Piloten pokern mit Krankmeldungen "Heute ist ein Tag, der die Existenz von Air Berlin bedroht"

Mit dem streikähnlichen Ausstand bei Air Berlin wollen die Piloten höhere Gehälter durchsetzen. Das könnte das vorzeitige Ende der angeschlagenen Fluglinie bedeuten. Lösen kann das nur Lufthansa-Lenker Carsten Spohr.

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Wer am Bieterrennen um Air Berlin teilnimmt
Ein Lufthansa Airbus A319 Quelle: REUTERS
Auch die britische Fluggesellschaft Easyjet möchte sich an Air Berlin beteiligen. Quelle: dpa
Der ehemalige LTU-Mehrheitsgesellschafter Hans Rudolf Wöhrl auf einer Pressekonferenz. Quelle: dpa
Ein Condor-Passagierflugzeug auf dem Weg nach Mallorca. Quelle: dpa
British Airways British Airwaysäußert sich nicht offiziell zum Interesse an Air Berlin. Die British-Airways-Mutter IAG hat Insidern zufolge aber ein Angebot abgegeben und gehört nach Ansicht von Branchenexperten und Analysten zusammen mit der Lufthansa zu jenen Airlines in Europa, die am ehesten eine große Übernahme stemmen können. Quelle: AP
Utz Claassen Der ehemalige Energie-Topmanager interessiert sich einem Medienbericht zufolge ebenfalls für Air Berlin. Offiziell will er sich dazu aber nicht äußern. Das "Handelsblatt" berichtete, Claassen habe ein 17-seitiges "Angebot zur Komplettübernahme und expansiven Sanierung der Air Berlin" vorgelegt. Demnach biete der Manager einen Kaufpreis von 100 Millionen Euro und wolle bis zu 600 Millionen Euro zusätzlich an Liquidität zur Verfügung stellen. Die Namen der beteiligten Investoren aus den USA, Großbritannien, Singapur und Deutschland benenne er darin nicht, so das Blatt weiter. Claassen verspreche die Übernahme der gesamten Belegschaft "unter der Voraussetzung angemessener wettbewerbsgerechter Vergütungsstrukturen". Quelle: dpa
Link Global LogisticsDer chinesische Unternehmer Jonathan Pang von der Betreibergesellschaft des Flughafens Parchim in Mecklenburg-Vorpommern hat am Donnerstag ein verbindliches Angebot abgegeben. Dies bestätigte sein Anwalt Helmut Naujoks, ohne sich zu Details zu äußern. Einem Insider zufolge bietet Pang rund 600 Millionen Euro und will alle rund 8000 Air-Berlin-Mitarbeiter übernehmen. Unklar blieb zunächst, ob sich der Gläubigerausschuss die Offerte noch anschaut. Die eigentliche Frist für Bieter war am 15. September abgelaufen. Ein Air-Berlin-Sprecher hatte bereits damals betont, die Frist gelte für alle. Pang würde bei einer erfolgreichen Übernahme eine Kooperation seiner Logistikfirma Link Global Logistics mit der Fluggesellschaft ausloten, hieß es zuletzt. Dazu könnten auch Air-Berlin-Flugzeuge nach Parchim verlegt werden. Pang hatte 2007 den ehemaligen Militärflughafen in Parchim gekauft, rund 160 Kilometer nordwestlich von Berlin. Das EU-Recht sieht allerdings vor, dass die Mehrheit des Eigentums und die Kontrolle der Airline von Europäern gehalten wird. Quelle: dpa

Der Ausstand der Air-Berlin-Piloten hätte Oliver Iffert eigentlich kommen sehen können. Immerhin kennt der Chef des Air-Berlin-Flugbetriebs als langjähriger Pilot auch bei der heutigen Tochtergesellschaft LTU die Mentalität und das Denken seiner Cockpit-Besatzungen sehr gut. Doch nachdem am Wochenende die UFO genannte Gewerkschaft der Kabinenbesatzungen den Weg für eine Übernahme großer Teile der Air Berlin durch Lufthansa und deren Billigtochter Eurowings geebnet hatte, schien auch eine Einigung mit den Piloten auf gutem Weg.

Die Chronik von Air Berlin

Leider war der Manager mit dem markanten Glatzkopf am Dienstag ebenso überrascht wie mehrere zehntausend Passgiere, als sich am Morgen plötzlich rund 200 seiner Flugzeugführer krank meldeten und er massenweise Flüge absagen musste. Mit dem vornehm „Sickout“ genannten Spontanstreik geriet der ohnehin immer wieder wackelige Flugbetrieb seines Unternehmens erneut ins Wanken. Weit mehr als 100 Flüge sind bereits betroffen. Darunter sind auch die Verbindungen, die Air Berlin im Namen und unter der Lackierung der Eurowings durchführt.

