Regressforderungen Jetzt sollen die Manager bezahlen

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Unversichert bei Vorsatz


Das sind Deutschlands größte Streithähne
Die Berliner sind die streitlustigsten Deutschen. Pro hundert Einwohner gab es in der Bundeshauptstadt 2012 insgesamt 26,2 Streitfälle, die vor Gericht landeten. Während sich also in Berlin mehr als jeder Vierte zankte, war es im friedfertigsten Bundesland Bayern nur etwa jeder Sechste. Das ergab die Auswertung von mehr als einer Million Streitigkeiten von Privatpersonen aus der gesamten Bundesrepublik durch die Advocard Rechtsschutzversicherung. "Die Deutschen gelten ja gemeinhin als besonders konfliktfreudig. Wir wollten mit "Deutschlands großem Streitatlas" einmal genauer analysieren, wo und wie die Deutschen streiten und ob es in den letzten zehn Jahren Veränderungen gegeben hat", erklärt Peter Stahl, Sprecher des Vorstands, die Idee. Quelle: dpa
Im Vergleich der deutschen Großstädte mit mehr als 300.000 Einwohnern liegt Köln - eigentlich die Hochburg von Frohsinn und Karneval - sogar noch vor Berlin. Auffällig ist zudem, dass sich allein in Nordrhein-Westfalen acht der zehn streitlustigsten Städte finden. Dort liegen allerdings auch neun der 16 deutschen Großstädte über 300.000 Einwohner (ohne die Bundesländer Berlin, Bremen und Hamburg). Quelle: Blumenbüro Holland/dpa/gms
Männer deutlich häufiger einen Streit vom Zaun brechen als Frauen. 68,1 Prozent aller Auseinandersetzungen gingen 2012 von ihnen aus, 2002 lag ihr Anteil mit 70,6 Prozent noch höher. "Bei den Gründen für Auseinandersetzungen sind sich beide Geschlechter relativ ähnlich - bis auf eine fast schon klischeehafte Ausnahme: Männer streiten sich öfter um ihr liebstes Kind, das Auto. Bei Frauen geht es dagegen häufiger um die eigenen vier Wände", erläutert Christian Vogl, Advocard-Vorstand Vertrieb und Marketing. Quelle: Fotolia
Der Anteil der männlichen Streits im Bereich "Verkehr & Mobilität" - oft rund um Verkehrsunfälle und Vertragsstreitigkeiten - liegt mit 29,1 Prozent deutlich höher als bei den Frauen mit 21,8 Prozent. Dafür sind Auseinandersetzungen im Bereich "Wohnen & Miete" bei Frauen mit 16,9 Prozent häufiger als bei den Männern mit 12,6 Prozent. Quelle: Fotolia
Am häufigsten aber streiten beide Geschlechter um Alltagsthemen: In 37 Prozent aller Streitfälle geht es um Privates, beispielsweise um Kauf- oder Mobilfunkverträge. Auch das Arbeitsleben ist immer wieder Streitthema. Darum geht es durchschnittlich in fast jedem sechsten Rechtsstreit. Nur etwas seltener gibt es Streitigkeiten im Bereich "Wohnen & Miete". Im Vordergrund stehen dabei Themen im Mietrecht wie Nebenkostenabrechnungen, Lärmbelästigung durch Nachbarn oder Schimmel in der Wohnung. Quelle: Fotolia
Ein Drittel der Auseinandersetzungen dauert länger als ein Jahr. "Wir beobachten hier seit 2009 wieder eine deutlich steigende Tendenz. Gleichzeitig nehmen die Streitwerte weiter zu", erklärt Vogl weiter. Quelle: Fotolia
Bei über einem Drittel der Streitigkeiten geht es um mehr als 2.000 Euro, in etwa elf Prozent der Fälle sogar um mehr als 10.000 Euro. "Damit gewinnt eine umfassende Absicherung durch eine Rechtsschutzversicherung an Bedeutung", stellt Vogl fest. Quelle: Fotolia

Ein D&O-Fall „ist wie ein Berufsverbot“, sagt der Frankfurter Managerhaftungsanwalt Rolf Cyrus. Nur selten geht die Karriere auf hohem Niveau weiter: Ex-MAN-Lenker Samuelsson führt jetzt die Geschäfte von Volvo. Der frühere Siemens-Chef Kleinfeld ist Chef des US-Aluminiumriesen Alcoa. Den EnBW-Technikvorstand Hans-Josef Zimmer hat der Aufsichtsrat sogar trotz laufender 70-Millionen-Euro-Schadensersatzklage des Energieversorgers gegen ihn wieder ins Führungsgremium geholt. Und der streitbare Ex-Siemens-Vorstand Neubürger wurde im Mai 2012 in den Aufsichtsrat der Deutschen Börse gewählt.

