Pharmahändler Phoenix Die schwierige Mission des Ludwig Merckle

Nach dem Selbstmord des Patriarchen Adolf Merckle hat Sohn Ludwig den Pharmahändler Phoenix vor dem Zerfall gerettet. Doch nun gefährdet der Erbe seinen Erfolg.

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Ludwig Merckle

Sein größtes Unternehmen stand vor dem Zerfall; Finanzinvestoren witterten bereits ihre Chance. Nach dem Freitod des Eigentümers Adolf Merckle war der milliardenschwere Mannheimer Pharmagroßhändler Phoenix finanziell schwer angeschlagen. Schulden in Höhe von gut 400 Millionen Euro drückten. Dutzende Gläubigerbanken drängten auf rasche Lösungen, von ihnen eingesetzte Treuhänder durchforsteten das undurchschaubare Merckle-Imperium.

Doch Merckles Sohn Ludwig gelang das fast Unmögliche. Er bewegte in zähen Verhandlungen die Gläubigerbanken erst zu einem Stillhalteabkommen, dann zu neuen Krediten. Am Ende blieb Phoenix – der Name leitet sich von dem mythischen Wundervogel der Antike ab – in Familienhand.

Drei Jahre nach seinem Sieg versucht Ludwig Merckle jetzt erneut, die Familienehre und verlorenes Geld zu retten: Am Mittwoch beginnt vor dem Landgericht Braunschweig ein Prozess um 213 Millionen Euro Schadensersatz. Die Merckles machen Porsche für die massiven Verluste verantwortlich, die der Senior bei Spekulationen mit VW-Aktien erlitt. Die Erfolgschancen sind allerdings gering, da VW und Porsche kürzlich ähnliche Prozesse in erster Instanz gewannen.

Zugleich droht Ludwig Merckle auch an anderer Stelle zu verlieren: Der 48-jährige Erbe gefährdet durch einen riskanten Zickzackkurs seinen bisherigen Erfolg bei Phoenix. „Die Branche schüttelt den Kopf über die“, sagt ein Kenner des Unternehmens. Hohe Rabatte an die Apotheker-Kundschaft belasten die Erträge. Insider erwarten für 2013 sogar einen Verlust auf dem Heimatmarkt zwischen 60 und 80 Millionen Euro.

Was aus den Unternehmen des Adolf Merckle wurde

Phoenix hat 28.700 Mitarbeiter und beliefert 70.000 Kunden, vor allem Apotheken, in Deutschland und Europa mit Medikamenten. Mit 21,2 Milliarden Euro bringt der Pharmagroßhändler mehr Umsatz auf die Waage als Dax-Schwergewichte wie Henkel oder der Chemiekonzern Lanxess.

Mitte der Neunzigerjahre hatte Merckle senior still und heimlich eine Handvoll regionaler Pharmagroßhändler zusammengekauft und so einen schlagkräftigen Verbund geschaffen. Das neue Unternehmen Phoenix erreichte in Deutschland schnell einen Marktanteil von 30 Prozent – zum Verdruss der Konkurrenten Gehe und Anzag. Bei Phoenix wirkte Sohn Ludwig, ein Wirtschaftsinformatiker, einige Jahre als Vorstandsassistent. Später ging er zur Beratung Roland Berger und kümmerte sich dann um andere Merckle-Beteiligungen.

Der heimliche Riese Phoenix schottet sich nach außen hin ab und gilt als öffentlichkeitsscheu. Auch intern, in der Mannheimer Zentrale, geht es eher formal und distanziert zu. Selbst langjährige Kollegen schreiben sich immer noch Mails, die mit „Sehr geehrter Herr...“ oder, seltener, „Sehr geehrte Frau...“ beginnen. Viele Mitarbeiter arbeiten seit Jahrzehnten für Merckle.

Auch die Vertrauten des Vaters, die zusammen mit Ludwig Merckle auch für die aktuellen Probleme verantwortlich zeichnen, sind nahezu alle noch da, allen voran Unternehmenschef Oliver Windholz und der mächtige Beiratsvorsitzende Bernd Scheifele, der zugleich die Merckle-Beteiligung HeidelbergCement führt. Formal das letzte Wort hat zwar Sohn Ludwig. Der stimmt sich jedoch eng mit Scheifele ab und bleibt lieber im Hintergrund.