Und bis zum Ende des Tages könnte es ein Vielfaches werden, erwarten die betroffenen Flughäfen. „Heute ist ein Tag, der die Existenz der Air Berlin bedroht“, schreibt Iffert denn auch in einer internen Mitteilung, die der WirtschaftsWoche vorliegt. „In einem schlechteren Licht kann ein Unternehmen gar nicht dastehen als die Air Berlin am heutigen Tage.“

Bereits jetzt leidet Deutschlands zweitgrößte Linie unter einem kräftigen Passierrückgang. Viele Kunden sind unsicher, ob gebuchte und bezahlte Flüge auch tatsächlich stattfinden. Davor hatte die Linie wegen Problemen bei der Personalplanung Tausende Verbindungen gekappt. Dazu musste sie am Montag weite Teile ihres Langstreckenverkehrs ab Ende September einstellen, weil die Leasingfirma Aer-Cap zehn Airbus A330 vorzeitig zurück forderte. „Wer bucht denn jetzt noch?“, fragte denn auch Lufthansa-Chef Carsten Spohr jüngst in einem internen Video.

Die Folgen beschreibt Air-Berliner Iffert in seinem Schreiben so: Man müsse bald wieder nach Plan fliegen. „Alles andere gefährdet das Ziel, an dem wir alle mit Hochdruck arbeiten: so viele Arbeitsplätze wie möglich zu erhalten.“

Bereits jetzt macht Air Berlin laut Spohr rund drei Millionen Euro Verlust am Tag. Nun dürfte es mehr werden. Damit könnte die Linie den von der Bundesregierung gewährten Überbrückungskredit nicht wie geplant erst Ende Oktober aufbrauchen, sondern bereits früher. Dann müsste die Linie möglicherweise über Nacht alle Flüge einstellen.

Das ist Air Berlin

Das ist den Piloten offenbar bewusst. Doch ihnen geht es darum, bei einer Übernahme allzu große Gehaltsabstriche für sich zu vermeiden. Das droht vor allem für die Teile von Air Berlin, die Lufthansa oder Condor bekommen könnten - nicht jedoch für die Teil, die der britische Billigflieger Easyjet übernehmen könnte. „Easyjet hat keine Gehaltsabstriche gefordert, weil deren Löhne ungefähr denen der heutigen Air-Berlin-Bezüge entsprechen“, sagt ein Gewerkschafts-Insider.

Bei Lufthansa und ihrer Billigtochter Eurowings ist das anders. „Hier geht es um Einbußen von bis zu einem Viertel und für manche ältere Kollegen sogar noch um mehr“, so der Gewerkschafts-Insider.

Zwar bestreitet die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) in einer Pressemitteilung, dass sie hinter dem Streik steht und stellt klar: „Zu keinem Zeitpunkt hat die VC dazu aufgerufen, sich krank zu melden.“ Dazu habe „die VC alle von ihr vertretenen Cockpitmitarbeiter darauf hingewiesen, ihren arbeitsvertraglichen Pflichten nachkommen zu müssen, sofern kein akuter Grund für eine Krankmeldung besteht.“

Krankfeiern statt wildem Streik

Das halten Management und Insolvenzverwalter bei Air Berlin jedoch für vorgeschoben, weil die Zahl der Ausständischen zu groß und zudem so über ganz Deutschland verteilt ist, dass Absprachen schwer sind. Zudem gelte: „Würde die VC zu einem wilden Streik aufrufen, wären sie unter Umständen für die finanziellen Folgen von bis zu mehreren Millionen Euro haftbar“, heißt es in Unternehmenskreisen.

Dem tatsächlichen Denken kommen Äußerungen von VC-Chef Ilja Schulz nahe. Der erklärte heute gegenüber der "Rheinischen Post" mehr oder weniger offen, dass die Piloten einen Wechsel ihrer Kollegen von Air Berlin zu Eurowings mit den von LH-Chef Spohr geforderten Abstrichen nicht mitmachen. Stattdessen fordert er einen „geregelten Übergang“, was Lufthanseaten mit „Verhandlungen über höhere Gehälter“ übersetzen.

„Sollten sich die übernehmenden Unternehmen dauerhaft weigern, einen geregelten Übergang mitzutragen, dann müssen sie damit rechnen, dass der Konflikt in ihrem Unternehmen auch sichtbar wird“, erklärte Schulz gegenüber der Zeitung. „Der Organisationsgrad der Piloten bei Air Berlin ist extrem hoch. Das sollten die Airlines nicht unterschätzen.“

