Pharmaindustrie Was tut Berlin gegen die Lieferprobleme bei Medikamenten?

Vom Schmerzmittel bis zum Antidepressiva. Die Lieferausfälle bei Medikamenten häufen sich. Woher kommen die Lieferengpässe und was tut eigentlich die Bundesregierung dagegen?

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Apotheker Hans-Rudolf Diefenbach Quelle: Presse

Vor einigen Monaten kam es immer öfter zu Ausfällen. Mehrmals am Tag musste der Offenbacher Apotheker Hans-Rudolf Diefenbach Patienten vertrösten, die etwa Schilddrüsen-Präparate oder Hormonpflaster benötigten – die Pharmaunternehmen konnten die Arzneien nicht liefern. Andere Pharmazeuten berichteten über ähnliche Probleme. „Ich wollte genauer wissen, wo es bei der Versorgung der Patienten hakt“, sagt Diefenbach, „am Ende denken die Patienten noch, wir Apotheker seien daran schuld.“ Daher recherchierte der 63-Jährige Anfang des Jahres bei Hunderten Apothekerkollegen vorwiegend in Hessen.

Zu den häufigen Ausfällen zählten auch Antidepressiva, Schmerzmittel oder Osteoporose-Präparate, sagt Diefenbach, der gleichzeitig stellvertretender Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes ist. Zunehmend würden auch Impfstoffe knapp. „Patienten müssen dann entweder ihre Therapie verschieben oder auf andere Präparate umgestellt werden, beides kann zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.“

Der Pharmazeut versteht nicht, warum die Bundesregierung angesichts der Liefermisere so untätig bleibt: „Ignoranz schafft doch keine Abhilfe.“ Diefenbach will bald im Namen seines Verbandes einen Brandbrief an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) schreiben.

Tatsächlich lässt die Koalition in Berlin wenig Elan erkennen. Die Arznei-Lücken haben bisher nur die Linke auf den Plan gerufen. Die Truppe um Oppositionsführer Gregor Gysi startete eine Kleine Anfrage an die Regierung, unter anderem über Ausmaß und Ursachen der Liefermisere.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ingrid Fischbach (CDU), räumt immerhin ein, dass es bereits seit Juni 2012 zu Lieferengpässen bei bestimmten Arzneien komme. Dazu zählten Zytostatika zur Behandlung von Krebs sowie Antibiotika, Schilddrüsenhormone oder Impfstoffe. Schon heute seien Pharmafirmen und Kassen etwa beim Abschluss von Rabattverträgen verpflichtet, sich gegen Lieferengpässe zu wappnen. Fischbach lässt freilich durchblicken, dass ihr Haus da noch keinen rechten Überblick habe: „Die Bundesregierung wird prüfen, ob die Vertragspartner dieser Vorgabe nachkommen.“ Was sie bei Zuwiderhandlung zu tun gedenkt, ließ die Staatssekretärin offen.

Bislang gibt es lediglich ein Melderegister bei der deutschen Zulassungsbehörde BfArM, in dem die Hersteller auf freiwilliger Basis über Lieferausfälle informieren. Dort ist derzeit – Stand Mitte März – gut ein Dutzend Präparate aufgelistet.

Laut Diefenbachs Fragebogenaktion sind die tatsächlichen Ausfälle deutlich gravierender. Auf seiner Liste finden sich insgesamt gut drei Dutzend Präparate mit hohen Ausfallquoten. Namhafte Hersteller wie Ratiopharm, Hexal und Merck können demnach oft nicht liefern. Es fehlt etwa an Blutdruckmitteln und Schilddrüsenpräparaten. Beim Betablocker Bisoprolol meldete etwa die Hälfte der befragten 430 Apotheker Ausfälle.

