Sanktionen gegen Russland Die Autoindustrie leidet unter dem Putin-Faktor

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Produktion von Woche zu Woche

Doch ein neues Auto können sich derzeit nur wenige Russen leisten. Und weil die Banken des Landes sich aufgrund der Sanktionen derzeit kein frisches Kapital im Westen besorgen können, sind die Anschaffungskredite seit April deutlich teurer geworden. Hinzu kommt, dass viele Russen ihre Ersparnisse in Dollar und Euro angelegt haben und das Geld wegen des Verfalls des Rubel und der galoppierenden Inflation jetzt nicht antasten mögen, wie VW-Statthalter Osegowitsch erklärt: „Unsere Produktion planen wir derzeit deshalb nur noch von Woche zu Woche.“

Die stärksten Marken auf Russlands Automarkt

Die Abwertung des Rubel um 20 Prozent seit Jahresbeginn – von der russischen Zentralbank zumindest in Kauf genommen, um die Kapitalflucht zu stoppen – macht der Autoindustrie noch in anderer Hinsicht zu schaffen, wie Bruno Ancelin, Vertreter des Awtowas-Großaktionärs Renault, erläutert: „Sie zwingt uns, die Lokalisierung zu verstärken.“

Im Klartext: Die Autohersteller im Land, vor allem die ausländischen, müssen mehr in Russland produzieren und zudem mehr Komponenten von inländischen Zulieferern beziehen, da der Einkauf jenseits der Grenze immer teurer wird. Politisch sei die Konzentration auf das Inland gewollt, sagt Renault-Vertreter Ancelin: „Putin will auf diese Weise die russische Autoindustrie stärken.“

Zu teuer und zu schlecht

Jeder Automobilhersteller, der sich in Russland engagiert, hat sich per Dekret 166 dazu verpflichtet, zur Reindustrialisierung des Landes beizutragen, indem er heimische Komponenten kauft. Awtowas fertigt in der 675 Hektar großen Gigafabrik an der Wolga – Kapazität: 1,1 Millionen Autos pro Jahr – bereits heute 85 Prozent seiner Teile selbst. Der Anteil der Produktion im Inland inklusive der zugelieferten Teile liegt bei über 90 Prozent.

Am zweiten Produktionsstandort von Renault-Nissan in Russland, dem Moskauer Werk von Avtoframos, werden derzeit 75 Prozent der Autoteile im Inland produziert. Das Ziel ist ein Wert von 80 Prozent, der unter anderem durch die Produktion der kompletten Fahrgestelle aus russischen Teilen erreicht werden soll.

Entwicklung der Pkw-Neuzulassungen in Russland

Das Problem ist nur: Die Qualität der heimischen Zulieferer lässt teilweise stark zu wünschen übrig – und die in Russland produzierten Teile sind nicht unbedingt preiswerter als die importierten, berichten unisono Manager von Renault und Awtowas. „Produktionsumfänge kann man hier nicht so einfach outsourcen“, gibt Awtowas-Finanzchef Evgenij Belinin unumwunden zu. Denn das könnte, auch aufgrund der Qualitätsprobleme, schnell sehr teuer werden. Um den Neustart von Lada nicht durch Rückrufaktionen zu gefährden, hat Awtowas-Chef Bo Andersson deshalb entschieden, einige Teile der Produktion, die bereits an Zulieferer ausgelagert waren, wieder zurück nach Toljatti zu holen.

Ihrer Verzweiflung über die katastrophale Lage machten die Hersteller kürzlich auf dem Russian Automotive Forum in Moskau Luft. Für Lisa King, Einkaufschefin des Joint Ventures Ford Sollers, ist die Lage mehr als ernst: „Beim Aufbau eines lokalen Zuliefernetzes geht es nicht darum, wie gut das Geschäft ins Laufen kommt, sondern, ob es überhaupt ins Laufen kommt.“ VW-Manager Osegowitsch beklagt, dass es zwar Stahl gebe, „aber zu wenig und nicht in der benötigten Qualität“. Bosch-Russland-Präsident Gerhard Pfeifer sieht „Nachholbedarf bei Prozessstabilität und -qualität“. Nur eine Handvoll Zulieferer erfülle die ISO-Norm, die Bosch für seine Produkte verlange. Auf den Wunschlisten der Autokonzerne stehen simple Teile wie Spiegel und Gurte, aber auch elektrische Fensterheber, Türschlösser und Räder.

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