Probleme beim einstigen Vorzeigemaschinenbauer Voith sucht Wege aus dem Stillstand

Die Probleme des einstigen deutschen Vorzeigemaschinenbauers sind vielfach hausgemacht. Die Kritik an Konzernchef Hubert Lienhard wächst.

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Montage bei Voith Quelle: dpa

Baseballer sind nicht zimperlich. Wenn die Heidenheim Heideköpfe in der ersten Baseball-Bundesliga alles dransetzen, um zu gewinnen, schrammen die Spieler auch mal mit dem Kopf voran über den Rasen. „Headfirst Slide“ heißt die absichtliche Bauchlandung, die helfen soll, dass die eigene Mannschaft weiterhin im Angriff bleiben darf.

Gleich mehrfach auf dem Bauch schlittert zurzeit Hubert Lienhard dahin, Chef des Heidenheimer Maschinenbauers Voith, der die Baseball-Mannschaft aus dem Osten Baden-Württembergs mit Trikotwerbung sponsert. Unklar ist aber noch, ob er Voith damit auch hilft. Zwei der vier etwa gleich starken Sparten des erfolgsverwöhnten Familienkonzerns mit weltweit 43.000 Mitarbeitern stecken in ernsten Schwierigkeiten: das Geschäft mit Papier-und Druckmaschinen sowie mit Wasserkraft. Gleichzeitig schwächelt die Sparte Antriebstechnik. Der Dienstleistungsbereich hält sich dagegen wacker.

Nur mit Mühe gelang es Lienhard im vergangenen Geschäftsjahr, das im September 2013 endete, den Umsatz des Vorjahres von rund 5,7 Milliarden Euro zu erreichen.

Vier Bereiche des Voith-Konzerns

Schuld an den Schieflagen sind für den promovierten Chemiker die anderen: In der Antriebstechnik bestelle der Bergbau zu zögerlich, bei der Wasserkraft bremse die verkorkste Energiewende das Geschäft, und bei den Papiermaschinen sorge das Internet für rapiden Nachfragerückgang. Hier brach das Neugeschäft von einer Milliarde Euro binnen zwei Jahren auf 100 Millionen Euro ein. „Der Markt ist tot“, lautet Lienhards apodiktische Erklärung.

Dass der renommierte Vorzeigemaschinen- und -anlagenbauer im Kern kränkelt, ist allerdings zu einem gewichtigen Teil hausgemacht. Mitarbeiter, Analysten und ehemalige Führungskräfte werfen Lienhard, der kurz vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 das Ruder von seinem Vorgänger Hermut Kormann übernahm, Missmanagement vor.

So begründet die Ratingagentur Moody’s, die die Kreditwürdigkeit von Voith im Dezember auf die letzte Note vor „Nicht mehr als Investment empfohlen“ senkte, ihre Entscheidung mit einer Latte von Managementfehlern:

- Voith engagiere sich – auch fünf Jahre nach der Finanzkrise – zu stark im zyklischen Geschäft mit Endverbrauchern.

- Das Unternehmen sei mit mehr als 50 Prozent seiner Erträge weiterhin zu sehr auf den europäischen Markt fokussiert.

- Die vier Geschäftsbereiche ermöglichten zu wenig Synergien.

- Es gebe zu viele Mitarbeiter in Ländern mit hohen Lohnkosten, rund 40 Prozent von ihnen allein in Deutschland.

- Voith tummele sich zu sehr in margenschwachen Branchen.

Das Internet senkt die Nachfrage nach Druckmaschinen

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Die IG Metall wirft dem 63-jährigen Lienhard vor allem vor, zu lange auf die vollen Auftragsbücher geschielt und die negativen Folgen des Internets für die Nachfrage nach Druckpapier und entsprechende Maschinen falsch eingeschätzt zu haben. „Beim Voith-Management hat keiner auf die Signale der Mitarbeiter gehört“, schimpft Ralf Köpke, IG-Metall-Chef in Krefeld. „Die haben schon vor drei Jahren gewarnt, dass mit Riesenmaschinen für grafische Papiere womöglich bald kein Geld mehr zu verdienen sei und der Schwenk auf die Verarbeitung von Zellstoff- und Kunstfasern sinnvoll wäre.“

Konkurrent Andritz aus Österreich zum Beispiel ist damit längst erfolgreich. Obwohl die IG Metall Mehrarbeit und einem Lohnverzicht zugestimmt hatte, will Lienhard nun 213 von 421 Mitarbeitern am Standort Krefeld entlassen.

Kritik gibt es auch an der Strategie in der Antriebstechnik für Lokomotiven, für die Lienhards Geschäftsführerkollege Carsten J. Reinhardt verantwortlich ist. Auch auf diesem Markt weht ein rauer Wind. Die Nachfrage nach den Riesenloks ist begrenzt, Anbieter aber gibt es mehr als genug. Doch die deutschen Lokbauer haben die Chance verpasst, gegen internationale Wettbewerber zu bestehen, indem sie sich enger verbündet hätten.

Voith hatte im Werk Kiel wegen eines Großauftrags der Deutschen Bahn 2005 die Fertigung auf komplette Dieselloks ausgeweitet, statt sich weiterhin auf Zulieferungen unter anderem für das dortige Lokomotivenwerk von Vossloh zu beschränken.

