Regressforderungen Jetzt sollen die Manager bezahlen

Der insolvente Immobilienriese IVG will vier frühere Vorstände in Regress nehmen. Die Höhe der Forderungen könnte alle bisherigen Fälle von Managerhaftung übertreffen. Immer mehr Konzernlenker lassen ihre Vorgänger für Fehler zahlen – auch um sich selbst vor Schadensersatzansprüchen zu schützen.

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Diese Manager kämpfen mit Regressforderungen
Der Fall: IVGVon Ex-Vorstandschef Wolfhard Leichnitz und drei weiteren Vorständen aus dessen Ära fordert der insolvente Bonner Immobilienriese jetzt je 8,5 Millionen Euro plus Zinsen zurück. Die Manager sollen ohne ausreichende Rückendeckung des Aufsichtsrats beim Kauf des Londoner Büroturms Gherkin 2007 ein Darlehen in Höhe von 52 Millionen britische Pfund vergeben haben. Eine Sonderprüfung aller Geschäfte der Jahre 2006 bis 2008 unter Leichnitz wird erwogen. Die Manager haben dazu gegenüber der WirtschaftsWoche nicht Stellung genommen. Quelle: dpa/dpaweb
Der Fall: ArcandorDer Insolvenzverwalter der früheren Karstadt-Mutter Arcandor fordert von Ex-Chef Thomas Middelhoff 175 Millionen Euro, weil er mögliche Schäden aus Immobiliengeschäften nicht verhindert habe. Middelhoff wehrt sich und klagt gegen den Verwalter. Quelle: AP
Der Fall: SiemensDer ehemalige Finanz-Chef Heinz-Joachim Neubürger verantwortete alle strategischen Verkäufe von Unternehmensteilen und den Börsengang von Siemens in New York. Deswegen unterliegt Siemens auch der Aufsicht der strengen US-Börsenaufsicht SEC. Ein Finanzvorstand, dem 1,3 Milliarden Euro in schwarzen Kassen entgehen? Das Landgericht München hat Neubürger im Zuge des Schmiergeldskandals zu 15 Millionen Euro Schadenersatz an seinen früheren Arbeitgeber verurteilt. Quelle: dpa
Der Fall: Hypo Real EstateDer mit Steuergeldern gerettete Immobilienfinanzierer HRE hat Ex-Chef Georg Funke und zwei weitere frühere Vorstände auf 220 Millionen Euro Schadensersatz wegen umstrittener Kreditvergaben verklagt. Die Manager bestreiten die Vorwürfe. Quelle: AP
Der Fall: MAN237 Millionen Euro wollte der Lkw-Bauer infolge des Schmiergeldskandals von Ex-Chef Hakan Samuelsson. Ein Kompromiss sieht nun vor, dass der Schwede 1,25 Millionen Euro zahlen soll und die D&O-Versicherungen 50 Millionen Euro übernehmen. Quelle: REUTERS
Der Fall: BayernLBEx-Chef Werner Schmidt und sieben weitere Manager sollen der BayernLB 200 Millionen Euro wegen des Desasters beim Kauf der Hypo Group Alpe Adria zahlen. Sie weisen Vorwürfe und Forderungen zurück. Quelle: AP
Der Fall: SachsenLBSachsen will für die irischen Verlustgeschäfte der Pleite-Bank von sechs Ex-Managern Schadensersatz. Der frühere Chef Herbert Süß soll 190 Millionen Euro zahlen. Die Manager weisen die Forderungen zurück.

Wolfhard Leichnitz wollte aus dem etwas verpennten ehemaligen Staatskonzern IVG eine ganz große Nummer im Immobiliengeschäft machen. Mitte 2006 kam der Manager nach erfolgreichen Stationen beim Baukonzern Hochtief und beim Großvermieter Viterra zu dem privatisierten Bundesunternehmen nach Bonn. Der Neue investierte mit viel Fremdkapital in Immobilienikonen wie den Londoner Büroturm Gherkin, kaufte der Allianz Gewerbeimmobilien für 1,3 Milliarden Euro ab und steckte immer mehr Geld in das von seinem Vorgänger initiierte Airrail-Center am Frankfurter Flughafen, das heute Squaire heißt und größter Klotz am Bein der IVG ist. Statt geplanter 650 Millionen Euro kostete Squaire fast das Doppelte und ist trotz intensiver Bemühungen noch nicht verkauft.

Im Herbst 2008 erzwangen die damaligen Großaktionäre, das Kölner Bankhaus Sal. Oppenheim und die Schweizer Santo Holding, Leichnitz’ Abschied. In gut zwei Jahren hatte er die IVG-Schulden auf über 5 Milliarden Euro verdoppelt und den Aktienkurs halbiert. In seine Amtszeit fällt der vermutlich entscheidende Niedergang der IVG, der im August dieses Jahres in den Insolvenzantrag mündete. Sie hat nun für Leichnitz und andere Ex-IVGler womöglich ein extrem teures Nachspiel.