Manche Manager schließen neuerdings zusätzlich eigene, persönliche D&O-Policen ab. Kostenpunkt: 5000 bis 30 000 Euro im Jahr. Die können gut investiert sein, etwa wenn die Deckungssumme nicht ausreicht. Schließlich steht die nur einmal im Jahr für sämtliche Manager eines Konzerns zur Verfügung und nicht für jeden Fall neu.

Der Spielraum für die aktuell Verantwortlichen, Forderungen gegen Ex-Kollegen unter den Tisch fallen zu lassen, ist seit dem Arag-Urteil klein. Die Folge beschreibt einer der Beklagten in den Siemens-Verfahren: „Wenn immer mehr Manager vor dem Strafrichter landen, kann die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr vertrauensvoll sein.“

Da Beklagte mit anderen Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats gesamtschuldnerisch haften, fordern die Unternehmen meist von jedem Maximalsummen. Beim Vergleich zahlen die D&O-Versicherungen den Großteil des Schadensersatzes, fordern aber von den Sündern Selbstbehalte – umso mehr, je höher das Jahresgehalt ist. So schreiben es die Versicherer den Aktiengesellschaften in die Policen.

Um Deckungssummen von 500 Millionen Euro und mehr zu garantieren, tun sich oft 20 bis 30 D&O-Versicherer zwecks Risikoteilung zusammen. Ausschlussklauseln in den Policen etwa für Kartell- oder Korruptionsvergehen sind nicht selten. Dann haftet der Vorstand mit seinem Privatvermögen, wenn im Unternehmen Schmiergeldzahlungen auffliegen.

Für viele Top-Manager ist das Thema D&O eine Blackbox. Allenfalls „jeder zehnte kennt wenigstens den Namen des D&O-Versicherers“, wundert sich Eckhard Schmid, Chef-Arbeitsrechtler bei CMS Hasche Sigle in München. „Nur wirklich Aufgeweckte kennen den Inhalt der Policen oder haben Kopien von der aktuellen Vertragsversion.“ Die Policen laufen nur ein Jahr, dann ändern sich die Bedingungen, oft kommen neue Ausschlüsse hinzu. Muss ein Manager von einer Minute auf die andere den Schreibtisch räumen, ist ihm der Zugang zu den Policen versperrt. Manche Unternehmen beginnen gar einen Rosenkrieg mit ihrem Ex-Manager und lassen sich auf Herausgabe des Versicherungsscheins verklagen.

Schutzlos steht im Regen, wer den Schaden mit Absicht verursacht hat. Das wirft das Oberlandesgericht München der Deutschen Bank und ihrem Ex-Chef Rolf Breuer vor. Mit seiner Äußerung zur Kreditfähigkeit des Medienunternehmers Leo Kirch vor elf Jahren habe er Kirch vorsätzlich geschädigt. Die Höhe des Schadens – je nach Interessenlage 120 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro – sollen nun Gutachter klären. „Bei dieser Konstellation braucht kein D&O-Versicherer einzuspringen“, sagt Experte Hendricks. Müsse die Deutsche Bank Regress an die Kirch-Erben leisten, könne Breuer „persönlich im schlimmsten Fall bis zur Pfändungsfreigrenze von 1030 Euro pro Monat“ zur Rechenschaft gezogen werden.

Bei vielen der aktuellen Verfahren werden die Versicherer aber zahlen müssen. Sie bilden deshalb zurzeit Rückstellungen, die zusammen mit den Auszahlungen die jährlichen Prämieneinnahmen von rund 700 Millionen Euro um „das Doppelte übersteigen“, schätzt Hendricks. Trotz Wachstum sei deshalb das D&O-Geschäft „in Deutschland für die Versicherer schon seit Jahren nicht profitabel“ – immer neue Wettbewerber drängten in den Markt und verdürben die Preise. Angesichts der weiter steigenden Schadenssummen erwartet Hendricks dennoch: „Die Zeit der günstigen D&O-Prämien ist bald vorbei.“

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