nur eine Richtung – nach oben. „Eine Ausrichtung des Konzerns auf Leuchten, wie es einige gefordert haben, hätte für Osram zu einem schwierigen Jahr 2017 und zu einem noch schwierigeren Jahr 2108 geführt“, sagt Berlien heute lediglich. Nachkarten gegen die seinerzeitigen Kritiker ist seine Sache nicht.
Osram wächst – Ledvance streicht Stellen
Das Geschäft mit den konventionellen Leuchtmitteln hat der frühere Thyssenkrupp-Manager bereits im vergangenen Jahr verkauft. Ein Konsortium um das chinesische Unternehmen MLS hat die Sparte mit insgesamt 9000 Mitarbeitern übernommen. Seitdem firmiert sie unter dem Namen Ledvance. Für die Belegschaft war das ein folgenschwerer Schritt. Vor wenigen Tagen kündigte Ledvance an, die Werke in Berlin und Augsburg zu schließen. Betroffen sind etwa 800 Mitarbeiter. An den zwei übrigen deutschen Standorten in Wipperfürth und Eichstätt sollen weitere Arbeitsplätze wegfallen.
Der Markt für Glühbirnen, Leuchtstoffröhren oder Energiesparlampen löst sich allmählich auf. So haben die EU-Behörden bereits bestimmte Halogenlampen verboten, im kommenden Jahr folgt ein Verbot für eine Reihe von Leuchtstoffröhren. „Die traditionelle Lichttechnik geht runter“, sagt Berlien. Der Trend geht zu energiesparenden LED-Lampe.
Das ist die Lage bei Ledvance
Über die Jahre hatte sich Osram innerhalb der Siemens AG, zu der das Unternehmen ab 1978 bis zur Ausgliederung 2013 gehörte, zunehmend spezialisiert. Das Geschäft mit Spezial-LEDs, etwa für Autoscheinwerfer, Straßenbeleuchtung oder auch kleinster LED für mobile Endgeräte versprach höhere Margen als jenes mit Leuchtstoffröhren und Energiesparlampen für Privatkunden. Die Billig-Konkurrenz bei der sogenannten Allgemeinbeleuchtung war zu groß geworden.
Seit dem 1. Juli 2016 tritt Ledvance als rechtlich eigenständiges Unternehmen unter dem CEO Jes Munk Hansen auf.
Das Produktportfolio von Ledvance besteht nach der Ausgliederung aus LED-Lampen, OTC-Leuchten (Over-the-Counter), Lichtlösungen aus den Bereichen Smart Home und Smart Building sowie traditionellen Leuchtmitteln.
Standorte in Deutschland befinden sich in Augsburg, Berlin und Eichstätt. Zudem sitzt die Tochtergesellschaft Radium Lampenwerk GmbH in Wipperfürth (NRW).
Ledvance erwirtschaftete im Jahr der Ausgliederung etwa 40 Prozent des Osram-Konzernumsatzes – der Anteil der Lampensparte am Konzernumsatz von Osram lag zum Zeitpunkt der Trennung bei rund zwei Milliarden Euro. Der Trend geht zu LED-Leuchtmitteln – und das macht Ledvance das Leben schwer. Das Unternehmen selbst rechnet mit einem Rückgang des Marktvolumens im traditionellen Geschäft von nahezu 90 Prozent bis 2025.
Ende Juli 2016 gab Osram bekannt, dass Ledvance für mehr als 400 Millionen Euro an ein chinesisches Konsortium verkauft wird. Neue Eigentümer sollten zu je einem Drittel der chinesische Leuchtmittelproduzent MLS sowie die chinesischen Finanzinvestoren Yiwu und IDG werden. Das Geschäft wurde mit wirtschaftlicher Wirkung zum 1. März 2017 abgeschlossen, der finale Kaufpreis betrug rund 500 Mio. Euro. IDG Capital ist innerhalb des Konsortiums Mehrheitseigentümer.
Im November 2017 gab Ledvance bekannt, die zwei ehemaligen Osram-Werke in Augsburg und Berlin schließen zu wollen. An anderen Standorten ist in den kommenden Jahren ebenfalls ein deutlicher Personalabbau geplant. Insgesamt sollen nach den Angaben des Unternehmens rund 1300 von etwa 2300 Mitarbeitern in Deutschland gehen. Das Unternehmen begründete den Schritt mit dem Trend zu modernen LED-Leuchtmitteln. Die heimischen Ledvance-Werke sind davon besonders betroffen, weil dort noch herkömmliche Leuchten wie Leuchtstoffröhren produziert werden. Die beiden weiteren Fabriken Wipperfürth und Eichstätt sollen bleiben, dort sollen aber 300 Jobs wegfallen, überwiegend in Eichstätt. Am Unternehmenssitz in Garching bei München sollen weitere 100 Mitarbeiter gehen.