Denn nach Informationen der WirtschaftsWoche will der IVG-Vorstand – auf Anregung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz – eine Sonderprüfung aller IVG-Geschäfte von 2006 bis 2008 initiieren. Die Zustimmung von IVG-Sachwalter Horst Piepenburg – er überwacht die Insolvenz in Eigenverwaltung – steht zwar noch aus. Angebote für die Durchführung der Prüfung hat die IVG nach WirtschaftsWoche-Informationen aber schon eingeholt, unter anderem beim Münchner Wirtschaftsprüfer Deloitte.

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen – das war einmal. Ein Tsunami von Schadensersatzforderungen wogt durch Deutschlands Chefetagen „Viele Manager sehen sich zunehmend in der Haftungsfalle und sind besorgt, was ihre eigene Haftungssituation und den Zugriff auf ihr Privatvermögen betrifft, den es früher so nicht gab“, beobachtet Headhunterin Sabine Hansen von der Personalberatung Amrop Delta in Düsseldorf.

Vor den Gerichten sind derzeit rund 6000 Managerhaftungsverfahren anhängig, schätzt Michael Hendricks, Geschäftsführer der auf Organ- und Managerhaftpflichtversicherungen (englisches Kürzel: D&O) spezialisierten Beratung Hendricks & Co in Düsseldorf. Hinzu kommen Fälle, die nicht vor Gericht landen, aber als Schadensfälle gemeldet sind. Bei durchschnittlich zwei bis drei Beklagten pro Fall bedeutet das: Rund 20 000 Manager und Ex-Manager sind derzeit mit Schadensersatzforderungen konfrontiert, so Hendricks. Vier Fünftel der Ansprüche kommen vom Ex-Arbeitgeber, der Rest von außen, etwa von Gläubigern.

Bei der IVG hat der Vorstand im Herbst zunächst durch die Kanzlei Hengeler Mueller nur den Kauf des Gherkin Towers prüfen lassen, den die IVG zusammen mit der britischen Investmentbank Evans Randall 2007 für 950 Millionen Euro erwarb. Aufgrund von Fehlern, die Hengeler Mueller dabei feststellte, wurden Leichnitz und seine damaligen Vorstandskollegen Bernd Kottmann (Finanzen), Andreas Barth (Projektentwicklungen) und Georg Reul (Investment und Fonds) in diesen Tagen von Piepenburg mit Schadensersatzforderungen jeweils in Höhe von 8,5 Millionen Euro plus Zinsen konfrontiert.

