Pharmakonzerne Angriff auf die Medikamentenpreise

Donald Trump attackiert die Pharmakonzerne wegen angeblich überhöhter Preise in den USA. Stefan Oschmann, Chef bei Merck, muss bei seiner US-Reise die Nerven bewahren.

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Stefan Oschmann

Auf dem Bildschirm in der Halle gestikuliert der zu dem Zeitpunkt designierte Präsident der Vereinigten Staaten wild vor sich hin. „Oh, Trumps Pressekonferenz“, sagt Stefan Oschmann. Doch der Chef des Darmstädter Pharmakonzerns Merck hat keine Zeit, dem nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten länger zuzuhören. Er wirft noch einen Blick auf den Bildschirm, dann folgt er seinen Vorstandskollegen in den Konferenzraum an der kalifornischen Stanford University. Auf die Manager wartet ein Workshop zur Digitalisierung.

Erst rund drei Stunden später kann Oschmann sich wieder mit Trump beschäftigen. Er zieht sein Handy aus der Tasche, checkt die Nachrichten und runzelt die Stirn. „Sie gehen über Leichen. Die Pharmabranche hat jede Menge Lobbyisten und jede Menge Macht“, liest er laut vor. „Wir werden beginnen zu verhandeln, wir werden Milliarden von Dollar sparen“, wiederholt Oschmann Trumps Worte. Seine Vorstandskollegen hören zu, mit hochgezogenen Augenbrauen. Der bald mächtigste Mann der Welt hat gerade kräftig gegen eine ganze Branche ausgeholt. Auch gegen sie.

Trump hat bereits gegen Autobauer und Flugzeughersteller gewettert, nun sind die Pharmafirmen in sein Visier geraten. Die USA sind der mit Abstand größte Markt für verschreibungspflichtige Medikamente – und zugleich der teuerste. Keine Kontrollinstanz wacht darüber, dass Arzneien bezahlbar bleiben, die staatlichen Versicherungen dürfen die Preise nicht verhandeln.

Diese Pharmakonzerne müssen vor Trump zittern
Donald-Trump Quelle: AP
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Nexavar-von-Bayer Quelle: dpa
Martin-Shkreli Quelle: AP

Das haben die Konzerne ausgenutzt. In den letzten sieben Jahren sind die Medikamentenpreise im Schnitt um mehr als 150 Prozent gestiegen, so Analysten von Morgan Stanley. Trump will dem ein Ende bereiten. Macht er Ernst, dürften die Profite der Branche fallen. Das beunruhigt auch die Merck-Manager.

Eigentlich ist der Vorstand auf Bildungsreise in den USA, doch Trumps Kritik überschattet den Besuch in Stanford, die Geschäftstermine und Treffen mit Gründern.

Dabei hatte im Wahlkampf vor allem Hillary Clinton die Medikamentenpreise zum Thema gemacht. Folglich stiegen die Pharmaaktien, als überraschend Trump siegte. Und umso mehr stürzen sie nach der Kritik ab. Oschmann wird deshalb noch oft nach seinem Handy greifen. Am Tag zuvor hat er eine neue Kooperation verkündet, der Aktienkurs lag im Plus, nun ist er zwei Prozentpunkte im Minus. „Na ja“, sagt der Merck-Chef. „Die Märkte haben sehr stark reagiert. Das ist wahrscheinlich etwas übertrieben.“

So ungestüm Trumps Attacke auch wirkt, so perfekt ist ihr Zeitpunkt. Die Spitzen der globalen Pharmaindustrie haben sich in Kalifornien zum größten Branchentreff der Welt versammelt, der JP Morgan Health Conference. Trump bringt die Routine durcheinander. „Sollte jemand diese Konferenz mit dem Gedanken verlassen, dass alles so ist wie immer, macht er einen Fehler“, warnt Heather Bresch, Chefin des niederländischen Biotechkonzerns Mylan.

Oschmann hat bei dem Branchenspektakel selbst große Pläne präsentiert. Die basieren vor allem auf Avelumab, einem Krebsmedikament der neuesten Generation. Merck will es noch in diesem Jahr in den USA auf den Markt bringen. Es ist das erste Medikament seit mehr als zwei Jahrzehnten, das aus Mercks eigenem Labor stammt. Und es ist Oschmanns Herzensprojekt. Als Vorstand der Pharmasparte hat er die Forschung umgekrempelt und dabei höchstpersönlich in einem Labor in Boston das Team entdeckt, das weitgehend unbemerkt an Avelumab forschte. So jedenfalls will es die Legende.

