Doch aus diesem Winterschlaf müssen die europäisch-russischen Geschäftsbeziehungen irgendwann aufgeweckt werden, bevor das ganz böse Erwachen kommt: Wo die Europäer wegen der Sanktionen oder den politischen Spannungen nicht liefern können, stehen die Konkurrenten aus Asien parat. „Wir spüren das bei den Ausschreibungsrunden, wo früher deutsche Firmen klar gewünscht waren. Jetzt wird die Auftragsvergabe entweder stark verzögert, oder chinesische Unternehmen werden bevorzugt. Selbst wenn sie das technologische Niveau deutscher Unternehmen nicht erreichen“, berichtet zum Beispiel Wintershall-Chef Seele.
Auch der DIHK warnt vor der Konkurrenz aus Fernost. „Je länger die Sanktionen dauern, desto mehr Marktanteile verliert Deutschland in Russland“, warnt DIHK-Präsident Eric Schweitzer im Gespräch mit der WirtschaftsWoche. „Es besteht die Gefahr, dass Geschäftsbeziehungen in Richtung China verloren gehen.“
Putins Folterwerkzeuge im Sanktionskrieg
Der Kreml droht damit, den Import westlicher Pkw nach Russland einzuschränken. Der russische Markt ist aber schon länger in der Krise. 2013 exportierten deutsche Hersteller 132 000 Fahrzeuge nach Russland - im Jahr davor waren es noch knapp 157 000. Bei Volkswagen liegt der Konzernabsatz in Russland nach zwei Dritteln des Jahres 12 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Unabhängig von den Sanktionen sagt ein VW-Insider: „Der Markt fliegt uns ganz schön um die Ohren.“ Die Sanktionen könnten jene Hersteller teils schonen, die in Russland in eigenen Fabriken produzieren. Der Duisburger Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält Importverbote deshalb für verkraftbar: „Nahezu alle wichtigen deutschen Autobauer wie VW, Opel-Chevrolet, Ford, BMW, Daimler Nutzfahrzeuge sind mit Werken in Russland vertreten.“ Der Präsident des Branchenverbands VDA, Matthias Wissmann, aber rät zum Blick über den Tellerrand: Das Thema drücke auf die Psychologie der internationalen Märkte.
Macht Moskau ernst und den Luftraum für westliche Airlines über Sibirien dicht, wäre das ein harter Schlag. Genau das hat Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew im Sinn: „Wenn westliche Gesellschaften unseren Luftraum meiden müssen, kann das zum Bankrott vieler Fluggesellschaften führen, die schon jetzt ums Überleben kämpfen.“ Beispielsweise müssten die großen europäischen Airlines Air France-KLM, British Airways oder Lufthansa, die über Sibirien nach Asien fliegen, auf längere Routen ausweichen. Das kostet Treibstoff, Besatzungen müssen länger arbeiten. Experten gehen von etwa 10 000 Euro Mehrkosten pro Flug aus. Dies dürfte nicht ohne Folgen auf die Ticketpreise bleiben, von längeren Flugzeiten für die Kunden ganz zu schweigen. Aber: Bisher päppelte Moskau mit den Einnahmen von über 200 Millionen Euro pro Jahr aus den Überflugrechten die Staatsairline Aeroflot auf. Lachender Dritter wären wohl die Chinesen. Sie könnten dank des Sibirien-Kostenvorteils die Europäer im lukrativen Asiengeschäft noch mehr ärgern.
Bei Lebensmitteln machte Putin bereits ernst und verhängte Anfang August einen Importstopp, weil ihm erste EU-Sanktionen nicht schmeckten. Die 28 EU-Staaten, die USA, Australien, Kanada und Norwegen dürfen für ein Jahr Fleisch, Fisch, Milch, Obst und Gemüse nicht mehr einführen. Einzelne Agrarländer wie Griechenland trifft das hart. Für die deutsche Agrarbranche sind die Folgen überschaubar, sagt Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU). Um Verwerfungen im EU-Markt wegen des Überangebots zu verhindern, rief Schmidt die Verbraucher auf, mehr heimisches Obst und Gemüse zu essen: „One apple a day keeps Putin away“ (Ein Apfel am Tag hält Putin fern). Nun kündigt Moskau an, auch Produkte der Textilindustrie auf den Index zu setzen. Details sind aber unklar.
