Pharmakonzerne Extra-Geld für deutsche Ärzte

Zum zweiten Mal haben die Pharmakonzerne offengelegt, wie viel sie deutschen Ärzten zahlen. Im vergangenen Jahr gab es für die Mediziner mehr als eine halbe Milliarde Euro. Die Praxis der Hersteller bleibt umstritten.

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Im vergangenen Jahr ließen die Pharmahersteller den Medizinern Zuwendungen von 562 Millionen Euro zukommen. Quelle: dpa

Berlin Sind Deutschlands Mediziner korrupt? Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren entsprechende Schlagzeilen. Sie führten inzwischen sogar zu einem Gesetz, nach dem auch niedergelassene Kassenärzte sich strafbar machen, wenn sie nachweisbar Gefälligkeiten nur dafür erhalten haben, dass sie zum Beispiel bestimmte Medizinprodukte oder Arzneimittel bevorzug eingesetzt oder verordnet haben. Bis dahin durften Ärzte sich als freiberuflich tätige Mediziner und selbstständige Unternehmen straflos bestechen lassen. So endete etwa das Verfahren gegen Mediziner, die sich vom Hersteller Ratiopharm vor einigen Jahren Provisionen für jedes verordnete Medikament des Herstellers zahlen ließen, mit einem Freispruch.

Verdächtiger Nummer eins in Sachen Bestechung war dabei immer die Arzneimittelindustrie. Es war daher eine kleine Revolution, als der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (VFA) im vergangenen Jahr erstmals offenlegte, wie viel Geld seine 54 Mitgliedsunternehmen im Jahr 2015 an Ärzte und medizinische Organisationen gezahlt hatten – für die Mithilfe bei der Arzneimittelforschung und für die Fortbildung.

An diesem Mittwoch hat der VFA zum zweiten Mal Daten vorgelegt. Danach flossen im vergangenen Jahr Zuwendungen von 562 Millionen Euro. Das ist nur wenig mehr als im Vorjahr, in dem es 575 Millionen Euro waren.

Davon entfallen 63 Prozent auf die Zusammenarbeit im Bereich Forschung und Entwicklung. Dazu gehören klinische Studien genauso wie die umstrittenen Anwendungsbeobachtungen, bei denen die Ärzte ihre Erfahrungen mit bestimmten Medikamenten im täglichen Praxisalltag untersuchen und anonymisiert an die Unternehmen weiter leiten. 18 Prozent der Summe erhielten Ärzte für  die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen und Vortragshonorare, weitere 18 Prozent gingen an Institutionen für die Unterstützung von Veranstaltungen, Spenden und Stiftungen.

Gemessen an den rund 35 Milliarden Euro, die allein die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr für ärztliche Behandlung ausgeben, scheinen die 562 Millionen Euro Peanuts zu sein. Pro in Deutschland tätigem Arzt kommen nicht einmal 1500 Euro zusammen. Doch da nur ein kleinerer Teil der Mediziner mit der Pharmabranche zusammenarbeitet, geht es im Einzelfall durchaus schon einmal um 100.000 Euro im Jahr und mehr.

Es war daher ziemlich mutig, dass im vergangenen Jahr etwa ein Drittel der Ärzte dem Aufruf  der „Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ der forschenden Hersteller gefolgt waren und ihrer Nennung mit Namen und Adresse samt der erhaltenen Zuwendungen zustimmten. Die Idee dahinter: Jeder Patient sollte leicht herausfinden können, in welcher Verbindung sein behandelnder Arzt zur Pharmabranche steht. In einigen Medien wurde die neue Offenheit allerdings eher negativ gewürdigt bis hin zu Hetzkampagnen gegen einzelne Ärzte, die sich angeblich besonders reichlich von der Pharmabranche schmieren ließen.

