Prozess Die düstere Vergangenheit von L'Oreal

Der Prozess um Konzernerbin Liliane Bettencourt und gegen Frankreichs Ex-Präsident Nicolas Sarkozy ruft die verdrängte Erinnerung an die dunkle Vergangenheit des Schönheitsriesen wach.

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100 Jahre L'Oréal
1908 Quelle: L'Oréal
1915 Quelle: L'Oréal
1921 Quelle: L'Oréal
1927 Quelle: L'Oréal
1932 Quelle: L'Oréal
1950 Quelle: L'Oréal
1961 Quelle: L'Oréal

Die Explosion ließ das ganze Haus erzittern. Hotelangestellte und Gäste in Schlafanzügen und Nachthemden stürzten aus ihren Zimmern. Es war zwei Uhr morgens. „Was ist passiert?“, rief jemand, als vor Zimmer 19 Schreckensschreie ertönten. Inmitten von Putz, gesplitterten Möbeln und geborstenem Glas lag zerfetzt ein Mann. Der Kopf mit dem ergrauten Vollbart war abgerissen. An den Wänden klebten Blut und Gehirnmasse.

Das Bombenattentat in jener Nacht auf den 26. Juli 1941 in einem Hotel im südfranzösischen Montélimar traf den damaligen sozialistischen Innenminister Marx Dormoy. Die Hintermänner waren „Cagoulards“, zu Deutsch: Maskenmänner. So hießen in Frankreich die Anhänger der rechtsterroristischen „Organisation secrète d’action révolutionnaire“ (OSAR), die vor dem Einmarsch der Deutschen die linksgerichtete Volksfrontregierung mit Gewalt stürzen wollte. Als dann die Nazis große Teile des Landes besetzten, schlug sich die OSAR auf die Seite des Vichy-Regimes, das mit den Deutschen kollaborierte.

Die Geschichte hat große Aussichten, demnächst noch einmal erzählt zu werden. Den Resonanzboden dafür bildet das Gerichtsverfahren gegen Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy wegen Ausnutzung der geistigen und körperlichen Schwäche von Liliane Bettencourt. Es geht um den Verdacht illegaler Spenden, mit denen die inzwischen 90-Jährige und ihr 2007 verstorbener Mann André den Politiker Sarkozy und dessen konservative Partei UMP jahrelang unterstützt haben soll. Am kommenden Donnerstag entscheidet die Staatsanwaltschaft in Bordeaux, ob sie den Vorwurf aufrechterhält.

Bettencourt ist nicht irgendjemand in Frankreich. Sie ist die einzige Tochter von Eugène Schueller, dem Gründer des Kosmetikkonzerns L’Oréal. Und der ist mehr als der langjährige Übervater des französischen Traditionskonzerns. Schueller zählte zusammen mit Bettencourts Gatten André auch zu den Kreisen, die jene Rechtsterroristen aktiv unterstützten und finanzierten, die hinter dem Attentat 1941 und weiteren Anschlägen steckten.

So sehr sich Familie und L’Oréal-Führung in den vergangenen Jahrzehnten auch bemühten, die dunklen Seiten der Vergangenheit ihres Konzerns mit eisernem Schweigen und aufgehübschten Lebensläufen vergessen zu machen, so unvermeidlich rückt nun das Verfahren gegen Sarkozy das hässliche, außerhalb Frankreichs kaum bekannte Gesicht des weltgrößten Schönheitskonzerns – obwohl nicht Gegenstand des Prozesses – wieder ins öffentliche Licht. Vor wenigen Tagen erschienen in Frankreich neue Recherchen des Journalisten Ian Hamel unter dem Titel „Les Bettencourt. Derniers Secrets“ (Die Bettencourts. Letzte Geheimnisse). Filmemacher basteln bereits an einem Drehbuch, um die braunen Flecken von L’Oréal auf die Leinwand zu bannen.

Damit verblasst der Mythos eines Mannes, der wie kaum ein anderer das Klischee vom französischen Charmeur bediente, indem er sich La Beauté, der Schönheit der Frauen, verschrieb und dadurch à la française vom Tellerwäscher zum Millionär aufstieg. Und das als einer, der fürwahr kein beau gosse, kein schöner Kerl, sondern nur klein von Statur war, der kurze Hals fast im Körper versunken, von vieler Arbeit schon früh gebeugt. Das kam daher, dass er schon von Kindesbeinen an in der Bäckerei der Eltern Amélie und Charles helfen musste, in der Rue du Cherche-Midi Nummer 124 im heute sündhaft teuren 6. Pariser Arrondissement. „Das Leben bei uns war sehr hart“, hat Schueller später gesagt. „Ich wuchs in einer Atmosphäre der Not und harter Arbeit auf.“

Chemiker und Geschäftsmann

Vielleicht erklärt das in Ansätzen, warum so jemand auch vor Verbrechen nicht zurückschreckt, wenn er fürchtet, jemand wolle ihn um das Erreichte bringen. Jedenfalls gelingt es Schueller schnell, seinen einfachen Verhältnissen zu entfliehen. Er studiert Chemie und schließt 1904 als Jahrgangsbester ab. Victor Auger, Professor an der Universität Sorbonne, stellt den damals 23-Jährigen noch im selben Jahr als Laboranten an. Wenn er von der Universität nach Hause kommt, rackert der Bäckerssohn weiter und experimentiert auf dem Küchentisch mit Tinkturen und Lösungen.

1907 gelingt Schueller der entscheidende Durchbruch, der ihn in die Haute Bourgeoisie katapultiert. Haben sich die Frauen bisher von ihren Friseuren hochgiftige Metallsalze in die Haare kämmen lassen, um graue Strähnen zu verdecken, erfindet Schueller das erste synthetische Haarfärbemittel aus – damals als unbedenklich geltenden – Chemikalien. Er tauft das Mittel Aurélia, meldet das Patent dafür an und steigt binnen Kurzem in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Art Messias auf, der Frauen und ihrem Haar die ewige Jugend schenkt. „Man hat über Schueller gesagt, dass er mit L’Oréal das Gesicht seiner Epoche verändert habe“, urteilt die Historikerin Merry Bromberger. „Was man auf jeden Fall behaupten kann, ist, dass er das Gesicht der Frauen verändert hat.“

Schueller erweist sich schnell nicht nur als ausgezeichneter Chemiker, sondern als Geschäftsmann. Er versteht es, seine noch Ende der Zwanzigerjahre nicht eben für übermäßige Hygiene bekannten Landsleute vom Gebrauch parfümierter Seife und speziellem Haarshampoo zu überzeugen. Als die Arbeiter in Frankreichs Fabriken bezahlten Urlaub erhalten, bringt er Mitte der Dreißigerjahre die Sonnenschutzlotion Ambre Solaire auf den Markt.

1939, als L’Oréal eine Aktiengesellschaft wird, erzielt das Unternehmen einen Gewinn von umgerechnet mehr als 500.000 Euro und gehört damit am Vorabend des Zweiten Weltkriegs zu den profitabelsten in Frankreich. Mit seiner Forderung, die Arbeiter am Unternehmenserfolg zu beteiligen, ist Schueller seiner Zeit weit voraus.

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