Die Investoren aus China, das ist inzwischen klar, hatten es bei ihrem Kauf der Osram-Lampensparte vor allem auf die Vertriebskanäle der Deutschen und den Markennamen abgesehen. Den dürfen sie nämlich noch zehn Jahre nutzen.
Berlien verweist tapfer darauf, die Mitarbeiter im Vertrieb profitierten immerhin von der Übernahme durch MLS – allerdings ausschließlich dadurch, dass die Chinesen ihre LED-Lampen aus China in die Osram-Vertriebskanäle drücken konnten. Dadurch kletterte der Ledvance-Umsatz innerhalb eines Jahres um 300 Millionen. Die Mitarbeiter in den deutschen Fertigungen blicken trotzdem in die Röhre.
Auf dem Weg in den Reinraum der neuen Fabrik in Kulim geht es vorbei an einem Fitnessraum, einem Billardtisch und einem Tischkicker. Überall laden orangefarbene Sitzgruppen zum Ausruhen ein. Osram bemüht sich sichtlich um seine malaysischen Mitarbeiter. Der Grund: Der Kampf um Talente in Malaysia ist hart, die Fluktuation hoch. Unter den ersten 300 Mitarbeitern, die die Münchner für ihre neue Fertigung angeheuert haben, hat eine ganze Reihe vorher bei Infineon gearbeitet. Der Halbleiterhersteller aus Neubiberg bei München hat in der Nachbarschaft eine große Fabrik.
Und Osram wird noch mehr Mitarbeiter brauchen. Wenn die erste Stufe der Fertigung Ende 2018 voll läuft, sollen in den Werkshallen 1500 Menschen arbeiten. Kurz darauf dürfte der weitere Ausbau der Fertigungskapazitäten starten. Der deutsche Botschafter in Malaysia, Nikolaus Graf Lambsdorff mahnt darum, die malaysische Regierung müsse dringend ihr Bildungssystem in Ordnung bringen, um die Zahl der Fachkräfte zu erhöhen.
Berlien drückt aufs Tempo
Berlien drückt aufs Tempo, und das mit gutem Grund: Die Nachfrage nach LED-Chips explodiert förmlich, getrieben durch immer neuen Anwendungsfelder. Ob Virtual-Reality-Brillen, Fitnessarmbänder, Scanner, die den Frischegrad von Obst anzeigen oder die Iris-Erkennung bei Smartphones: Osram ist mit seinen LED-Chips immer mit dabei – und von dem Boom ein bisschen überrascht worden. „Der Markt hat sich im Vergleich zu den Annahmen von 2015 radikal verändert“, sagt Berlien. Der Konzern baut darum derzeit auch seine Kapazitäten in Regensburg aus und stellt dort 1000 neue Mitarbeiter ein. Die Fertigung im ostchinesischen Wuxi will Osram verdoppeln. Das LED-Geschäft wuchs zuletzt um 19 Prozent.
Einer der größten Treiber des LED-Booms bei Osram ist der rasante Wandel in der Automobilindustrie. Immer neue Fahrerassistenzsysteme und eine Fülle neuer Elektromodelle nach dem Dieselskandal, die zudem zum Teil schon bald fahrerlos unterwegs sein dürften, spielen Berlien in die Hände. „Klar profitieren wir davon, dass alle großen Hersteller ihre alten Pläne in den Mülleimer geworfen haben und in Richtung Elektromobilität und autonomes Fahren umplanen“, sagt der Osram-Chef. Für die Anwendungen beim autonomen Fahren braucht es Premium-Infrarot-Chips, gewissermaßen das Feinste vom Feinsten unter den LED-Chips. Auch die will Osram demnächst in Kulim fertigen. Das dazu erforderliche Qualifizierungsverfahren für die Autoindustrie wollen die Münchner im kommenden Jahr angehen.
Traummargen von gut 28 Prozent
Schon 2020 dürfte die Konzernsparte Opto Semiconductors (OS), in die das LED-Geschäft fällt, die größte des Unternehmens sein. Zurzeit ist dies noch die Automobilbeleuchtung, die im Ende September abgelaufenen Geschäftsjahr 2,3 Milliarden Euro zum gesamten Osram-Umsatz von 4,1 Milliarden Euro beitrug. OS kam zuletzt auf einen Umsatz von 1,7 Milliarden Euro – und eine Traummarge von gut 28 Prozent.