Verfolgte Würdenträger


Formel-1-Chef Ecclestone angeklagt
Die Staatsanwaltschaft München hat Anklage gegen den Geschäftsführer der Formel-1-Holding SLEC Bernhard "Bernie" Ecclestone, erhoben. Der Prozess könnte im Herbst beginnen. Ecclestone soll den ehemaligen BayernLB Gerhard Gribkowsky mit mehr als 33 Millionen Euro geschmiert haben. Eine Verurteilung könnte das Ende seiner Karriere bedeuten. Ecclestone selbst ist der Ansicht, dass er nur eine Haftstrafe das Aus für ihn bedeuten würde. Dann müsse er wohl zwangsläufig abdanken. Gegen Gribkowsky... Quelle: dapd
.... ist bereits ein Urteil ergangen. Der ehemalige BayernLB-Manager wurde zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt. Er hatte 44 Millionen Dollar Bestechungsgeld von Formel-1-Inhaber Bernie Ecclestone kassiert und nicht versteuert. Gribkowsky wollte zunächst nichts sagen, doch dann legte er nach acht Monaten Schweigen ein umfassendes Geständnis vor dem Landgericht München ab. Mittlerweile hat er aus dem Gefängnis heraus sein Vermögen freigegeben. Die BayernLB sammelt die Millionen ein und wird somit für den von Gribkowsky verursachten Schaden entschädigt. Es geht um 30 Millionen Euro: Immobilien, Uhren und 900 Flaschen Wein miteingerechnet. Gribkowsky erhofft sich dadurch eine kürzere Haftdauer. Quelle: dapd
Staatsanwaltschaft gegen Holger Härter (Porsche)Urteil: Härter muss einen Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 3500 Euro bezahlen. Richter Roderich sagte, Härter habe bei Kreditverhandlungen mit der französischen Bank BNP Paribas 2009 unvollständige und unrichtige Angaben gemacht. Bei den Verhandlungen ging es um einen 500-Millionen-Euro-Kredit. Zu der Zeit versuchte der Sportwagenbauer den ungleich größeren Volkswagen-Konzern zu schlucken. Mit der Strafe blieb das Gericht hinter dem von den Strafverfolgern geforderten Strafmaß zurück. Die Staatsanwälte hatte ein Haftstrafe von mindestens einem Jahr gefordert,, die bei einer Bewährungsauflage von einer Million Euro zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe hätte ausgesetzt werden können. Kreditbetrug kann mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren geahndet werden. Quelle: dpa
Piech und Porsche im VisierDie juristischen Nachwehen des Machtkampfes zwischen Porsche und VW treffen nun auch die Spitzen des bekanntesten deutschen Autoclans: Die Staatsanwälte in Stuttgart haben neuerdings Ferdinand Piëch und Wolfgang Porsche (beide Foto) im Visier. Die Ermittlungen erfassen den kompletten früheren Aufsichtsrat der Porsche-Dachgesellschaft PSE. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen alle Mitglieder des Gremiums, die zur heißen Phase des Machtkampfes 2008/2009 als Kontrolleure der PSE beteiligt waren. Grund sei der Verdacht auf Beihilfe zur Marktmanipulation, mit der Anleger womöglich getäuscht worden seien. Laut Geschäftsbericht mit Stand Ende Juli 2008 gehörten damals außerdem Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück dazu sowie Hans Baur, Ulrich Lehner, Wolfgang Leimgruber, Hans Michel Piëch, Ferdinand Oliver Porsche, Hans-Peter Porsche, Hansjörg Schmierer, Walter Uhl und Werner Weresch. Zudem nimmt die Behörde einen weiteren damaligen Porsche-Manager ins Visier: Auch gegen den Ex-Unternehmenssprecher Anton Hunger wird wegen desselben Verdachts ermittelt. Hintergrund ist der spektakulär gescheiterte Versuch von Porsche, die Macht beim wesentlich größeren VW-Konzern zu übernehmen. Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass damals Anleger und Finanzwelt gezielt hinters Licht geführt wurden, als 2008/2009 die heiße Phase der Übernahmeschlacht tobte. In diesem Zusammenhang läuft auch eine Klage gegen den früheren Porsche-Chef Wendelin Wiedeking... Quelle: dapd
Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen Wendelin Wiedeking, PorscheVorwurf: Verdacht auf Manipulation des AktienmarktesFast drei Jahre ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft gegen den einstigen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und den früheren Finanzvorstand des Autobauers, Holger Härter. Im Dezember 2012 erhoben die Staatsanwälte schließlich Klage gegen Wiedeking. Der Vorwurf: Informationsgestützte Markmanipulation. Er habe die Börse im Verlauf der Übernahmeschlacht nicht korrekt über seine Pläne und den aktuellen Stand der Ding informiert. Der Vorwurf der Veruntreuung wurde allerdings fallen gelassen. Wiedeking und Härter hatten sich mit gewagten Aktienoptionsmodellen verspekuliert, was den Sportwagenbauer Milliarden gekostet hat. Allerdings soll die Situation nicht existenzgefährdend gewesen sein, daher wurde von der Anklage in diesem Punkt abgesehen. Das Landgericht Stuttgart muss nun in den nächsten Monaten entscheiden, ob es die Klage zulässt. Quelle: dpa
Staatsanwaltschaft gegen Michael Rook (Media Markt)Instanz: Landgericht AugsburgAnklage: Bestechung und Bestechlichkeit - Annahme von Schmiergeld. Ein anderer Angeklagter hat Ende Juni den Empfang von Schmiergeld gestanden und den Ex-Deutschland-Geschäftsführer der Elektronikmarktkette Media Markt, Michael Rook, wegen der Annahme von Schmiergeld mitbeschuldigt. Er und weitere Ex-Top-Manager von Media Markt hatten Schmiergelder für die Vergabe von DSL-Anschlüssen erhalten. Dadurch seien der Wettbewerb ausgehebelt und die Konkurrenten beschädigt worden. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind mehr als vier Millionen Euro geflossen. Der Ex-Deutschland-Chef von Media Markt soll in 182 Fällen bestochen worden sein.Aktueller Stand: Die Staatsanwaltschaft glaubt den Beteuerungen Rooks nicht und beantragt eine Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Für den Ex-Regionalmanager beantragte der Staatsanwalt vier Jahre und sechs Monate Gefängnis. (November 2012) Quelle: dpa
Leo Kirch gegen die Deutsche BankVorwurf: Kirch und seine Familie werfen der Deutschen Bank vor, dass der ehemalige Deutsche Bank-Chef Rolf Breuer mit einem Interview am 4. Februar 2002 im Nachrichtensender Bloomberg den Zusammenbruch der Kirch-Gruppe mitverursacht hat.Dauer/Instanz: Kirch reichte 2002 die erste Klage ein. Im Dezember 2012 fällt das Oberlandesgericht München das Urteil.Urteil: Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht München Guido Kotschy verurteilte die Deutsche Bank auf Schadenersatz. Die Höhe ließ er offen. Die Summe solle von zwei Gutachtern bestimmt werden. Die Kirch-Seite hatte die Bank in diesem Verfahren auf mehr als zwei Milliarden Euro verklagt. Eine Revision gegen das Urteil ist nicht zugelassen. Die Aussagen Breuers in dem umstrittenen Interview seien kein Unfall gewesen, so Kotschy. Quelle: dpa

Die Vorstände hätten dem Evans-Randall-Fonds ein Darlehen von 52 Millionen Pfund gewährt, das in dieser Höhe nicht vom Aufsichtsrat genehmigt war, haben die Hengeler-Mueller-Juristen herausgefunden. Sie halten wegen dieser „Pflichtverletzung der handelnden Vorstandsmitglieder“ eine Klage durch den IVG-Aufsichtsrat „für aussichtsreich“ und „empfehlen Klageerhebung“. Die Manager haben gegenüber der WirtschaftsWoche zu den Vorwürfen nicht Stellung genommen.