Dinner mit Start-ups

Abendtermin in San Francisco, ein Dinner mit Start-ups steht auf dem Programm. An zwei Tischreihen drängen sich Merck-Vorstände und Gründer. Oschmann hat die Krawatte abgelegt, mit rosa Hemd und Einstecktuch fällt der 59-Jährige in der Menge trotzdem auf. Vielen muss er erst erklären, wer er überhaupt ist. Amerikaner denken bei Merck oft nur an den gleichnamigen US-Konkurrenten, auch wenn die Darmstädter in den USA rund 10.000 Mitarbeiter haben. Der Konzern erwirtschaftet hier ein Viertel des Umsatzes von 13 Milliarden Euro.

Verglichen mit anderen deutschen Konkurrenten, ist das wenig. Bei Fresenius Medical Care (FMC) etwa, dem Weltmarktführer für Dialyse, stammen rund 70 Prozent der Umsätze aus den USA. Zuletzt geriet der Aktienkurs unter Druck, weil unklar ist, ob eine Wohltätigkeitsorganisation amerikanischen Patienten weiterhin Zuschüsse für die Dialyse zahlen darf. Sollten diese wegfallen, müssten einige Nierenkranke Abstriche bei der Versorgung machen, und FMC erhielte entsprechend weniger Geld. Der Konzern kämpft deswegen nun vor Gericht.

Der Fall zeigt, wie abhängig deutsche Pharmakonzerne von der US-Politik sind. Das gilt auch für Bayer und Boehringer Ingelheim. Bei beiden Konzernen ist das US-Geschäft noch bedeutender als bei Merck, beide haben die Preise für ihre Mittel in den vergangenen Jahren kräftig erhöht.

Für Merck-Chef Oschmann ist es ein schwacher Trost, dass Trumps Angriff die Wettbewerber vermutlich noch härter treffen wird als ihn. Denn ausgerechnet mit Avelumab gerät er in Trumps Fokus. Krebsmedikamente sind besonders teuer, neue Therapien kosten im Jahr schon mal über 100.000 Dollar. Zu Recht, findet Oschmann. Die Forschung ist teuer, die Krebsimmuntherapie gilt als medizinischer Fortschritt. Das müsse auch bezahlt werden, meint der Merck-Chef.

Wie viel er für Avelumab nun tatsächlich verlangen kann, lässt sich kaum abschätzen. Preise deckeln wird Trump wohl nicht, den staatlichen Versicherungen aber will er mehr Verhandlungsmacht einräumen. Das würde sich auf die Profite der Pharmakonzerne durchschlagen, die ihre Preise nicht mehr so frei bestimmen könnten.

Schon verpflichten sich die ersten Pharmakonzerne selbst zum Maßhalten. Abbvie, Allergan und die Dänen Novo Nordisk haben öffentlich versprochen, dass sie ihre Preise in diesem Jahr um höchstens zehn Prozent steigern. Deutsche Konzerne halten sich mit solchen Ankündigungen noch zurück.

Oschmann steigt in den Bus, es war ein langer Tag. Auf der Rückfahrt zu seinem Hotel spricht er lieber über Start-ups als über Politik. Schon am nächsten Morgen sitzt er mit einer Runde von Journalisten zusammen, und wieder kommt die Frage auf: Sind Medikamente zu teuer, was bedeutet Trumps Attacke?

Mittlerweile habe er Übung, die Fragen zu beantworten, sagt er und lacht. Dann blickt Oschmann seinen Gesprächspartnern direkt in die Augen. „Wir müssen abwarten.“ Es überrasche ihn, dass sich 99 Prozent der Diskussion um Medikamente drehe. Dabei sei das gar nicht das einzige Problem. Nur 17 Prozent der gesamten Gesundheitsausgaben entfallen auf verschreibungspflichtige Arzneien, so das Ergebnis einer Studie der US-Gesundheitsbehörden. Oschmann zitiert sie gerne. Das Argument überzeugt ihn. Für Trump dürfte es kaum reichen.

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