Problemfall Energiesparte Siemens ist "nah an der Katastrophe"

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Kleinanlagen sind die Zukunft der Energieerzeugung

„Der Vorteil ist die große Flexibilität“, sagt Stadtwerke-Chef Brühl. Innerhalb von fünf Minuten können die Rosenheimer ihr Kraftwerk hoch- oder herunterfahren und passen sich so den starken Schwankungen bei Sonnen- und Windstrom an.

Eingekauft hat Brühl seine Gasmotoren nicht bei Siemens, sondern in Österreich. Im Nordtiroler Städtchen Jenbach steht im Schatten eines imposanten Berghangs, auf dem letzte Schneereste silbrig in der Sonne schimmern, ein grasgrüner Flachbau. Hier baut der amerikanische Mischkonzern General Electric (GE) mit gut 1600 Mitarbeitern Gasmotoren, Anlagen mit Leistungen zwischen 500 Kilowatt und 10 Megawatt.

Wie am Fließband laufen die halb fertigen Anlagen durch die Werkshalle. Links und rechts der zwölf Stationen stehen Arbeiter und schrauben Bolzen in die Zylinder der Motoren. Elektronische Anzeigetafeln zeigen, wie lange die Mannschaft für einen Motor braucht. Etwa 1200 Gasmotoren für Kunden weltweit verlassen jedes Jahr das GE-Werk in Jenbach.

Vor zwölf Jahren haben die Amerikaner hier den Diesel- und Lokhersteller Jenbacher Werke gekauft. GE fokussierte ihn auf das Energiegeschäft. 150 Millionen Euro hat der Konzern bis heute in das Werk investiert. Inzwischen ist Jenbach einer der größten GE-Standorte in Europa. Kunden sind Stadtwerke, Krankenhäuser und Industriebetriebe. BMW etwa erzeugt in seinem Werk in Regensburg den Strom mit Gasmotoren aus Jenbach. Insgesamt sind in Deutschland 2500 der Gasmotoren installiert.

Die Konkurrenz wächst

Solche Kleinanlagen, glauben Experten wie Fraunhofer-Mann Deckert, sind die Zukunft der Energieerzeugung. So hat sich die texanische Stadt Houston ein Kraftwerk mit sechs Gasmotoren zu je zehn Megawatt hingestellt. Einziger Zweck der Anlage: Sie soll zu Spitzenzeiten am Mittag und Nachmittag, wenn die Klimaanlagen auf Hochtouren laufen, die Versorgung mit Wind- und Solarstrom ergänzen. Peaker heißen solche Anlagen. Das texanische Kleinkraftwerk läuft nur vier Stunden am Tag und arbeitet dennoch wirtschaftlich.

Es gibt Unternehmen, die sogar in noch kleineren Dimensionen arbeiten als GE mit seinen Gasmotoren. Entrade aus Düsseldorf hat zusammen mit dem Fraunhofer-Institut, der RWTH Aachen und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ein neuartiges Minikraftwerk entwickelt. Mit ihren 22 Kilowatt Leistung kann die mit Biomasse betriebene Anlage bis zu 20 Haushalte mit Strom versorgen.

Das 2009 gegründete Unternehmen wächst schnell. Die 50 Millionen Euro für die Entwicklung des Minikraftwerks trieb Entrade-Chef Julien Uhlig bei privaten Investoren auf, und er mobilisierte öffentliche Fördergelder. Schon bald soll die Anlage in Serie gehen. Uhlig hat bereits eine Reihe von Aufträgen in den Büchern. So geht demnächst bei der Hafenbehörde im kalifornischen San José ein Entrade-Kraftwerk ans Netz, das dort unter anderem für die Kühlung der Server sorgt.

Turbinengeschäft soll nach Asien und Nordamerika verlagert werden

Bei Siemens in der Mülheimer Rheinstraße weiß man, dass der Konzern den Trend zur dezentralen Energieversorgung zu spät erkannt hat. Michael Süß, bis vor einem Jahr im Siemens-Vorstand für das Energiegeschäft zuständig, setzte voll auf die ganz großen Gas- und Dampfturbinen. In den vergangenen zehn Jahren erweiterte Siemens die Mannschaft an dem 1970 eröffneten Ruhrgebietsstandort von 3000 auf 4800 Mitarbeiter. Unter anderem sitzt dort ein großes Forscherteam, das an neuen Techniken für Gasturbinen tüftelt.

Auch dessen Zukunft ist ungewiss. Kaeser will die Aktivitäten rund um das Geschäft mit großen Turbinen dorthin verlagern, wo die Kunden sitzen – vor allem nach Asien und Nordamerika. In Charlotte im US-Staat North Carolina etwa betreibt Siemens eine ähnliche Fabrik wie in Mülheim. In der Rheinstraße fürchtet die Belegschaft, dass nun einiges abwandert.

Für Nervosität sorgt im Energiebereich auch, dass der Konzern seine technologische Führerschaft zu verlieren droht. So war die Siemens-Gasturbine der H-Klasse bisher die Benchmark der Branche. Zuverlässigkeit, Wirtschaftlichkeit und ein hoher Wirkungsgrad zeichnen die Turbine aus.

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