„Als wir im vergangenen Jahr die Daten erstmals transparent gemacht haben, hat es in einigen Medien viel Polemik gegen Mediziner gegeben, die uns erlaubt haben, ihre Namen zu nennen. Ich habe daher Verständnis dafür, dass dieses Mal weniger Ärzte dazu bereit waren“, sagt dazu die Hauptgeschäftsführerin des VFA, Birgit Fischer. „Dabei hat jeder Arzt, der bei diesem Thema Farbe bekennt, Respekt verdient. Ihn an den Pranger zu stellen, weil er mit der Industrie zusammenarbeitet, ist verfehlt. Schließlich steht Zahlungen eine Gegenleistung gegenüber, von der am Ende durch bessere Medikamente und eine bessere medizinische Versorgung die Patienten profitieren.“ Dieses Mal hatte nur noch ein Viertel der Mediziner den Mut, sich namentlich zu outen.

Trotzdem setzt die VFA-Chefin weiter auf freiwillige Lösungen.  „Wir werden  weiter an die Ärzte appellieren, die personenbezogene Veröffentlichung ihrer Daten  zu erlauben. Denn ich bin sicher: Je mehr Mediziner das in Zukunft tun, umso geringer wäre das Polemikpotenzial“, sagte Fischer im Gespräch mit dem Handelsblatt. Ziel der forschenden Hersteller sei es, das Transparenz bei diesem Thema zur Selbstverständlichkeit wird.


„Unbestechliche Ärzte“ kritisieren die Praktiken

Dagegen steht freilich eine Kultur in Deutschland, in der Diskretion und Datenschutz in Gelddingen sehr groß geschrieben werden. In den USA ist das ganz anders. Dort sind seit 2013 alle Unternehmen durch den „Physician Payments Sunshine Act“ gesetzlich verpflichtet, einer Behörde Zahlungen an Ärzte zu melden. Neben dem Namen umfassen die Angaben den Grund  und die Höhe. Die Daten werden in eine zentrale Datenbank eingespeist, in der jeder nach seinem Mediziner suchen kann. 

Ein vergleichbares Transparenzgesetz auch für Deutschland hält Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bislang nicht für erforderlich. Auch der VFA hält nicht viele von gesetzlichem Zwang. „Sollte es in Deutschland irgendwann eine Initiative für ein Transparenzgesetz geben, werden wir uns sicherlich nicht dagegen sträuben. Noch setzen wir aber lieber auf Freiwilligkeit“, so Birgit Fischer.

Aus ihrer Sicht hat der Transparenzkodex des VFA schon so zu einer deutlich veränderten Wahrnehmung des Themas in der Öffentlichkeit geführt. „Wenn die Debatten nach der erstmaligen Veröffentlichung der Zahlungen unserer Mitgliedsunternehmen an Ärzte eines deutlich gemacht hat, dann dieses: Die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzteschaft ist zwingend nötig im Interesse eines guten Outputs. Es geht darum, das praktische Wissen der Ärzte für die pharmazeutische Forschung nutzbar zu machen und umgekehrt unser spezifisches Wissen über die Wirkungsweise von Arzneimitteln mit den Ärzten zu teilen.“ Das gelte für klinische Studie genauso wie die Anwendungsbeobachtungen. Sie würden oft zu Unrecht  kritisiert. 

Auch den wissenschaftlichen Austausch im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen und auf medizinischen Kongressen unterstützen die Unternehmen. „Die Industrie zahlt auch in diesem Bereich für einen Wissensgewinn im Gesundheitswesen.“ Das seien substanzielle Beiträge für Fortschritt in der Medizin, so Fischer. Mit dem Transparenzkodex sei erstmals nachprüfbar, welches Geld hier wofür ausgegeben werde. Fakten könnten mithin durch die Öffentlichkeit selbst überprüft werden. „Sie ist damit nicht mehr auf Interpretationen anderer angewiesen“, so Holger Diener, Geschäftsführer der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie.

Das sehen aber selbst viele Mediziner anders. Die prominenteste Ärzteorganisation, die jeder finanziellen Vermengung zwischen Arzneimittelindustrie und Ärzteschaft den Kampf angesagt hat, ist die Organisation MEZIS, („Mein Essen zahle ich selber“). Die Initiative „unbestechlicher Ärzte“ kritisiert seit zehn Jahren regelmäßig vor allem die ärztliche Fortbildung durch die Industrie und deren Einflussnahme auf wissenschaftliche Veröffentlichungen zur Wirksamkeit von Medikamenten.

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