Und schon wieder fliegt ihm ein Versprechen wie ein Bumerang um die Ohren: Restriktivere Rüstungsexporte hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel angekündigt, als er Ende 2013 Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister wurde. Waffenexporte in Diktaturen wie Saudi-Arabien hatten seine Sozialdemokraten zuvor zum Wahlkampfthema aufgepumpt.
Rüstungsexporte sinken aber nicht – im Gegenteil: Das Ausfuhrvolumen verdoppelte sich im Jahr 2015. Laut Rüstungsexportbericht der Bundesregierung, der diese Woche im Kabinett beschlossen werden soll, stieg der Wert der genehmigten Waffenexporte von knapp vier auf 7,86 Milliarden Euro.
Ein Skandal? Nein! Sigmar Gabriel hat Recht, wenn er die Verantwortung für die gestiegenen Rüstungsexporte auf seinen Amtsvorgänger schiebt: Unter Philipp Rösler (FDP) genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von 62 Kampfpanzern des Typs „Leopard 2“, sowie 24 Panzerhaubitzen. Der Auftrag, dessen Volumen sich ursprünglich auf 1,89 Milliarden Euro belief, wird jetzt abgearbeitet. Die entsprechenden Zahlungen schlagen im Bericht mit 1,3 Milliarden Euro zu Buche.
Ob deutsche Waffen nach Katar geliefert werden sollten, kann und muss man diskutieren – so wie die Frage, ob dieses autokratische Emirat eine Fußball-Weltmeisterschaft austragen sollte. Dies aber bitte zum rechten Zeitpunkt. Sobald aber ein Vertrag unterzeichnet und genehmigt ist, muss er erfüllt werden. Vertragstreue ist einer der Gründe für den Ruf der Zuverlässigkeit, der der deutschen Wirtschaft vorauseilt. Würde Gabriel jetzt den Panzer-Export stoppen, wie es die Opposition fordert, würde dies nicht nur für die Rüstungsindustrie schaden, sondern dem Standort.
Nein, einen zu laschen Umgang mit Waffenherstellern kann Sigmar Gabriel keiner vorwerfen. Wohl aber eine allzu chaotische Regulierungspraxis. Gerade weil der Minister einst mit dem Versprechen einer strikteren Exportkontrolle startete, erklärte er jeden Antrag im Rahmen der Exportkontrolle zur Chefsache. Früher entschied das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in Eschborn routiniert über kleinere Rüstungsexporte wie über Ausfuhren mit doppeltem Verwendungszweck („Dual Use“). Nun will Berlin jeden Antrag sehen.
Die wichtigsten Antworten zu deutschen Waffenexporten
Nach dem Rüstungsexportbericht wurden 2015 Einzelgenehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern in Höhe von 7,86 Milliarden Euro erteilt - das ist fast doppelt so viel wie im Jahr davor.
Gabriel macht für den sprunghaften Anstieg die Vorgänger-Regierung von FDP und Union verantwortlich. Schwarz-Gelb hatte vor der dann verlorenen Bundestagswahl etwa einer Lieferung von Leopard-Kampfpanzern und Panzerhaubitzen an das Emirat Katar zugestimmt - im Wert von 1,66 Milliarden Euro. Gabriel sagt, ihm seien rechtlich die Hände gebunden, er habe den Deal nicht widerrufen können. Das stimmt nicht ganz - der Bund hätte in diesem Fall nur hohen Schadenersatz zahlen müssen. Kanzlerin Merkel und die Union pochten auf Vertragstreue gegenüber Katar. Der starke Anstieg bei den Rüstungsexporten 2015 geht auch auf die Lieferung eines U-Bootes an Israel und von vier Tankflugzeugen für Großbritannien zurück.
Nein. In den ersten sechs Monaten 2016 genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von Waffen und Ausrüstung im Wert von 4,029 Milliarden Euro - mehr als eine halbe Milliarde mehr als im Vorjahreszeitraum. Größter Batzen im ersten Halbjahr war eine Fregatte für Algerien, die eine Milliarde Euro kostet.
Ja. In seiner Amtszeit sind die Kleinwaffenexporte stark zurückgegangen. Bei Lieferungen in problematische Länder außerhalb von EU und Nato, in denen die Menschenrechtslage heikel ist, ist die Regierung sensibler geworden. Der Begriff „Kleinwaffen“ selbst ist aber schon eine Verniedlichung: Mit Maschinenpistolen, Handgranaten und tragbaren Raketenwerfern werden in Bürgerkriegen wie in Syrien die meisten Zivilisten getötet.
Der Opposition reicht der Rückgang bei den Kleinwaffen-Geschäften nicht. So fordert der Linkspartei-Experte Jan van Aken seit langem ein komplettes Exportverbot für Kleinwaffen, die die „Massenvernichtungswaffen“ des 21. Jahrhunderts seien. Für die Grünen ist Gabriel als Anti-Rüstungsminister entzaubert: „Mit den nochmals gestiegenen Halbjahreszahlen für 2016 hat der Bundeswirtschaftsminister endgültig den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verloren“, sagt Agnieszka Brugger von den Grünen.
Das hängt davon ab. Die gestiegenen Summen gehen ja teils auf Großaufträge zurück, die längst eingepreist sind. Die Branche leidet seit langem unter den Kürzungen der Wehretats in der westlichen Welt. Eine Antwort sind Fusionen wie der Zusammenschluss der deutsch-französischen Panzerschmieden Krauss Maffei und Nexter. Wegen des Konflikts mit Russland wird die Nato zum Schutz Osteuropas aufrüsten. Das dürfte neue Aufträge bringen. Auch von der Bundeswehr. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderte unlängst viele Milliarden zusätzlich, damit Deutschland seine Verpflichtungen in der Nato erfüllen kann.
Im Ministerium liegen hunderte Anträge auf dem Stapel. Die Einzelfallprüfungen dauern oft ein ganzes Jahr – selbst wenn ein Unternehmen bloß Panzerglas-Scheiben für UNO-Hilfskonvois ausliefern will, gehen Monate ins Land. Lenkwaffen, die die USA vor Jahren beschafft haben und nun zur Inspektion an deutsche Hersteller wie Diehl schicken, können nach der Wartung ohne neuen Antrag nicht zurückgeschickt werden.
So schaufelt Gabriel nicht nur Waffenherstellern das Grab – sondern vielen Mittelständlern, die bloß westlichen Luftfahrt- und Rüstungsbetrieben zuliefern. Denn aus Furcht vor den Verzögerungen im Rahmen der ohnehin strikten deutschen Rüstungsexportkontrollen bestellen Kunden bevorzugt bei französischen Wettbewerbern. Dort erhält man die Genehmigung binnen weniger Tage.
Natürlich ist es moralisch für Demokratien nicht zu rechtfertigen, dass europäische Waffen in ein Bürgerkriegsland anheizen. Eine Exportkontrolle ist unumgänglich, die Bestimmung der Rüstungsgüter muss gründlich und kritisch geprüft werden. Aber dies sollte auf EU-Ebene reguliert werden, damit keine Nachteile für den Standort Deutschland im Wettbewerb mit Frankreich oder Italien entstehen. Sonst verliert die Bundesrepublik eines Tages auch das letzte Know-how im Bereich Wehrtechnik – und ein gutes Stück Souveränität.