Es dürfte für die vier Herren aber noch dicker kommen. Derzeit wird bei der IVG diskutiert, ob das Gesamtverhalten des IVG-Managements unter Leichnitz „so schadensgeneigt“ war, dass man daraus eine allgemeine Schadensersatzpflicht ableiten könne. Bestätigt sich das, könnte die erwogene Sonderprüfung zu einem der größten Fälle von Managerhaftung in der deutschen Wirtschaft eskalieren.

Korruptionsvorwürfe, Kartelldelikte, Fehlspekulationen – immer massiver werden Unternehmen für Compliance-Verstöße zur Kasse gebeten. Und immer mehr von den Bußen und Wiedergutmachungszahlungen holen sie sich von verantwortlichen Managern zurück.

Versicherungsnehmer bei D&O-Policen ist das Unternehmen. Es schließt sie zum Schutz des Privatvermögens der Manager ab – als Vertrag zugunsten Dritter. Dass die Manager die Rechte aus der Police geltend machen, wenn ihr Arbeitgeber von ihnen Schadensersatz fordert, hilft aber auch der Firma: Sie bekommt Geld nicht nur im Rahmen des Privatvermögens ihrer Führungskräfte zurück, sondern bis zur Deckungssumme in oft zwei- oder dreistelliger Millionenhöhe.

Genaue Zahlen gibt es nicht, denn D&O-Fälle werden dem Versicherungsverband nicht gemeldet. Unstrittig ist aber: Das Geschäft boomt. Zahlten deutsche Unternehmen laut Berater Hendricks von 2001 bis 2005 insgesamt eine Milliarde Euro an D&O-Versicherungsprämien, erwartet er für 2011 bis 2015 schon 3,5 Milliarden Euro. Auszahlungen und Rückstellungen der Versicherer haben sich im selben Zeitraum auf vier Milliarden Euro verdoppelt.

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Die Forderungen machen vor keinem wirtschaftlichen Würdenträger mehr halt, seit Siemens infolge seines Mega-Korruptionsskandals Ex-Vorstandschef Heinrich von Pierer in Haftung nahm. Der Doyen der deutschen Wirtschaft einigte sich mit dem Siemens-Aufsichtsrat vor vier Jahren auf Zahlung von fünf Millionen Euro Schadensersatz an Siemens, Nachfolger Klaus Kleinfeld opferte zwei Millionen Euro.

Die geforderten Summen werden immer höher. So verlangt der Stahlriese ThyssenKrupp von einem früheren Spartenvorstand wegen illegaler Preisabsprachen im Eisenbahngeschäft 103 Millionen Euro Schadensersatz. Beim früheren MAN-Chef Hakan Samuelsson geht es um 237 Millionen Euro und beim Ex-Chef der früheren Karstadt-Mutter Arcandor, Thomas Middelhoff, um 175 Millionen. Die fordert der Insolvenzverwalter von Middelhoff, weil dessen Vorvorgänger Wolfgang Urban einst beim Verkauf von Karstadt-Immobilien ungünstige Verträge abgeschlossen haben soll und Middelhoff nicht dagegen vorging. Dafür wiederum sei er selbst haftbar, was Middelhoff bestreitet.

Jäger und Gejagte


Was dem EnBw-Chef Kopfzerbrechen bereitet
Andrej BykowDer russische Lobbyist bereitet EnBW-Managern zur Zeit heftige Kopfschmerzen. Zwar ist Vorstandschef Frank Mastiaux völlig unbelastet, weil er erst seit Oktober 2012 im Amt ist, aber ständige Hausdurchsuchungen von gleich zwei Staatsanwaltschaften, die ermitteln, stören den Geschäftsbetrieb und produzieren negative Schlagzeilen. Der Verdacht: EnBW-Manager sollen Bykow geschmiert haben, um beispielsweise an lohnende Gaslieferverträge aus Russland zu kommen. Bewiesen ist bisher nichts. Quelle: PR
AtomausstiegVor der Energiewende war die EnBW ein Atomkonzern reinsten Wassers. Wasserkraftwerke und Windräder waren nur die Abrundung einer klaren Kernkraftstrategie in Deutsch-Südwest. Mit dem Wegfall der Atomkraft bis 2022 muss sich der Versorger etwas einfallen lassen, um als Konzern in jetziger Form bestehen zu bleiben. Quelle: dapd
WindkraftDie grünrote Landesregierung will in dieser Legislaturperiode 1000 Windräder in Baden-Württemberg aufstellen. Doch die Planungen gehen nur sehr zäh voran. Bislang sind es nur 15 Mühlen im Ländle, die 23 Megawatt Strom erzeugen. Die Kommunen, die Anteilseigner von EnBW sind, befürchten eine Verspargelung der Landschaft und ausbleibende Touristenströme Quelle: dpa
WasserkraftBaden-Württemberg ist das Land der Wasserfälle und Wasserkraftwerke, so wie Bayern und Österreich. Die Wasserkraftwerke sind zum Teil hundert Jahre alt und stehen unter Denkmalschutz. Es sind gewaltige Baudenkmäler, die nicht nur Strom produzieren, sondern auch Touristen anziehen, ein Vorzug, der Atomkraftwerken und Windrädern auf der Schwäbischen Alb abgeht.   Quelle: AP
GaskraftEnBW gelang es noch unter Mastiaux-Vorgänger Hans-Peter Villis, mit dem russischen Gasexporteur Novatek einen Rahmenvertrag für Gaslieferungen aus Russland abzuschließen. Damit erreichte beispielsweise EnBW bereits jetzt schon, was RWE bisher noch nicht geschafft hat, günstige Einkaufspreise für Erdgas zu erzielen. In Düsseldorf will EnBW als Teilhaber der dortigen Stadtwerke ein Gaskraftwerk direkt am Rhein bauen. Die Absichtserklärung jedenfalls liegt vor. Quelle: dpa/dpaweb

