Pharmakonzern Roche „Wir brauchen neue Preismodelle“

Der Verwaltungsratschef des Schweizer Pharmakonzerns Roche über den Kampf gegen Google und Co. und die fragwürdigen Praktiken seiner Branche.

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Franz, 57, leitet den Roche-Verwaltungsrat seit 2014. Zuvor war er Chef der Lufthansa. Quelle: REUTERS

WirtschaftsWoche: Herr Franz, messen Sie Ihre Körperfunktionsdaten, um zu wissen, wie fit Sie sind?
Christoph Franz: Wie Sie sehen, trage ich kein Fitbit oder ähnliches am Unterarm. Ich habe mal ein Vorläufermodell genutzt, aber irgendwann kannte ich meine Schlafphasen. Ständige Pulskontrolle wollte ich auch nicht. Insgesamt war der Erkenntnisgewinn dann eher marginal.

Roche aber ist ganz versessen darauf, Gesundheitsdaten von Patienten zu sammeln.
Es gibt noch Tausende von seltenen Krankheiten, die nicht behandelt werden können, und das Wissen darüber ist über die ganze Welt verstreut. Die Daten wollen wir zusammenführen, um neue Erkenntnisse über die Krankheiten und ihren Verlauf zu gewinnen.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg will mithilfe von Daten gleich alle Krankheiten weitgehend ausrotten und steckt Milliarden in die Grundlagenforschung.
Das Geld wird nicht reichen. Zuckerberg will über zehn Jahre drei Milliarden Dollar investieren. Roche investiert pro Jahr etwa acht bis neun Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, dazu gehört auch die Grundlagenforschung. Und unsere Forscher publizieren ungefähr so viele Ergebnisse in den wichtigen Fachjournalen wie die Forscher von Harvard und Stanford zusammen. Krankheiten gibt es aber immer noch.

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Zuletzt hat Roche nur Datenspezialisten wie Foundation Medicine oder Flatiron Health erworben. Wird Roche ein Techkonzern?
Nein, wir bleiben Roche. Bei uns stehen medizinische Fragen im Vordergrund. Aber wir bewegen uns da sicherlich aufeinander zu. Das muss ja nichts Schlechtes sein. Tesla hatte ja auch eine durchaus stimulierende Wirkung auf die Autoindustrie.

Der Exchef Ihrer US-Tochter Genentech hat den Google-Ableger Calico gegründet, der das Altern bekämpfen will. Wird die Pharmabranche bei Innovationen bald ähnlich vorgeführt wie die Autokonzerne von Tesla?
Wir sind gegen die Konkurrenz gut gewappnet. Wir haben ein großes Spezial-Know-how, auch bei digitalen Tools, das so leicht nicht einzuholen ist.

Stört es Sie gar nicht, dass viele Roche-Forscher zu den Biotech-Start-ups abwandern?
Das ist ja zunächst ein Kompliment für uns, denn so werden wir als qualifiziertes Unternehmen wahrgenommen. Nach einer Weile stellen viele fest, dass das Gras auf der anderen Seite auch nicht grüner ist, und kehren von den Start-ups wieder zu Roche zurück.

Wo es ja auch noch einiges zu tun gibt. Roche ist zwar Marktführer für personalisierte Medizin – bei Medikamenten, die genauer auf Patientengruppen und deren genetische Veranlagung abgestimmt sind. Seit Jahren hört man aber nur vom Brustkrebsmittel Herceptin. Haben Sie sonst nichts zu bieten?
Herceptin war sicher unser Frontrunner. Damit können Frauen, die bestimmte genetische Merkmale aufweisen und unter einer besonders aggressiven Form von Brustkrebs leiden, sehr gut behandelt werden. Das betrifft etwa 16 bis 20 Prozent der Patientinnen. Aber es gibt natürlich andere zielgerichtete Medikamente, etwa eine Kombinationstherapie gegen Hautkrebs oder ein kürzlich zugelassenes solches Medikament gegen Lungenkrebs, um nur zwei Beispiele zu nennen. Wir arbeiten zudem an einer personalisierten Krebsimpfung und an gezielten Antibiotika.

Für die Branche ist das ein kritischer Trend. Bislang kassieren die Hersteller immer für ein Medikament ab – egal, ob es wirkt.
Wir brauchen neue Preismodelle in der Pharmaindustrie. Bei uns heißt das: Pay for performance.

Wie funktioniert das konkret?
In einigen Ländern ist es bereits möglich, Informationen über den Erfolg einer Behandlung zu erhalten. Dies kann die Grundlage für ein Preismodell sein, bei dem die Erstattung davon abhängt, ob ein klar definiertes Behandlungsziel erreicht wird.

Macht sich die Industrie aber nicht ihr Geschäftsmodell so kaputt?
Nein, ganz und gar nicht. Wenn wir hervorragende Medikamente haben, dann können wir auch gute Preise verlangen. In Italien zahlen die Krankenversicherer schon für unser Krebsmittel Avastin nur, wenn sich eine Wirkung zeigt.