Wichtigster Mann für Berlien, der vor fast drei Jahren zu Osram kam, ist darum schon jetzt OS-Chef Aldo Kamper, neben dem Konzernchef das zweite Mastermind hinter dem LED-Boom. Der gebürtige Niederländer mit Abschlüssen der Universitäten Limburg und Stanford kam schon 1994 zu Osram, kennt den Konzern in- und auswendig. Seit sieben Jahren leitet er das Geschäft mit den Opto-Halbleitern.
Osram: Die Welt in neuem Licht
Mit der klassischen Glühlampe mit Wolfram-Wendel begann Osrams Aufstieg.
Die Lumilux-Leuchtstofflampen: von zweifelhafter Ästhetik, aber ein Dauerbrenner.
Mit der Einführung der Dulux EL wurde Osram zum Pionier für Energiesparlampen.
Die Colorstar Natrium-Xenonlampe schaffte neue Dimensionen an Effizienz und Licht.
Die LED-Technik stellt all die anderen Leuchten in den Schatten. Sie gilt als der neue Maßstab.
Kopfzerbrechen bereitet Osram zurzeit nur eine Sparte: das Geschäft mit Leuchten und Lösungen (LSS), das zuletzt eine Milliarde Euro zum Konzernumsatz beisteuerte. Im Vergleich zum Vorjahr war das ein Minus von 21 Millionen Euro, die Ebitda-Marge war negativ. „Unsere Geduld mit LSS ist endlich“, sagt Berlien, „weil wir zwei andere Bereiche haben, die hungrig sind und wachsen wollen.“
Zur Sparte LSS gehören das Servicegeschäft in Nordamerika, das Geschäft mit der Beleuchtung von Gebäuden, Straßen oder auch Rennstrecken in Europa und das Geschäft mit der Beleuchtung von Brücken und Fassaden in Asien. „Richtig gruselig ist das Service-Geschäft in Amerika“, sagt Berlien. Ganz ordentlich liefen hingegen das Europa- und das Asiengeschäft. Berlien würde die Nordamerika-Aktivitäten darum im kommenden Jahr gerne abgeben.
Um dem Wachstum in den anderen Geschäften Rechnung zu tragen, hält Berlien auch Ausschau nach geeigneten Übernahmezielen, etwa in den Bereichen Sensorik oder Software. Zudem hat Osram vor gut zwei Wochen die Gründung eines Joint Venture mit dem Autozulieferer Continental angekündigt. Das Gemeinschaftsunternehmen soll innovative Lichttechnologien mit Elektronik und Software kombinieren und intelligente Lichtlösungen für die Autoindustrie entwickeln. Osram wandelt sich zum High-Tech-Konzern.
Umsatz der Osram Licht AG nach Segment
Das Segment Specialty Lighting umfasst Lichtquellen und -systeme für den Automobilbereich sowie Spezialanwendungen im Bereich Display/Optik.
Geschäftsjahr 2014/2015: 1.861 Millionen Euro
Geschäftsjahr 2015/2016: 2.006 Millionen Euro
Quelle: Geschäftsbericht der Osram Licht AG 2016/Statista 2017
Geschäftsjahr 2014/2015: 1.293 Millionen Euro
Geschäftsjahr 2015/2016: 1.425 Millionen Euro
Geschäftsjahr 2014/2015: 941 Millionen Euro
Geschäftsjahr 2015/2016: 1.005 Millionen Euro
Im Herbst vergangenen Jahres hatten bereits Investoren aus China Osram ins Visier genommen; von einer Komplettübernahme war die Rede. Gegen solche Angriffe sieht Berlien sich heute gut gewappnet. „Wir waren vor zwei Jahren in einer kritischen Phase“, sagt der Osram-Chef, „40 Prozent unseres Umsatzes erzielten wir mit alten Technologien. Für die anderen 60 Prozent gab es keine strategische Gesamtausrichtung.“
Das ist heute sicherlich anders – und sollte den Konzern erst recht attraktiv für Angreifer machen. Wichtiger dürfte darum sein, dass die Bundesregierung signalisiert hat, Übernahmen von Hochtechnologieunternehmen sehr kritisch unter die Lupe nehmen zu wollen.