Hier hält Putin die ultimative „Waffe“ in der Hand. Dreht er den Gashahn zu, hätte Europa ein Problem. Grund zur Panik besteht aber nicht. Die Gasspeicher sind randvoll (Deutschland: 91,5 Prozent, EU-weit: 90), die Vorräte dürften zumindest in Deutschland, das seinen Gasbedarf zu mehr als ein Drittel aus Russland deckt, bis zum Frühjahr reichen. Das Baltikum und Finnland sind aber zu 100 Prozent von russischen Gasimporten abhängig, viele südosteuropäische Länder hängen auch am Gazprom-Tropf. Die Bundesregierung geht davon aus, dass Putin liefertreu bleibt, nicht auf die Export-Milliarden verzichten kann. Die knallharte Entscheidung der EU, die russischen Energieriesen Gazprom Neft, Rosneft, Transneft sowie Rüstungsfirmen jetzt vom europäischen Kapitalmarkt abzuschneiden, dürfte Putin aber mächtig reizen. Polen meldet, Gazprom liefere weniger Gas als vereinbart - was der Monopolist von Putins Gnaden bestreitet.
Diese Tendenz kann auch Cordes aus den Erfahrungen seiner regelmäßigen Treffen mit Managern und russischen Regierungsvertretern bestätigen. „Wir müssen aufpassen, dass diese schwierige Situation nicht allzu lange anhält. Denn dann wird das gegenseitige Vertrauen erodieren“, sagt Cordes. „Die persönlichen Beziehungen zwischen russischen Auftraggebern und deutschen Unternehmen sind immer noch gut. Aber was ganz klar sichtbar ist, dass die Konkurrenz der Chinesen und Koreaner deutlich stärker geworden ist.“
Der Schlüssel liegt in der Ukraine
Die Chinesen würden insbesondere bei Infrastrukturprojekten aktiver, wo sie dann häufig mit russischen staatlichen Unternehmen verhandeln. „Ich will das in keiner Weise dramatisieren. Aber ich sage: Achtung, hier können unsere Unternehmen abgehängt werden, wenn die Krise noch lange anhält“, so Cordes.
Der zunehmende Wettbewerb aus China, Südkorea und anderen asiatischen Ländern ist ein weltweites Phänomen, das auch vor Russland in den letzten Jahren nicht Halt machte. Auf dem russischen Maschinenbaumarkt liegt China mit einem Marktanteil von knapp zehn Prozent in etwa gleichauf, da Deutschland leicht an Marktanteilen verloren hat. „Nun wird angesichts der schwindenden Kaufkraft der russischen Kunden der Preis zum wichtigsten Einkaufskriterium“, sagt VDMA-Expertin Hollacher.
„Außerdem kann sich der russische Kunde sicher sein, dass Sanktionen bei den asiatischen Lieferanten keine Rolle spielen werden.“ Das bedeute, dass sich dieser Prozess wahrscheinlich beschleunigen werde und China schneller als ursprünglich angenommen Deutschland als größten Maschinenlieferanten Russlands ablösen könne.
Dieser Prozess liegt aber nur zum Teil in der Hand der Unternehmen. Vieles ist – wie unter anderem die Gazprom-Beispiele zeigen – der politischen Eiszeit zwischen West und Ost geschuldet. Für Rainer Seele liegt der Schlüssel für die Zukunft der deutsch-russischen Beziehungen in der Ukraine: „Nur wenn es uns gemeinsam gelingt, das Land zu befrieden und für wirtschaftliche Stabilität zu sorgen, können wir Schritt für Schritt das Vertrauen zwischen Russland und dem Westen wiederherstellen. So, wie ich es erlebe, wird es noch lange dauern, das Verhältnis zu normalisieren.“