Wolfgang Nitsche muss ein Mann mit großem Ehrgeiz sein – und gehöriger Ausdauer. Der ehemalige Richter am Oberlandesgericht München wühlt sich gerade meterweise durch Akten. Es ist das Material zu einem der längsten und zähesten außergerichtlichen Schiedsverfahren der deutschen Wirtschaftsgeschichte: dem Streit zwischen der Bundesregierung und dem Lkw-Mautbetreiber Toll Collect. Nitsche weiß, worauf er sich einlässt. Sein Vorgänger musste das Verfahren, das seit Herbst 2004 schwelt, Ende 2012 abgeben – aus gesundheitlichen Gründen.
Zermürbt kapitulierte der Mann vor einer vermeintlich simplen Frage: Wer ist schuld, dass das Mauterfassungssystem an den deutschen Autobahnen erst Anfang 2005 in Betrieb ging, 16 Monate später als vereinbart? Die Bundesregierung sagt, Toll Collect, also das Konsortium aus Daimler, Deutsche Telekom und Cofiroute aus Frankreich. Berlin fordert deshalb für die entgangenen Einnahmen fünf Milliarden Schadensersatz plus Zinsen. Das Konsortium weigert sich standhaft zu bezahlen. Seit neun Jahren ringen hinter verschlossenen Türen teure Anwälte von Top-Kanzleien um die Interpretation jeder Vertragszeile. Den Bund hat die Veranstaltung bereits 100 Millionen Euro Honorar gekostet, Daimler, Telekom und Cofiroute dürften mit einem ähnlichen Betrag dabei sein.
Möglichkeiten für Unternehmen um Streit beizulegen
Hier regeln Unternehmen Streit etwa über die Auslegung von Verträgen außerhalb eines ordentlichen Gerichts. Es gibt zwei Varianten: Das sogenannte Ad-hoc-Verfahren; hier sorgen die Kontrahenten auf Basis einer Schiedsklausel im Vertrag in Eigenregie dafür, dass ein Schiedsgericht installiert wird, das am Ende ein Urteil fällt. Im zweiten Fall nehmen die Unternehmen eine existierende Schiedsstelle in Anspruch. Die regelt das Prozedere und schlägt mehrere ihrer Meinung nach sachverständige Schiedsrichter vor. In beiden Varianten fällen die Richter die Entscheidung. Wie vor einem Gericht können im Schiedsverfahren Zeugen gehört und Gutachter beauftragt werden. Das Urteil ist in beiden Fällen vollstreckbar wie vor Gericht.
Anders als vor Gericht schlagen im Ad-hoc-Verfahren die Prozessgegner jeweils einen – vom ihnen unabhängigen – Richter vor. Das können auch Branchenkenner statt Juristen sein. Die Gewählten berufen einen dritten Schiedsrichter als Vorsitzenden, um ein Patt zu vermeiden. Alle drei erhalten ein zuvor ausgehandeltes Honorar oder werden nach einer Gebührenordnung bezahlt, wenn eine feste Schiedsstelle genutzt wird.
Eine Schlichtung hat mit Schiedsgerichten oder -stellen nichts zu tun. Hier suchen Parteien etwa in arbeits- oder tarifrechtlichen Auseinandersetzungen zum Beispiel um Arbeitszeiten nach einer Lösung. Je nach Vereinbarung können zum Beispiel Gewerkschaftsmitglieder einen Schlichterspruch ablehnen.
Eine außergerichtliche Form der Konfliktbearbeitung, bei der ein neutraler, zur Verschwiegenheit verpflichteter Vermittler mit den Streitenden einen Kompromiss sucht. Findet sich ein einvernehmlicher Lösungsvorschlag, hat der aber anders als ein Schiedsspruch keine juristisch bindende Wirkung. Es kann weiter vor Gericht geklagt werden.
Nur: Welche Partei welche Fehler gemacht hat, welche juristischen Finten geschlagen werden, welche Lehren Wettbewerber und Politiker aus den Verträgen ziehen könnten, all das wird nie an die Öffentlichkeit gelangen. Denn anders als etwa bei der aktuellen Schadensersatzklage der Deutschen Bahn gegen den Zugbauer Bombardier hatten Bund und Konzerne vereinbart, nicht vor den Kadi zu ziehen, sondern ein privates Schiedsgericht anzurufen.
Der Fall Toll Collect steht für einen Trend, der sich allmählich zum verborgenen Massenphänomen auswächst, zu einer veritablen Schattenjustiz. Parallel zur staatlichen Gerichtsbarkeit ist eine zweite Judikative entstanden, die für immer mehr Unternehmen maßgeblich wird. Zwar gilt dort das gleiche Recht wie vor Gericht, nur kontrolliert dort keiner die konkrete Anwendung. Kaum ein Vertrag, bei Firmenübernahmen, Lieferverträgen oder am Bau, wird heute ohne Schiedsklausel geschlossen.