Die spektakulärsten Airline-Pleiten
Mit Air Berlin hat die zweitgrößte Airline Deutschlands Insolvenz angemeldet. Die Pleite bahnte sich seit längerem an: Das Unternehmen mit rund 8.600 Beschäftigten schrieb seit Jahren Verluste und hielt sich hauptsächlich durch Finanzspritzen ihres Großaktionärs Etihad noch in der Luft. Am Freitag drehte die nationale Airline der Vereinigten Arabischen Emirate den Berlinern aber den Geldhahn zu. Mit dem Kredit von 150 Millionen Euro stellt nun der Bund den Flugbetrieb vorerst sicher. Quelle: dpa
Air Berlin ist kein Einzelfall. Die goldenen Zeiten der Luftfahrt sind seit der Liberalisierung des Marktes, die in den 1980er-Jahren einsetzte, vorbei. Seitdem regiert ein knallharter Wettbewerb die Lüfte. Auch die Branchenkrise nach den Anschlägen des 11. September 2001 und das Aufkommen der Billigflieger sorgen dafür, dass viele bekannte Airlines in die Pleite gerutscht sind. Quelle: dpa
Wie kein zweites Unternehmen stand „Pan Am“ für das glamouröse Jet-Zeitalter. 1927 flogen die ersten Postflugzeuge unter dem Namen zwischen Florida und Havanna. Schnell wurde das Unternehmen zu einer der größten US-Fluggesellschaften. Die Airline war eine der ersten, die Interkontinentalflüge anbot, und setzte zahlreiche Standards in der zivilen Luftfahrt. Das blau-weiße „meatball“-Logo von Pan American genießt bis heute Kultstatus. Quelle: imago images
In den 1980er-Jahren begann der Stern von Pan Am zu sinken. Durch die Deregulierung des US-Marktes kamen zahlreiche Konkurrenten auf. 1988 wurde über dem schottischen Lockerbie eine Maschine durch einen Terroranschlag zum Absturz gebracht, was das Vertrauen der Öffentlichkeit erschütterte. 1991 folgte die Übernahme durch Delta Air Lines. Quelle: imago images
Auch TWA gehörte zu den Pionieren der Luftfahrt. Gegründet 1930 als „Transcontinental and Western Air“, machte der exzentrische Milliardär Howard Hughes („The Aviator“) das Unternehmen zur zeitweise größten Airline der Welt. Hinter Pan Am war TWA die inoffiziell zweite Flaggschiff-Gesellschaft der USA. 1985 kaufte der Investor Carl Icahn TWA. Quelle: imago images
In den 1990er-Jahren musste TWA zwei Mal in kurzer Folge Gläubigerschutz beantragen. 1996 starben beim Absturz einer Boeing 747 über dem Atlantik 230 Menschen. Die stark geschrumpfte Airline kam 2001 wieder in finanzielle Schwierigkeiten und wurde von Konkurrent American Airlines übernommen. Quelle: picture alliance
1931 gegründet galt die Airline wegen ihrer finanziellen Stabilität lange als „fliegende Bank“. Aufgrund der politischen Neutralität der Schweiz konnte SwissAir zahlreiche lukrative Ziele in Afrika und im Nahen Osten anfliegen. Quelle: picture alliance

Eine rasche Einigung ist erstmal nicht in Sicht. Denn längst sehen sich die Piloten mit dem Rücken an der Wand. Sie befürchten, Air Berlin werde bereits jetzt so geschrumpft, dass nicht für alle Flugzeugführer Jobs bleiben. Dann könnten vor allem jüngere Kollegen einknicken, um nicht arbeitslos zu werden. Als Beleg sieht Schulz den Umbau der Langstrecke, wo die Gehälter traditionell überdurchschnittlich hoch sind.

Hier hat Air Berlin die Preise zuletzt deutlich hochgesetzt und verlangt für Flüge im Oktober bis zum Dreifachen der aktuellen Tarife. Aus Sicht der Linie passierte das, weil sie nach einer Insolvenz die Routen eventuell einstellen und Passagiere auf anderen Linien umbuchen müsse. „Das geht jedoch nur mit einem teuren Tarif“, so ein Air-Berlin-Insider. Schulz hingegen vermutet einen finsteren Plan. "Wir haben die Sorge, dass mit dieser enormen Preiserhöhung die Langstrecke so unattraktiv gemacht werden soll, dass sie noch vor der Übernahme eingestampft werden kann“, sagte er der "Rheinischen Post".

Lösen kann den Konflikt am Ende weder Iffert noch sonst einer bei Air Berlin. Stattdessen kommt es wohl vor allem auf einen an: Lufthansa-Chef Spohr, glaubt ein Branchenkenner. „Entweder Spohr zahlt auch den Piloten wie zuvor der Kabine höhere Löhne und bekommt am Ende wie geplant weite Teile von Air Berlin“, so der Insider „oder er tut es nicht, die Piloten streiken den Laden vorzeitig kaputt - und dann kommen Billigflieger wie Ryanair schneller und stärker als geplant nach Deutschland.“

Mit anderen Worten: Spohr hat die Wahl, entweder mit höheren Kosten künftig weniger konkurrenzfähig zu werden und Ryanair & Co hinterherzufliegen. Oder nach einem plötzlichen Aus von Air Berlin besetzen die effizienteren Billigwettbewerber schneller als er die besten Flugzeiten an den wichtigen Flughäfen wie Düsseldorf oder Berlin.

Keine leichte Entscheidung.

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