Dass Manager grundsätzlich schadensersatzpflichtig sein können, auch mit hohen Summen, stellte der Bundesgerichtshof schon 1997 im Arag-Fall klar. Bei dem Rechtsschutzversicherer hatte der Finanzvorstand mit unerlaubten Transaktionen Millionenverluste eingefahren. Zwei zerstrittene Familienstämme hinter der Arag fochten die Frage, ob der Mann verklagt werden sollte, bis in die letzte Instanz aus. Ergebnis: Aufsichtsräte müssen Schaden vom Unternehmen abwenden – auch durch Schadensersatzprozesse gegen eigene Manager. Der Arag-CFO wurde zu 55 Millionen Mark Schadensersatz und viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Das Arag-Urteil war nur der Auftakt. Rechtsverschärfungen verbreiterten die Basis für Compliance-Streitsachen. 1999 verbot das Strafrecht Bestechung, die bis dahin steuerlich abzugsfähig war. Es folgte der Corporate Governance Kodex, später verschärfte der Gesetzgeber das Aktienrecht. „Die erste größere Welle von Schadensfällen folgte auf den Zusammenbruch des Neuen Markts und seiner Stars“, erinnert sich D&O-Anwalt Oliver Sieg von der Kanzlei Noerr in Düsseldorf.

Es folgte eine lange Reihe von aufgedeckten Kartellen. „Immer mehr heimliche Preisabsprachen kommen heraus, seit Unternehmen, die als Whistleblower voranpreschen, Rabatte bei den Millionenbußen oder sogar Straffreiheit bekommen können“, sagt Anwalt Oliver Maaß von der Kanzlei Heisse Kursawe in München. Die verhängten Bußgelder und die Schadensersatzzahlungen an die Kartellopfer holen sich die Unternehmen von den einst verantwortlichen Führungskräften zurück.

Den nächsten großen Schwung von Managerhaftungsfällen bescherte die Finanzkrise. Der Gesetzgeber hat die Verjährungsfristen zur Verfolgung der Finanzbosse 2011 auf zehn Jahre verdoppelt – dauern diese Fälle im Schnitt doch acht bis zehn Jahre. Die D&O-Anbieter HDI, VOV und Axa versichern wegen des hohen Risikos keine Finanzdienstleister mehr.

Auch Insolvenzverwalter haben D&O-Policen für sich entdeckt: als Vermögenswert, den sie realisieren können. Eine Sonderprüfung bei der IVG wäre die erste im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. „Viele Manager, die versuchen, Firmen zu sanieren, werden hinterher vom Insolvenzverwalter verfolgt“, klagte jüngst Ex-Arcandor-Grande Middelhoff.

Gerne halten sich Insolvenzverwalter auch an den Aufsichtsrat – „insbesondere, wenn dort solvente Leute sitzen“, sagt der Düsseldorfer Insolvenzverwalter Dirk Andres. Er habe schon erlebt, „wie ein Aufsichtsrat 100 000 Euro aus der Privatschatulle zahlen musste“, weil er Zahlen des Wirtschaftsprüfers nicht hinterfragt hatte.

Aufsichtsräte sind in Sachen Schadensersatz Jäger und Gejagte. Die juristische Schlachtordnung in vielen Unternehmen heißt heute jeder gegen jeden: Aufsichtsräte gegen Vorstand, Vorstand gegen Aufsichtsrat, Aufsichtsräte gegeneinander.