„Wir haben seit Beginn gefragt, wie man damit Geld verdienen will“, kritisiert einer der rund 200 festen Mitarbeiter in Kiel. Nun fehlen auch noch Folgeaufträge. Das aber habe sich Voith nach Ansicht der IG Metall Kiel wohl selbst zuzuschreiben: Auch wenn das Unternehmen dementiere, habe es sich doch seit eineinhalb Jahren nicht mehr zielgerichtet um neue Aufträge bemüht, stattdessen Kosten für Entwicklung und Kundenakquise gespart.

Hubert Lienhard Quelle: dpa

Vergangenen Freitag gingen die Kieler Voithianer auf die Straße, weil sie die komplette Schließung befürchten. Noch aber verhandelt Lienhard mit dem Finanzinvestor One Equity Partners, dem Private-Equity-Ableger der US-Bank JP Morgan Chase, um das Werk loszuwerden.

Für einen späten Zusammenschluss mit dem erfolgreicheren Kieler Lokalkonkurrenten Vossloh sehen Insider derzeit keine Signale. Am 27. Januar will Voith den Betriebsrat nun über seine Exit-Strategie informieren. Bisher lässt das Unternehmen nur wissen, eine Schließung sei vom Tisch. Womöglich bleibt von Voith in Kiel aber nicht mehr als eine Servicestation für die bereits gelieferten Loks.

Dies alles trägt nicht zu Lienhards Rückhalt in der Belegschaft bei, die gerade das Restrukturierungsprogramm „Voith 150+“ schlucken soll: Konzernumbau, Verkauf von Beteiligungen, Entlassungen. Lienhard sei zwar ein „guter Analytiker und gestaltungsfreudig“, sagt ein Ex-Top-Manager von Voith. Er lasse aber „im Umgang mit Menschen einiges zu wünschen übrig“. Früher seien die Chefs mit den Mitarbeitern „fürsorglicher und in einem anderen Ton umgegangen“. Wie viel Taktgefühl bei Voith heute herrscht, bewies die Zentrale in Heidenheim, als sie den Beschäftigten im Werk Krefeld den geplanten Stellenabbau am Freitag, dem 13. September, mitteilte.

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Voith muss auch seinen Kunden mehr bieten als bisher. Dass sich über den reinen Verkauf reichende Dienstleistungen aus Anbietersicht rechnen, weiß Voith dank seines einzig derzeit nicht bedrohten Bereichs Industrial Services, der oft im Schatten ruhmbringender, weltweiter Anlageprojekte steht.

Die Sparte bietet beispielsweise Automobil- und Kraftwerksbauern oder der chemischen Industrie technische Dienstleistungen für Gebäude und Anlagen. Doch auch da, auf einem der aussichtsreichsten Felder rund um den weltweiten Maschinen- und Anlagenbau, ginge noch viel mehr. Gewinne werden dabei immer weniger mit ständig billiger werdenden Ersatzteilen und Instandhaltung gemacht. Gefragt sind komplexere Dienstleistungen wie Updates der laufenden Anlagesoftware, Bewertungs- und Analysetools oder Ferndiagnosen.

Das ist ein Markt, den viele deutsche Maschinenbauer aus Sicht der Strategieberatung Roland Berger noch sträflich vernachlässigen. Erst 55 Prozent der Maschinenbauer, die Roland Berger für eine Studie befragt hat, boten solche margenstarken Dienstleistungen an.

Berger-Partner Sven Siepen: „Dieses Thema behandeln die meisten Vorstände noch immer stiefmütterlich als reines Zusatzgeschäft. Diese Unternehmen reagieren nur auf Kundennachfragen, statt aktiv neue Angebote zu entwickeln.“ Ganz anders die clevere Konkurrenz: Wer auch den profitableren Markt der komplexeren Dienstleistungen für bestehende Kunden bedient, kann bis zu 65 Prozent seiner Gewinne in diesem Geschäft erwirtschaften.

Alle zehn Jahre eine Großanlage zu verkaufen, das reicht längst nicht mehr. Siepen: „Selbst Weltmarktführer werden langfristig nicht an der Spitze bestehen, wenn sie keine Dienstleistungen über den gesamten Lebenszyklus einer Anlage liefern können. Zugleich bietet ihnen das die Chance zu mehr Kundenkontakt und der Möglichkeit, sich für neue Aufträge rechtzeitig positionieren zu können.“

Zwar kann Lienhard froh sein, dass ihn keine aggressiven Aktionäre zum Jagen tragen. „In dieser Situation ist es von großem Vorteil, als Familienunternehmen nicht wie börsennotierte Anlagenbauer vom Kapitalmarkt getrieben zu werden“, sagt Markus Turnwald, Maschinenbauanalyst der DZ-Bank. „Damit ist der gesamte Konzern mittelfristig besser zu steuern.“

Dass Lienhard aber ein guter Stratege sei und schnell Innovationen sowie Akquisitionen auf den Weg bringen könne, klagt ein Ex-Top-Manager, das habe er bisher nicht bewiesen.

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