Im Herbst 2011 trafen Merckle, Scheifele, der damalige Vorstandschef Reimund Pohl, ebenfalls ein alter Merckle-Vertrauter, und der seinerzeitige Vertriebschef Windholz eine folgenschwere Fehlentscheidung. Als sich die Margen für Pharmagroßhändler nach regulatorischen Eingriffen der Bundesregierung immer weiter verschlechterten, kürzte Phoenix – auch auf Anraten der Beratung Boston Consulting – seinen Kunden, den Apothekern, die Rabatte. Statt drei bis vier Prozent vom Umsatz für Großabnehmer waren jetzt nur noch ein bis zwei Prozent drin.
Etliche Apotheker kündigten darauf ihre Phoenix-Verträge und wechselten etwa zum Essener Wettbewerber Noweda, der bessere Konditionen bot. Ende 2012 sank der Phoenix-Marktanteil in Deutschland auf 25 Prozent. Die Schmerzgrenze war erreicht. Merckle und Scheifele entschlossen sich zum radikalen Kurswechsel. Phoenix setzte die Rabatte wieder hoch – im wahrsten Sinne des Wortes ohne Rücksicht auf Verluste. Marktanteil ging jetzt vor Ertrag. Um Kosten zu sparen, strich Phoenix bis zu 380 Arbeitsplätze, etwa ein Zehntel der Belegschaft im Heimatmarkt.
Für das Geschäftsjahr 2013/14, das am 31. Januar endete, sind nach Angaben eines Insiders im wichtigen Heimatmarkt mit einem Umsatzanteil von einem Drittel Verluste zwischen 60 und 80 Millionen angefallen. Zu den Zahlen will Phoenix vor der Bilanzvorlage am Freitag keine Stellung nehmen. Auch früher hatte sich das Unternehmen mit Angaben zur Ertragslage in Deutschland zurückgehalten. Noch bis vor etwa zwei Jahren sollen im Heimatmarkt aber Gewinne im hohen zweistelligen Millionenbereich angefallen sein.
Für Deutschland erwarte man „Umsatzzugewinne“, heißt es im knappen Zwischenbericht zum dritten Quartal 2013/14. Phoenix räumt allerdings ein, dass die „hohe Wettbewerbsintensität, insbesondere in Deutschland“ sowie negative Wechselkurseffekte den Ertrag belastet hätten.
Zugleich leidet Phoenix auch in Frankreich unter den Folgen der Rabattschlacht. In Osteuropa behindern staatliche Eingriffe das Geschäft, sagen Branchenkenner. Der Geschäftsverlauf dort sei aber positiv, schreibt Phoenix im Zwischenbericht.
Inzwischen hat Phoenix wie auch andere Wettbewerber begonnen, sich durch die Hintertür Geld von den Apothekern wieder zurückzuholen. In einem Schreiben an umsatzschwächere ostdeutsche Apotheker, das der WirtschaftsWoche vorliegt, ist etwa von einem „Leistungsbeitrag“ die Rede, den die Apotheker zahlen soll – was auf eine Kürzung des Rabattes hinausläuft.
„Der deutsche Markt ist zurzeit der irrationalste“, sagt Stefano Pessina, Chef des britischen Pharmagroßhändlers Alliance, der kürzlich die deutsche Anzag geschluckt hat. „Aber die Marktteilnehmer sind selbst für diese Situation verantwortlich.“ Seit einigen Jahren liefern sich insbesondere Phoenix, Noweda und Gehe, die Deutschland-Tochter des Stuttgarter Pharmagroßhändlers Celesio, Rabattschlachten.
Mit Alliance sowie dem US-Konzern McKesson, der vor einigen Monaten den Phoenix-Erzrivalen Celesio übernommen hat, sind den Mannheimern zwei gefährliche Rivalen entstanden. Alliance und McKesson, beide deutlich größer als Phoenix, dürften mit ihrer Marktmacht bald deutlich bessere Einkaufskonditionen bei den Pharmaherstellern herausschlagen.
„Phoenix hat zwei strategische Probleme“, sagt ein Manager aus der Branche. „Das Unternehmen ist zu stark vom schwierigen deutschen Markt abhängig und besitzt zu wenige eigene Apotheken.“ Denn mit denen – anders als in Deutschland dürfen etwa in England oder Norwegen Konzerne Apotheken betreiben – lassen sich bessere Margen erzielen als mit dem klassischen Großhandelsgeschäft. Alliance verfügt über 3100 eigene Apotheken, McKesson/Celesio betreibt 2200 Pharmazien, Phoenix nur etwa 1500. Neben den Ertragsproblemen im Inland droht das Unternehmen damit auch im internationalen Konkurrenzkampf zurückzufallen. Sinnvoll wären daher Zukäufe im Ausland – die sind in Mannheim immerhin angedacht.
Phönix, der Wundervogel aus der Antike, galt übrigens deswegen als mythisch, weil er sich immer wieder selbst regenerieren konnte. Inwieweit das dann auch auf Phoenix, den Pharmagroßhändler, zutrifft, wird Ludwig Merckle nun zeigen müssen.