Impfstoffe werden rar

Die größten Pharmahändler
Marktführer in Deutschland ist der Mannheimer Pharmahändler Phoenix. Das 1994 gegründete Unternehmen, das in vielen Ländern Europas aktiv ist, gehört der schwäbischen Unternehmerfamilie Merckle. Phoenix erzielte zuletzt mit rund 29.000 Beschäftigten einen Jahresumsatz von weltweit 21,2 Milliarden Euro, rund ein Drittel davon in Deutschland. Nach Expertenschätzungen kommt Phoenix hierzulande im Pharmagroßhandel auf einen Marktanteil von etwa 25 bis 28 Prozent. Zuletzt hatte das Unternehmen allerdings etwas an Boden verloren.Bild: Phoenix Quelle: Presse
Nach dem Marktführer Phoenix folgen vier Unternehmen, die im deutschen Arzneihandel auf Marktanteile zwischen 12 und 17 Prozent kommen. Die deutsche Apothekergenossenschaft Noweda aus Essen ist nach eigenen Angaben derzeit die Nummer zwei. Die Geschichte des Unternehmens reicht bis ins Jahr 1939 zurück. Mit rund 1900 Beschäftigten erzielte Noweda zuletzt einen Jahresumsatz von 4,3 Milliarden Euro. Im Bild: Wilfried Hollmann, Vorsitzender des Vorstands.Bild: Noweda Quelle: Presse
Der Stuttgarter Apotheker-Zulieferer Celesio erwirtschaftete 2012 mit 38.000 Beschäftigten weltweit einen Jahresumsatz von gut 22 Milliarden Euro, davon vier Milliarden Euro im deutschen Pharmagroßhandel. Experten zufolge kommt das Unternehmen hierzulande auf einen Marktanteil von rund 16 Prozent. Das 1835 gegründete Unternehmen gehört mehrheitlich der Duisburger Familienholding Haniel, die 50,01 Prozent der Anteile hält. Der Mischkonzern hatte 1973 die Mehrheit am Celesio-Vorgänger Gehe übernommen, der 2003 in Celesio umbenannt wurde. Der US-Branchenführer McKesson will Celesio für 6,1 Milliarden Euro übernehmen. Quelle: dapd
Hinter dem Namen Alliance Healthcare Deutschland verbirgt sich der traditionsreiche Frankfurter Pharmahändler Anzag (Andreae-Noris Zahn AG), der 2012 von der britischen Drogeriekette Alliance Boots übernommen wurde. 2013 firmierte Anzag um in Alliance Healthcare Deutschland. Das Unternehmen erwirtschaftete zuletzt mit mehr als 2700 Beschäftigten einen Jahresumsatz von rund vier Milliarden Euro.Bild: Alliance Healthcare Deutschland Quelle: Presse
Der Pharmahändler Sanacorp kam im Jahr 2011 mit rund 3000 Beschäftigten auf einen Jahresumsatz von etwa 3,7 Milliarden Euro. Das Unternehmen ist inzwischen eine Tochterfirma der in Italien ansässigen Sanastera Holding. Die Geschichte der Sanacorp reicht bis ins Jahr 1924 zurück, als in Esslingen eine erste Apothekergenossenschaft gegründet wurde. Aus der Fusion mehrerer dieser Genossenschaften ging schließlich 1992 die Sanacorp hervor.Bild: Sanacorp Quelle: Presse

Grundsätzlich werden die Lieferprobleme von den Herstellern nicht bestritten. Gründe gibt es viele: Weltweit steigt die Nachfrage nach Medikamenten, doch wegen des zunehmenden Kostendrucks im Gesundheitswesen sinkt die Bereitschaft zu Investitionen. Zunehmend legen Qualitätsmängel die Produktion lahm, nachdem viele Hersteller die Fertigung von Wirkstoffen in asiatische Länder verlagert haben. Auch die Rabattverträge, die Krankenkassen in Deutschland exklusiv mit einzelnen Herstellern abschließen, um die Preise zu drücken, sind Teil des Problems: Konkurrenten, die leer ausgehen, fahren Kapazitäten zurück und können bei Produktionsproblemen des Rabattvertragsgewinners nicht mehr einspringen.

Umfrage in Hessen: Welche Medikamente häufig fehlen

An konkreten Erklärungen, wie es zu einzelnen Lieferproblemen kam, mangelt es nicht. So betont Ratiopharm auf Anfrage der WirtschaftsWoche, dass sein Blutdruckmittel Bisoprolol wieder erhältlich ist. Eine Umstellung bei der Verpackung des Mittels aufgrund „regulatorischer Anforderungen“ habe für die Engpässe gesorgt; die Versorgung sei jedoch durch die Schwestermarke AbZ sichergestellt gewesen. Hexal erklärt das häufige Fehlen seines Schilddrüsenpräparats L-Thyrox mit „gestiegener Nachfrage“, Merck begründet die Ausfälle bei seinem Konkurrenzpräparat Jodthyrox, das nun „in begrenztem Umfang“ wieder erhältlich sei, ebenfalls mit „stark erhöhter Nachfrage“ und technischen Problemen.

Apotheker Diefenbach hält solche Argumente oft für vorgeschoben: „Die Unternehmen konzentrieren sich mit ihren Medikamenten zunehmend auf Märkte außerhalb Deutschlands, wo sich höhere Margen verdienen lassen.“ So gilt etwa Asien als wichtiger Zukunftsmarkt.

Für besonders problematisch hält Diefenbach die Engpässe bei Impfstoffen. Die Herstellung der Spritzenflüssigkeiten ist ebenso aufwendig wie störanfällig und zieht sich – von der Entwicklung im Labor bis hin zum fertigen Impfstoff – schon mal länger als 20 Monate hin. Seit die Behörden bei den Herstellern strenger kontrollieren, kommt es häufiger zu Produktionsunterbrechungen. Konkurrenten können oft nicht einspringen, da es aufgrund der hohen Risiken für viele Impfstoffe nur noch ein oder zwei Hersteller gibt.

Die Folgen spürt auch Markus Kerckhoff, der sich mit seiner Schloss-Apotheke in Bergisch Gladbach bei Köln auf den Versand von Impfstoffen spezialisiert hat: „Derzeit fehlen in unserer Apotheke 26 von 126 Impfstoffen – das ist mehr als ein Fünftel des Sortiments.“ Besonders knapp seien derzeit Impfstoffe gegen Gelbfieber und Tollwut. Vor einigen Wochen geriet zudem der Hersteller GlaxoSmithKline mit einem Vierfach-Impfstoff gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken in Lieferschwierigkeiten.

Die Bundesregierung wiegelt wie bei den anderen fehlenden Medikamenten erst mal ab. Die mehrmonatigen und anhaltenden Lieferlücken hätten bisher nur zu Verzögerungen bei Impfungen geführt, schreibt Staatssekretärin Fischbach in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage: „Krankheitsausbrüche aufgrund nicht erfolgter Impfung sind bisher nicht aufgetreten.“

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