Ein D&O-Fall „ist wie ein Berufsverbot“, sagt der Frankfurter Managerhaftungsanwalt Rolf Cyrus. Nur selten geht die Karriere auf hohem Niveau weiter: Ex-MAN-Lenker Samuelsson führt jetzt die Geschäfte von Volvo. Der frühere Siemens-Chef Kleinfeld ist Chef des US-Aluminiumriesen Alcoa. Den EnBW-Technikvorstand Hans-Josef Zimmer hat der Aufsichtsrat sogar trotz laufender 70-Millionen-Euro-Schadensersatzklage des Energieversorgers gegen ihn wieder ins Führungsgremium geholt. Und der streitbare Ex-Siemens-Vorstand Neubürger wurde im Mai 2012 in den Aufsichtsrat der Deutschen Börse gewählt.
Manche Manager schließen neuerdings zusätzlich eigene, persönliche D&O-Policen ab. Kostenpunkt: 5000 bis 30 000 Euro im Jahr. Die können gut investiert sein, etwa wenn die Deckungssumme nicht ausreicht. Schließlich steht die nur einmal im Jahr für sämtliche Manager eines Konzerns zur Verfügung und nicht für jeden Fall neu.
Der Spielraum für die aktuell Verantwortlichen, Forderungen gegen Ex-Kollegen unter den Tisch fallen zu lassen, ist seit dem Arag-Urteil klein. Die Folge beschreibt einer der Beklagten in den Siemens-Verfahren: „Wenn immer mehr Manager vor dem Strafrichter landen, kann die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht mehr vertrauensvoll sein.“
Da Beklagte mit anderen Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats gesamtschuldnerisch haften, fordern die Unternehmen meist von jedem Maximalsummen. Beim Vergleich zahlen die D&O-Versicherungen den Großteil des Schadensersatzes, fordern aber von den Sündern Selbstbehalte – umso mehr, je höher das Jahresgehalt ist. So schreiben es die Versicherer den Aktiengesellschaften in die Policen.
Um Deckungssummen von 500 Millionen Euro und mehr zu garantieren, tun sich oft 20 bis 30 D&O-Versicherer zwecks Risikoteilung zusammen. Ausschlussklauseln in den Policen etwa für Kartell- oder Korruptionsvergehen sind nicht selten. Dann haftet der Vorstand mit seinem Privatvermögen, wenn im Unternehmen Schmiergeldzahlungen auffliegen.
Für viele Top-Manager ist das Thema D&O eine Blackbox. Allenfalls „jeder zehnte kennt wenigstens den Namen des D&O-Versicherers“, wundert sich Eckhard Schmid, Chef-Arbeitsrechtler bei CMS Hasche Sigle in München. „Nur wirklich Aufgeweckte kennen den Inhalt der Policen oder haben Kopien von der aktuellen Vertragsversion.“ Die Policen laufen nur ein Jahr, dann ändern sich die Bedingungen, oft kommen neue Ausschlüsse hinzu. Muss ein Manager von einer Minute auf die andere den Schreibtisch räumen, ist ihm der Zugang zu den Policen versperrt. Manche Unternehmen beginnen gar einen Rosenkrieg mit ihrem Ex-Manager und lassen sich auf Herausgabe des Versicherungsscheins verklagen.
Schutzlos steht im Regen, wer den Schaden mit Absicht verursacht hat. Das wirft das Oberlandesgericht München der Deutschen Bank und ihrem Ex-Chef Rolf Breuer vor. Mit seiner Äußerung zur Kreditfähigkeit des Medienunternehmers Leo Kirch vor elf Jahren habe er Kirch vorsätzlich geschädigt. Die Höhe des Schadens – je nach Interessenlage 120 Millionen bis 1,5 Milliarden Euro – sollen nun Gutachter klären. „Bei dieser Konstellation braucht kein D&O-Versicherer einzuspringen“, sagt Experte Hendricks. Müsse die Deutsche Bank Regress an die Kirch-Erben leisten, könne Breuer „persönlich im schlimmsten Fall bis zur Pfändungsfreigrenze von 1030 Euro pro Monat“ zur Rechenschaft gezogen werden.
Bei vielen der aktuellen Verfahren werden die Versicherer aber zahlen müssen. Sie bilden deshalb zurzeit Rückstellungen, die zusammen mit den Auszahlungen die jährlichen Prämieneinnahmen von rund 700 Millionen Euro um „das Doppelte übersteigen“, schätzt Hendricks. Trotz Wachstum sei deshalb das D&O-Geschäft „in Deutschland für die Versicherer schon seit Jahren nicht profitabel“ – immer neue Wettbewerber drängten in den Markt und verdürben die Preise. Angesichts der weiter steigenden Schadenssummen erwartet Hendricks dennoch: „Die Zeit der günstigen D&O-Prämien ist bald vorbei.“