Es war einmal: Zu einem glanzvollen Unternehmen gehört auch eine glanzvolle Fassade, ein repräsentativer Eingang, eine Vorstandsetage, die möglichst hoch über den Wolken schweben soll. Oder einen Blick über Wasser auf bevorzugter Sonnenseite nach Süden. Einst wurden diese Zentralen mit Pomp eingeweiht wie Kirchenschiffe, in denen eine frohe Botschaft verkündet werden sollte. Doch die Botschaften der Konzernführer sind nicht mehr so froh, sie sind auf Grundwasserniveau angekommen. Oder Investoren sind eingestiegen, die auf den Galerien in hohen Hallen eher vom Schwindel befallen werden. Es wird tiefer gestapelt. Vier Beispiele zeigen die Rückkehr zur Bodenständigkeit:
1. Der RWE-Turm in Essen
Er wurde vom Architekt Ingenhoven gebaut, 24 Stockwerke hoch. Gläsern funkelt er unter dem Himmel von Essen, direkt am Hauptbahnhof. Der Turm sollte den Glanz der Energiewirtschaft symbolisieren. Schon der Altbau, wenige hundert Meter weiter, wurde von den Essenern „Wattikan“ genannt. Der gläserne Turm wurde nun zum Mahnmal der Energiewende. RWE kann mit diesem Zeichen der Prosperität nichts mehr anfangen, der Konzern schreibt knapp drei Milliarden Euro Verlust. Die konventionellen Kraftwerke laufen nicht mehr. RWE-Chef Peter Terium krempelt den Konzern um, dazu gehört auch eine bescheidenere Konzernzentrale. Das Rund des Turms ist „ungeeignet für eine Verwaltungszentrale“, heißt es bei RWE. Sogar die Büroschränke müssen sich dem Rund des Hauses anpassen. Innen gibt es fensterlose Freiflächen, Konferenzräume, die nie Tageslicht einlassen. RWE sucht sich in den kommenden Jahren eine neue Behausung.
2. Das Gruner+Jahr-Verlagsgebäude in Hamburg
Einst ein Juwel redaktioneller Unterkunft. Verwinkelte Zimmer und viel Sprossen vor den Fenstern nehmen das Zitat von Denkerstuben auf. Innen überall Cafeterien, als ob hier nicht geschrieben, sondern gequasselt würde. WG-Atmosphäre an der Espressomaschine. Das Haus am Baumwall ist eine Fehlkonstruktion, weil die Räume nicht verschiebbar sind. Die Aussicht der Vorstände auf den Hamburger Hafen ist vermiest, weil Fenstersprossen direkt in Augenhöhe verlaufen, die wie Augenbinden den Blick auf das Funkeln des Hafens verschließen. Runde Fenster lassen wenig Licht in die Flure, weil der Münchner Architekt meinte, in Hamburg sind alle Fenster Bullaugen - ein Irrtum. Das Verlagshaus wirkt grau wie eine Lagerhalle, solche, die gerade im früheren Freihafen abgerissen wurden oder als Museumsfläche dienen. Gruner+Jahr denkt an den Verkauf des Verlagshauses. Vorbote eines Abschieds aus Hamburg in Richtung Berlin. Das Grundstück am Baumwall ist zig Millionen wert. Und G+J könnte durchaus Liquidität vertragen.
ThyssenKrupp, Solon und Bayer
3. ThyssenKrupp und der Krupp-Gürtel in Essen
Der Stahlkonzern treibt durch stürmische See. Verluste in Milliardenhöhe haben sich aufgetürmt, weil Investitionen in Übersee fehlschlugen und die Bilanz mit Milliardenverlusten belasteten. Konzernchef Heinrich Hiesinger saniert den Konzern, auch in der Verwaltungszentrale werden Hunderte Stellen abgebaut. Noch wird ein kommender Teil-Leerstand des klobigen Hauses auf dem ehemaligen Gelände der historischen Gussstahlfabrik abgestritten. Krupp steht zu Essen und Essen zu Krupp. Aber die Konzernzentrale könnte bald schon zur Disposition stehen, wissen alte Kruppianer, die den Hochbau am „Berthold-Beitz-Boulevard“ eher für ein Denkmal für Gerhard Cromme halten, der dem Konzern zum Schluss kein Glück gebracht hat. Das große Krupp- und Beitz-Memorial steht sowieso woanders: Auf dem Hügel in Essen. Die Villa Hügel ist der Ort, wo den früheren Glanzzeiten des Konzerns gebührend nachgetrauert werden kann.
4. Solon-Zentrale in Berlin
Die avantgardistische Zentrale des Solarmodul-Herstellers ist verlassen. Der neue, indisch-arabische Solon-Investor Microsols Anjan Turlapati fand keinen Gefallen mehr am Standort Berlin-Adlershof. Zwei Jahre nach der Übernahme wurde die Zentrale geschlossen. 230 Mitarbeiter, die hier ihren fulminanten Arbeitsplatz hatten, verloren ihre Jobs. Damit ging eine Berliner Industriegeschichte zu Ende. Die Wurzeln der in den siebziger Jahren im studentischen Umfeld in Berlin-Kreuzberg gegründeten Firma reichten bis in die Seminarräume der Technischen Universität Berlin. Der steile Aufstieg begann nach der Verabschiedung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes, und machtvolles Zeichen von Geld und Geltungsdrang war die Unternehmenszentrale. Der EEG-Prachtbau war unter den neuen Herren nicht mehr zu halten.
5. Verlassene Bayer-Konzernzentrale in Leverkusen
Das Bayer-Hochhaus auf dem Werksgelände des Pharma-Riesen aus Leverkusen wurde abgerissen. Es war Anfang der sechziger Jahre, als es vom Architekten Hentrich gebaut wurde, das modernste Konzernhochhaus Europas und zeigte das Selbstbewusstsein der „Apotheke der Welt“, wie Bayer damals ehrfürchtig genannt wurde. Das Bayer-Hochhaus ist einem Flachbau gewichen. Eigentlich sollte auch das Bayer-Kreuz, das nachts über dem Rhein erstrahlt, abmontiert werden. Doch diesen Eingriff in die Leverkusener Skyline verhinderten Bürgerproteste. Heute wäre es eher umgekehrt: Wer ein solches Firmenlogo errichten würde, träfe auf Proteste von Ornitologen, die den Aufprall nächtlicher Vogelschwärme am Bayer-Kreuz befürchten würden. Diesmal ist es die Nostalgie, die siegt.
6. Historische Thyssen-Zentrale in Düsseldorf
Als Deutschland wie Amerika sein wollte, wurde das elegante Dreischeibenhaus als Konzernzentrale von Phönix-Rheinrohr errichtet. Schlank und rank ragt es noch heute über Düsseldorf und zeigt, was Ende der fünfziger Jahre an Aufbruch- und Modernitätsstimmung in Nachkriegsdeutschland herrschte. Das Gebäude wurde später von Thyssen bezogen, hier residierte Dieter Spethmann, der Sonnenkönig von der Ruhr. Damals ging es Thyssen noch gut, die Kosten waren so schlank wie die Konzernzentrale, die Gewinne auch in etwa so hoch. Dann kam die Fusion mit Krupp und der Umzug an den Krupp-Gürtel, der bis dahin eine Brache war. Der Aufbruch an den alten Firmensitz von Krupp hat dem Konzern bisher kein Glück gebracht. Das Dreischeibenhaus wird heute zum Appartementhaus umgebaut. Es steht unter Denkmalschutz, sonst wäre es nicht mehr da.