Mittelständler verklagen häufig ihre Führungskräfte


Die große Galerie der Bankster
Chef der HSH Nordbank 2008 bis 2011:Dirk Jens Nonnenmacher Der Finanzvorstand übernahm im November 2008, als die HSH wegen Wertpapierverlusten schon in Schieflage war. Bonuszahlungen und Intrigen machten alles noch schlimmer.Heute: 50, versucht Neustart als Berater.Prozess wegen Untreue läuft seit Juli 2013 am Landgericht Hamburg Quelle: dpa
Chef der Hypo Real Estate 2003 bis 2008:Georg Funke Die Bank wurde komplett notverstaatlicht, Verlust bisher rund 19 Milliarden Euro.Heute: 58, zeitweilig Makler auf Mallorca (siehe Seite 14), klagt auf Zahlung von Gehalt.Staatsanwaltschaft München ermittelt Quelle: AP
Chef der BayernLB 2001 bis 2008:Werner Schmidt Die Bank kaufte Schrottpapiere und die österreichische Skandalbank HGAA. Das Land stützte sie mit zehn Milliarden Euro.Heute: 70, im Ruhestand.Demnächst vor Gericht wegen Bestechung beim HGAA-Kauf, BayernLB klagt auf Schadensersatz Quelle: dpa
Chef der IKB Bank 2004 bis 2007:Stefan Ortseifen Die Mittelstandsbank kaufte Milliarden an Hypothekenpapieren und stand schon im Juli 2007 vor dem Kollaps. Kosten für KfW und Bund von knapp zehn Milliarden Euro.Heute: 63, im Ruhestand.Wegen Kursmanipulation rechtskräftig verurteilt (zehn Monate auf Bewährung), mit Klage gegen fristlose Kündigung in erster Instanz gescheitert Quelle: dpa
Chef der Sachsen LB 2005 bis 2007:Herbert Süß Wegen Milliardeninvestitionen in Schrottpapiere im August 2007 an die LBBW notverkauft, Sachsen bürgt für Verluste von knapp drei Milliarden Euro.Heute: 73, im Ruhestand.Anklage wegen Untreue im März 2013 Quelle: AP
Chef von Lehman Brothers 1994 bis 2008:Richard Fuld Machte die viertgrößte US-Investmentbank zu einem der größten Spieler im Geschäft mit Kreditausfallversicherungen (Credit Default Swaps/CDS), bis der amerikanische Immobilienmarkt 2007 zusammenbrach. Die Bank musste Milliarden auf ihre Kreditportfolios abschreiben. Zum Schluss summierten sich die Schulden von Lehman auf rund 600 Milliarden Dollar. Am 15. September 2008 musste die Bank mit weltweit mehr als 28 000 Mitarbeitern Insolvenz beantragen.Heute: 67, Privatier. Fulds Versuche, wieder in der Finanzbranche Fuß zu fassen, schlugen fehl. Noch ein Jahr vor der Pleite verdiente Fuld rund 20 Millionen Dollar. Keine Ermittlungen Quelle: Reuters
Chef Royal Bank of Scotland 2001 bis 2008:Fred Goodwin Trieb die RBS durch die überteuerte Übernahme der niederländischen Bank ABN Amro in den Ruin. Folge: 53,6 Milliarden Euro Staatshilfen, 89 000 Jobs weg.Heute: 55, Privatier. Erhält jährliche RBS-Pension von rund 400 000 Euro, kassierte Abfindung von rund 3,1 Millionen Euro. Keine Ermittlungen. 2012 Aberkennung des 2004 verliehenen Adelstitels Quelle: REUTERS

So wie im Fall der Apobank in Düsseldorf. Die fordert 66 Millionen Euro von Ex-Vorständen: Mehrere Top-Manager hatten Finanzgeschäfte zugelassen, die zu Millionenschäden während der Subprime-Krise geführt hatten. Die verklagten Manager verweisen für den Fall, dass ihnen Fehler nachgewiesen werden, auf den Aufsichtsrat: Der habe alles gewusst. Kein Wunder, dass es inzwischen auch D&O-Policen für Aufsichtsräte gibt.

„Auch immer mehr mittelständische Unternehmen verklagen ihre Führungskräfte“, beobachtet Versicherungsmakler Hendricks. So sollten die ehemaligen Geschäftsführer der deutschen Tochtergesellschaften eines italienischen Möbelherstellers jeweils 2,5 bis 15 Millionen Euro Schadensersatz zahlen – bei früheren Jahresgehältern von 100 000 bis 200 000 Euro.

Der Grund: Von ihrer Konzernmutter hatten die Manager die Anweisung bekommen, eilig hohe Beträge nach Italien zu schicken, und das auch gemacht. Die Überweisungen hätten aber angesichts der Insolvenzgefahr zu dem Zeitpunkt wohl nicht mehr erfolgen dürfen. Nach vier Jahren Rechtsstreit einigte sich der Anwalt der Ex-Geschäftsführer mit Insolvenzverwalter, Banken und D&O-Versicherern. Die Manager kamen bei dem Millionenvergleich mit Selbstbeteiligungen zwischen 5000 und 20 000 Euro davon.

Von den 300 bis 400 Millionen Euro, die D&O-Versicherer in Deutschland pro Jahr derzeit auszahlen, fließt ein großer Teil an die am Verfahren beteiligten Dienstleister. Experte Hendricks schätzt, „dass 50 bis 70 Prozent der Auszahlungen der D&O-Versicherer in den vergangenen 15 Jahren nicht auf die Regulierung der Schäden selbst entfallen, sondern Abwehrkosten der Verteidigung der Manager für Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Gutachter und Gerichte sind“. Die Stundenhonorare bei Compliance-Anwälten liegen für Partner zwischen 320 und 400 Euro – je nach Disziplin. Kartellrechtler sind teurer als Arbeitsrechtler. Renommierte Compliance-Experten kassieren sogar 600 Euro pro Stunde.