"Gilead ist völlig zu Unrecht in die Kritik geraten"

Warum nicht auch in Deutschland?
Wir sind da im Gespräch, und eine leistungsabhängige Vergütung ist vom Gesetzgeber her möglich. Aber solche Modelle stoßen nicht überall auf Begeisterung. Schließlich brauchen Sie dafür entsprechende Daten und Statistiken. Viele Entscheider im Gesundheitssystem sind da eher konservativ.

Scheitern Ihre schönen Pläne an der hohen Datensensibilität der Deutschen?
Ach was. Ich war ja auch mal Vorstandschef der Lufthansa. Da habe ich erlebt, wie viele Daten die Passagiere freiwillig zur Verfügung stellen, um an zusätzliche Meilen zu kommen. Und im Gesundheitsbereich ist der Nutzen ungleich größer. Zudem: Bei unseren Anwendungen der Daten geht es ja stets um zusammengefasste, anonymisierte Daten, nicht um Daten von Einzelpersonen.

Und wer sich weigert, erhält dann einen schlechteren Tarif bei der Versicherung?
Das ist eine schwierige Diskussion, da habe ich auch noch keine abschließende Antwort. Natürlich haben die Versicherer ein Interesse, nur die guten Risiken zu versichern. Damit genau das nicht passiert, gibt es im Gesundheitswesen Versicherungen nach dem Solidarprinzip.

Ihre Branche steht seit Jahren in der Kritik, zu hohe Medikamentenpreise zu verlangen. Ihr Konkurrent Gilead etwa hat 1000 Dollar für eine Pille gegen Hepatitis C verlangt.
Gilead ist völlig zu Unrecht in die Kritik geraten. Die haben es geschafft, eine bestimmte Krankheit vollständig zu beseitigen. Wenn Sie diese Pillen einige Wochen lang einnehmen, sind Sie von Hepatitis C geheilt. Die Kosten für Lebertransplantationen oder für Krankenhausaufenthalte fallen damit weg. Das Volumen an Patientinnen und Patienten schrumpft, also müssen sie die Gewinne gleich am Anfang machen. Es geht auch darum, Innovationen zu belohnen.

Medikamente sind auch deswegen oft so teuer, weil Kosten für gescheiterte Medikamente mit eingerechnet werden.
Das ist eine Sitte in unserer Branche, die zu Recht hinterfragt wird. Die ineffizientesten Unternehmen könnten so ja schlimmstenfalls die höchsten Preise verlangen. Ich bleibe dabei: Die Preise müssen sich am Nutzen für die Patienten orientieren.

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US-Präsident Donald Trump wirft Ihnen und ihren Kollegen Wucherpreise vor. Wie gefährlich ist er für das Roche-Geschäft auf dem größten Markt der Welt?
Es gab in den USA viele schlechte Beispiele. Denken Sie an den Fall Martin Shkreli, der sich das Monopol an einem Notfallmedikament erkauft hat, um den Preis um mehr als das 50-Fache hochzusetzen. Das wäre bei Roche undenkbar. Wir bieten in den USA etwa unser neues Mittel gegen multiple Sklerose zu einem Preis an, der 25 Prozent unter dem des aktuellen Wettbewerbers liegt.

Trump verlangt auch, dass die Konzerne verstärkt in den USA produzieren.
Wir sind da gut aufgestellt und haben keine weiter gehenden Pläne. Tatsächlich ist Roche einer der größten Exporteure aus den USA.

Eine weitere Bedrohung ist das Ende von Obamacare, der staatlichen Zwangsversicherung. Zehntausende Patienten fallen künftig als Kunden für Sie in den USA aus.
Für ein Pharmaunternehmen ist so eine Entwicklung grundsätzlich schlecht, ebenso aus volkswirtschaftlicher Perspektive für eine Gesellschaft. Der Zugang zu Medikamenten und eine umfassende medizinische Versorgung ist eine wichtige Errungenschaft.

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Die Umsätze fehlen jetzt. Zudem laufen bei Roche die Patente wichtiger Krebsmedikamente aus. Wie verkraften Sie den Ausfall?
Sehr gut. Wir bringen innerhalb von anderthalb Jahren fünf neue Medikamente auf den Markt, das liegt klar über dem Schnitt, etwa Präparate gegen multiple Sklerose oder gegen die Bluterkrankheit. Einen solchen Schub hat es bei Roche noch nie gegeben.

In der Krebsimmuntherapie, wo der Krebs durch das Immunsystem bekämpft wird, liegt Roche hinter den US-Konzernen Bristol Myers Squibb und Merck und Co. zurück. Wie war das mit den Innovationen noch mal?
Wir haben zunächst nicht geglaubt, dass der Ansatz funktioniert. Dann haben wir unsere Studiendaten gesehen, und da war klar, dass wir vor einem Durchbruch stehen. Nun sind wir schon die Nummer drei. Ich bin begeistert davon, was wir in dem Gebiet noch zeigen werden. Meine Hoffnung ist, dass Krebs immer mehr von einer tödlichen zu einer chronischen Krankheit wird.

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