Verwirrende Rabatte

Wer die Pharmawelt beherrscht
Aufsteiger 1: Valeant (Kanada)Der kanadische Pharmariese wächst und wächst – hauptsächlich durch Zukäufe. Im Jahr 2013 kaufte Valeant den Kontaktlinsen-Hersteller Bausch & Lomb aus den USA für 8,7 Milliarden Dollar. Im Bereich Augengesundheit wollen die Kanadier ganz vorne mitmischen. Beim Umsatz hat es der Konzern zumindest schon einmal in die Top 30 der Welt geschafft. Die Pharma-Erlöse stiegen um 62,4 Prozent auf 5,8 Milliarden Dollar.Quellen: Unternehmen, HB-Schätzungen Quelle: AP
Aufsteiger 2: Biogen Idec (USA)Erst Ende März 2013 wurde das Multiple-Sklerose-Mittel Tecfidera in den USA zugelassen. Doch die Tablette ist eine Goldgrube für das aufstrebende US-Biotech-Unternehmen Biogen Idec. Im Jahr 2013 steigerte es dank Tecfidera den Umsatz um gut ein Viertel auf 6,9 Milliarden Dollar. Quelle: AP
Aufsteiger 3: Actavis (Irland/USA)Das Unternehmen ist der weltweit zweitgrößte Hersteller von Nachahmerpräparaten. Doch allzu großes Wachstum verspricht dieses Geschäftsfeld nicht unbedingt, da der Preisverfall oft das Mengenwachstum aufzehrt. Actavis wächst daher vor allem mit Übernahmen: In den vergangenen drei Jahren steckte der Konzern mehr als 14 Milliarden Dollar in Zukäufe. Der Konkurrent Forest Laboratories soll nun für 25 Milliarden Dollar ebenfalls geschluckt werden. Im Jahr 2013 legte der Umsatz um 46,7 Prozent auf 8,7 Milliarden Dollar zu. Quelle: PR
Deutsche Unternehmen: MerckDer Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern wächst im Jahr 2013 moderat. Der Umsatz legt um 2,6 Prozent auf umgerechnet 7,9 Milliarden Dollar zu (Schätzung). In der Rangliste der größten Pharmaunternehmen der Welt schafft es Merck damit auf Platz 23. Das könnte sich aber ändern, denn das Unternehmen plant einen Zukauf: Die Darmstädter bieten rund zwei Milliarden Dollar für die britische Spezialchemiefirma AZ Electronic Materials – eine ehemalige Hoechst-Tochter, die unter anderem Komponenten für Apples iPad liefert. Quelle: dpa
Deutsche Unternehmen: Boehringer IngelheimDas Familienunternehmen ist der zweitgrößte deutsche Pharmakonzern. Im Jahr 2013 hielt Boehringer Ingelheim die Umsätze stabil und landet mit umgerechnet 14,7 Milliarden Dollar (Schätzung) auf Platz 17 der Rangliste. Aktuell ist Boehringer in den USA mit einer Klagewelle konfrontiert. Mehr als 2000 Kläger werfen dem Unternehmen vor, für schwere und zum Teil tödliche Blutungen nach einer Behandlung mit dem Gerinnungshemmer Pradaxa verantwortlich zu sein. Quelle: dpa
Deutsche Unternehmen: BayerBayers Pharma-Umsätze wachsen, die Leverkusener legen zum sieben Prozent zu und rücken in der Rangliste mit umgerechnet 14,9 Milliarden Dollar Umsatz auf Platz 16 vor. Gerade Bayers neue Medikamente wie das Schlaganfallmittel Xarelto laufen prächtig. Die Umsatzziele für die fünf stärksten Medikamente wurden erhöht. Quelle: REUTERS
Platz 10: Teva (Israel)Der weltgrößte Generika-Hersteller kommt aus Israel: Teva. Im Jahr 2013 stagnierte der Umsatz des Konzern allerdings bei gut 20 Milliarden Dollar. Große Hoffnungen ruhen auf dem neuen Chef Erez Vigodman. Teva ist auch in Deutschland aktiv – so gehört seit 2009 die Ulmer Ratiopharm zum Konzern. Quelle: Presse

Im Herbst 2011 trafen Merckle, Scheifele, der damalige Vorstandschef Reimund Pohl, ebenfalls ein alter Merckle-Vertrauter, und der seinerzeitige Vertriebschef Windholz eine folgenschwere Fehlentscheidung. Als sich die Margen für Pharmagroßhändler nach regulatorischen Eingriffen der Bundesregierung immer weiter verschlechterten, kürzte Phoenix – auch auf Anraten der Beratung Boston Consulting – seinen Kunden, den Apothekern, die Rabatte. Statt drei bis vier Prozent vom Umsatz für Großabnehmer waren jetzt nur noch ein bis zwei Prozent drin.