Am Fall Siemens etwa verdiente die Wirtschaftsprüfung Deloitte rund 235 Millionen Euro und der US-Anwaltsriese Debevoise & Plimpton mindestens 95 Millionen Euro. Insgesamt soll die Aufklärung der Korruptionsaffäre Siemens 474 Millionen Euro gekostet haben plus 239 Millionen Euro Strafen in Deutschland und 520 Millionen Euro Steuernachzahlungen. 100 Millionen erhielt Siemens von einem D&O-Konsortium unter Allianz-Führung als Schadensersatz zurück. Gefordert hatte der Konzern 250 Millionen Euro. Prozessual abgeschlossen ist die Affäre sieben Jahre nach ihrem Beginn aber noch nicht. Der frühere Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe und prozessiert weiter mit Siemens. Neubürger ist eine Ausnahme. „90 Prozent der Managerhaftungsfälle enden mit einem Vergleich“, schätzt Heisse-Kursawe-Anwalt Maaß.

Denn Gegenwehr ist schwierig. Einer der vier ehemaligen IVG-Manager, gegen den das Unternehmen nun vier Jahre nach seinem Abschied vorgeht, ist ratlos: „Ich habe keine Akten und bin komplett von den alten Informationen abgeschnitten.“ Auch ein Ex-Siemensianer klagt, er habe „nicht die Möglichkeit gehabt, sich zu verteidigen, weil man nicht an die Beweise herankommt, die einen entlasten“.

Unversichert bei Vorsatz


Das sind Deutschlands größte Streithähne
Die Berliner sind die streitlustigsten Deutschen. Pro hundert Einwohner gab es in der Bundeshauptstadt 2012 insgesamt 26,2 Streitfälle, die vor Gericht landeten. Während sich also in Berlin mehr als jeder Vierte zankte, war es im friedfertigsten Bundesland Bayern nur etwa jeder Sechste. Das ergab die Auswertung von mehr als einer Million Streitigkeiten von Privatpersonen aus der gesamten Bundesrepublik durch die Advocard Rechtsschutzversicherung. "Die Deutschen gelten ja gemeinhin als besonders konfliktfreudig. Wir wollten mit "Deutschlands großem Streitatlas" einmal genauer analysieren, wo und wie die Deutschen streiten und ob es in den letzten zehn Jahren Veränderungen gegeben hat", erklärt Peter Stahl, Sprecher des Vorstands, die Idee. Quelle: dpa
Im Vergleich der deutschen Großstädte mit mehr als 300.000 Einwohnern liegt Köln - eigentlich die Hochburg von Frohsinn und Karneval - sogar noch vor Berlin. Auffällig ist zudem, dass sich allein in Nordrhein-Westfalen acht der zehn streitlustigsten Städte finden. Dort liegen allerdings auch neun der 16 deutschen Großstädte über 300.000 Einwohner (ohne die Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg). Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Männer deutlich häufiger einen Streit vom Zaun brechen als Frauen. 68,1 Prozent aller Auseinandersetzungen gingen 2012 von ihnen aus, 2002 lag ihr Anteil mit 70,6 Prozent noch höher. "Bei den Gründen für Auseinandersetzungen sind sich beide Geschlechter relativ ähnlich - bis auf eine fast schon klischeehafte Ausnahme: Männer streiten sich öfter um ihr liebstes Kind, das Auto. Bei Frauen geht es dagegen häufiger um die eigenen vier Wände", erläutert Christian Vogl, Advocard-Vorstand Vertrieb und Marketing. Quelle: Fotolia
Der Anteil der männlichen Streits im Bereich "Verkehr & Mobilität" - oft rund um Verkehrsunfälle und Vertragsstreitigkeiten - liegt mit 29,1 Prozent deutlich höher als bei den Frauen mit 21,8 Prozent. Dafür sind Auseinandersetzungen im Bereich "Wohnen & Miete" bei Frauen mit 16,9 Prozent häufiger als bei den Männern mit 12,6 Prozent. Quelle: Fotolia
Am häufigsten aber streiten beide Geschlechter um Alltagsthemen: In 37 Prozent aller Streitfälle geht es um Privates, beispielsweise um Kauf- oder Mobilfunkverträge. Auch das Arbeitsleben ist immer wieder Streitthema. Darum geht es durchschnittlich in fast jedem sechsten Rechtsstreit. Nur etwas seltener gibt es Streitigkeiten im Bereich "Wohnen & Miete". Im Vordergrund stehen dabei Themen im Mietrecht wie Nebenkostenabrechnungen, Lärmbelästigung durch Nachbarn oder Schimmel in der Wohnung. Quelle: Fotolia
Ein Drittel der Auseinandersetzungen dauert länger als ein Jahr. "Wir beobachten hier seit 2009 wieder eine deutlich steigende Tendenz. Gleichzeitig nehmen die Streitwerte weiter zu", erklärt Vogl weiter. Quelle: Fotolia
Bei über einem Drittel der Streitigkeiten geht es um mehr als 2.000 Euro, in etwa elf Prozent der Fälle sogar um mehr als 10.000 Euro. "Damit gewinnt eine umfassende Absicherung durch eine Rechtsschutzversicherung an Bedeutung", stellt Vogl fest. Quelle: Fotolia