Etliche Apotheker kündigten darauf ihre Phoenix-Verträge und wechselten etwa zum Essener Wettbewerber Noweda, der bessere Konditionen bot. Ende 2012 sank der Phoenix-Marktanteil in Deutschland auf 25 Prozent. Die Schmerzgrenze war erreicht. Merckle und Scheifele entschlossen sich zum radikalen Kurswechsel. Phoenix setzte die Rabatte wieder hoch – im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste. Marktanteil ging jetzt vor Ertrag. Um Kosten zu sparen, strich Phoenix bis zu 380 Arbeitsplätze, etwa ein Zehntel der Belegschaft im Heimatmarkt.

Für das Geschäftsjahr 2013/14, das am 31. Januar endete, sind nach Angaben eines Insiders im wichtigen Heimatmarkt mit einem Umsatzanteil von einem Drittel Verluste zwischen 60 und 80 Millionen angefallen. Zu den Zahlen will Phoenix vor der Bilanzvorlage am Freitag keine Stellung nehmen. Auch früher hatte sich das Unternehmen mit Angaben zur Ertragslage in Deutschland zurückgehalten. Noch bis vor etwa zwei Jahren sollen im Heimatmarkt aber Gewinne im hohen zweistelligen Millionenbereich angefallen sein.

Für Deutschland erwarte man „Umsatzzugewinne“, heißt es im knappen Zwischenbericht zum dritten Quartal 2013/14. Phoenix räumt allerdings ein, dass die „hohe Wettbewerbsintensität, insbesondere in Deutschland“ sowie negative Wechselkurseffekte den Ertrag belastet hätten.

Zugleich leidet Phoenix auch in Frankreich unter den Folgen der Rabattschlacht. In Osteuropa behindern staatliche Eingriffe das Geschäft, sagen Branchenkenner. Der Geschäftsverlauf dort sei aber positiv, schreibt Phoenix im Zwischenbericht.

Inzwischen hat Phoenix wie auch andere Wettbewerber begonnen, sich durch die Hintertür Geld von den Apothekern wieder zurückzuholen. In einem Schreiben an umsatzschwächere ostdeutsche Apotheker, das der WirtschaftsWoche vorliegt, ist etwa von einem „Leistungsbeitrag“ die Rede, den die Apotheker zahlen soll – was auf eine Kürzung des Rabattes hinausläuft.

„Der deutsche Markt ist zurzeit der irrationalste“, sagt Stefano Pessina, Chef des britischen Pharmagroßhändlers Alliance, der kürzlich die deutsche Anzag geschluckt hat. „Aber die Marktteilnehmer sind selbst für diese Situation verantwortlich.“ Seit einigen Jahren liefern sich insbesondere Phoenix, Noweda und Gehe, die Deutschland-Tochter des Stuttgarter Pharmagroßhändlers Celesio, Rabattschlachten.

Mit Alliance sowie dem US-Konzern McKesson, der vor einigen Monaten den Phoenix-Erzrivalen Celesio übernommen hat, sind den Mannheimern zwei gefährliche Rivalen entstanden. Alliance und McKesson, beide deutlich größer als Phoenix, dürften mit ihrer Marktmacht bald deutlich bessere Einkaufskonditionen bei den Pharmaherstellern herausschlagen.

„Phoenix hat zwei strategische Probleme“, sagt ein Manager aus der Branche. „Das Unternehmen ist zu stark vom schwierigen deutschen Markt abhängig und besitzt zu wenige eigene Apotheken.“ Denn mit denen – anders als in Deutschland dürfen etwa in England oder Norwegen Konzerne Apotheken betreiben – lassen sich bessere Margen erzielen als mit dem klassischen Großhandelsgeschäft. Alliance verfügt über 3100 eigene Apotheken, McKesson/Celesio betreibt 2200 Pharmazien, Phoenix nur etwa 1500. Neben den Ertragsproblemen im Inland droht das Unternehmen damit auch im internationalen Konkurrenzkampf zurückzufallen. Sinnvoll wären daher Zukäufe im Ausland – die sind in Mannheim immerhin angedacht.

Phönix, der Wundervogel aus der Antike, galt übrigens deswegen als mythisch, weil er sich immer wieder selbst regenerieren konnte. Inwieweit das dann auch auf Phoenix, den Pharmagroßhändler, zutrifft, wird Ludwig Merckle nun zeigen müssen.

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