Ein D&O-Fall „ist wie ein Berufsverbot“, sagt der Frankfurter Managerhaftungsanwalt Rolf Cyrus. Nur selten geht die Karriere auf hohem Niveau weiter: Ex-MAN-Lenker Samuelsson führt jetzt die Geschäfte von Volvo. Der frühere Siemens-Chef Kleinfeld ist Chef des US-Aluminiumriesen Alcoa. Den EnBW-Technikvorstand Hans-Josef Zimmer hat der Aufsichtsrat sogar trotz laufender 70-Millionen-Euro-Schadensersatzklage des Energieversorgers gegen ihn wieder ins Führungsgremium geholt. Und der streitbare Ex-Siemens-Vorstand Neubürger wurde im Mai 2012 in den Aufsichtsrat der Deutschen Börse gewählt.

Manche Manager schließen neuerdings zusätzlich eigene, persönliche D&O-Policen ab. Kostenpunkt: 5000 bis 30 000 Euro im Jahr. Die können gut investiert sein, etwa wenn die Deckungssumme nicht ausreicht. Schließlich steht die nur einmal im Jahr für sämtliche Manager eines Konzerns zur Verfügung und nicht für jeden Fall neu.

Der Spielraum für die aktuell Verantwortlichen, Forderungen gegen Ex-Kollegen unter den Tisch fallen zu lassen, ist seit dem Arag-Urteil klein. Die Folge beschreibt einer der Beklagten in den Siemens-Verfahren: „Wenn immer mehr Manager vor dem Strafrichter landen, kann die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr vertrauensvoll sein.“

Da Beklagte mit anderen Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats gesamtschuldnerisch haften, fordern die Unternehmen meist von jedem Maximalsummen. Beim Vergleich zahlen die D&O-Versicherungen den Großteil des Schadensersatzes, fordern aber von den Sündern Selbstbehalte – umso mehr, je höher das Jahresgehalt ist. So schreiben es die Versicherer den Aktiengesellschaften in die Policen.

Um Deckungssummen von 500 Millionen Euro und mehr zu garantieren, tun sich oft 20 bis 30 D&O-Versicherer zwecks Risikoteilung zusammen. Ausschlussklauseln in den Policen etwa für Kartell- oder Korruptionsvergehen sind nicht selten. Dann haftet der Vorstand mit seinem Privatvermögen, wenn im Unternehmen Schmiergeldzahlungen auffliegen.

Für viele Top-Manager ist das Thema D&O eine Blackbox. Allenfalls „jeder zehnte kennt wenigstens den Namen des D&O-Versicherers“, wundert sich Eckhard Schmid, Chef-Arbeitsrechtler bei CMS Hasche Sigle in München. „Nur wirklich Aufgeweckte kennen den Inhalt der Policen oder haben Kopien von der aktuellen Vertragsversion.“ Die Policen laufen nur ein Jahr, dann ändern sich die Bedingungen, oft kommen neue Ausschlüsse hinzu. Muss ein Manager von einer Minute auf die andere den Schreibtisch räumen, ist ihm der Zugang zu den Policen versperrt. Manche Unternehmen beginnen gar einen Rosenkrieg mit ihrem Ex-Manager und lassen sich auf Herausgabe des Versicherungsscheins verklagen.

Schutzlos steht im Regen, wer den Schaden mit Absicht verursacht hat. Das wirft das Oberlandesgericht München der Deutschen Bank und ihrem Ex-Chef Rolf Breuer vor. Mit seiner Äußerung zur Kreditfähigkeit des Medienunternehmers Leo Kirch vor elf Jahren habe er Kirch vorsätzlich geschädigt. Die Höhe des Schadens – je nach Interessenlage 120 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro – sollen nun Gutachter klären. „Bei dieser Konstellation braucht kein D&O-Versicherer einzuspringen“, sagt Experte Hendricks. Müsse die Deutsche Bank Regress an die Kirch-Erben leisten, könne Breuer „persönlich im schlimmsten Fall bis zur Pfändungsfreigrenze von 1030 Euro pro Monat“ zur Rechenschaft gezogen werden.

Bei vielen der aktuellen Verfahren werden die Versicherer aber zahlen müssen. Sie bilden deshalb zurzeit Rückstellungen, die zusammen mit den Auszahlungen die jährlichen Prämieneinnahmen von rund 700 Millionen Euro um „das Doppelte übersteigen“, schätzt Hendricks. Trotz Wachstum sei deshalb das D&O-Geschäft „in Deutschland für die Versicherer schon seit Jahren nicht profitabel“ – immer neue Wettbewerber drängten in den Markt und verdürben die Preise. Angesichts der weiter steigenden Schadenssummen erwartet Hendricks dennoch: „Die Zeit der günstigen D&O-Prämien ist bald vorbei.“

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