Gesamtstreitwert der Klagen vor Schiedsgerichten* | |
Jahr | Streitwert |
2005 | 0,5 Milliarden Euro |
2006 | 0,5 Milliarden Euro |
2007 | 0,5 Milliarden Euro |
2008 | 0,9 Milliarden Euro |
2009 | 1,2 Milliarden Euro |
2010 | 1,1 Milliarden Euro |
2011 | 3,9 Milliarden Euro |
*bei deutschen Institutionen für Schiedsgerichtsbarkeit eingereichten Klagen |
Ob große Player wie Siemens, RWE, E.On, Fraport und der Ticketverkäufer CTS Eventim oder Mittelständler – der Streit hinter den Kulissen um teils dreistellige Millionenbeträge geht durch alle Branchen. „Durch Schiedsurteile werden Milliardensummen bewegt – und kaum einer bekommt das mit“, sagt Jörg Risse, Anwalt bei der Kanzlei Baker & McKenzie in Frankfurt und Experte auf dem Gebiet der Schiedsgerichtsbarkeit. Es gibt keine Zuschauer und keine öffentliche Debatte, eine Kontrolle durch die höhere Instanz wie vor Gericht entfällt.
Kritik am Prinzip Schiedsgericht
Vor allem die Rechtsgelehrten nehmen daran zunehmend Anstoß. An erster Stelle beklagen sie die mangelnde Transparenz der Urteile und ihre möglichen Folgen für das Wirtschaftsleben. „Mangels Kenntnis der Schiedssprüche kann niemand sicher sagen, ob in diesen privaten Verfahren das öffentliche Interesse gewahrt wird“, sagt Moritz Renner, Professor für transnationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Die Frage stellt sich in erster Linie, wenn ein privates Unternehmen gegen den Staat vorgeht wie aktuell Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der schwedische Energiekonzern liegt mit dem Bund wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington im Clinch.
Gleichzeitig formen die Schiedsgerichte im Verborgenen neues Recht, das nur die Eingeweihten kennen und das Wirtschaftsleben beeinflusst, ohne dass der Gesetzgeber dies so will. „Ich sehe ein großes Problem bei der Rechtsfortbildung. Die findet nicht mehr in allgemein zugänglichen Entscheidungen, sondern allenfalls noch in Schiedszirkeln statt. So wird auch für die Unternehmen keine Rechtssicherheit geschaffen“, kritisiert Jurist Renner.
Zudem wächst das Unbehagen bei einigen Rechtsgelehrten, weil sich so mancher Richter dadurch ein hübsches Zubrot verdient. Immerhin sind von den rund 20.400 Richtern in Deutschland im Schnitt geschätzte fünf Prozent auch bei Schiedsgerichten aktiv, bei den Oberlandesgerichten mehr. Sie müssen sich die Nebentätigkeit zwar genehmigen lassen. In Nordrhein-Westfalen etwa müssen die Richter bei Verfahren gegen die öffentliche Hand den Honoraranteil, der 6000 Euro im Kalenderjahr übersteigt, abführen. Für andere Verfahren gilt das aber nicht.
Beispielrechnung
Zwei Unternehmen streiten sich. A verklagt B auf Zahlung von 500.000 Euro, B fordert in einer Widerklage von A 300.000 Euro Der Streitwert beträgt 800.000 Euro.
Quelle: DIS-Gebührentabelle, Auslagen des Schiedsgerichts und die Anwaltskosten der Unternehmen gehen extra; Gerichtskostenrechner
Bearbeitungsgebühr der Schlichtungsstelle für die Klage: 5500 Euro
Bearbeitungsgebühr der Schlichtungsstelle für die Widerklage: 3000 Euro
insgesamt einschließlich Mehrwertsteuer: 10.115 Euro
Honorar für Beisitzer: 33.300 Euro
Honorar für den Vorsitzenden: 21.645 Euro
Honorar gesamt: 54.945 Euro
65.060 Euro
Vor Gericht beliefen sich die Kosten auf rund 34.000 Euro in der ersten Instanz.
„Außerdem fließt viel Expertenwissen ab, wenn sich staatliche Richter mit Problemen in bestimmten Bereichen wie bei Unternehmensübernahmen kaum noch beschäftigen“, sagt Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld. „Und die zugängige Rechtsprechung wird ausgedünnt.“
Der Koordinator der Schattenjustiz hierzulande ist die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Köln. Der Verein wird von Industrie- und Handelskammern, Unternehmen und Juristen getragen. Er berät und organisiert gegen Bezahlung die Prozedur (siehe Kurztextgalerie). Die Gesamtsumme, um die Unternehmen vor Schiedsgerichten rangeln, hat sich explosionsartig erhöht, von 1,1 Milliarden Euro 2010 auf fast vier Milliarden Euro 2011. Neuere Zahlen gibt es nicht. Streitigkeiten nach Unternehmensverkäufen werden inzwischen zu mehr als 90 Prozent von Schiedsrichtern entschieden.
Fehlende öffentliche Einsicht
Dass so wenig über die Verfahren bekannt wird, hat System. Die Sitzungen laufen sämtlich jenseits der Öffentlichkeit, die streitenden Parteien vergattern sich fast immer auf absolute Verschwiegenheit, selbst über den Ausgang des Streits. Lediglich Aktiengesellschaften, die zur Ad-hoc-Mitteilung wichtiger Ereignisse verpflichtet sind, müssen das Ergebnis des Verfahrens veröffentlichen.
Nicht nur dieser Vorteil macht Schiedsverfahren für Unternehmen so attraktiv, auch das Verfahren selbst hat für sie großen Reiz. Die Vollstreckbarkeit des Schiedsurteils ist gewährt, notfalls mithilfe eines Oberlandesgerichts. Die Parteien dürfen die Schiedsrichter, in der Regel drei, selbst bestimmen. Die Verfahren dauern in der Regel nur ein Jahr und sind viel kalkulierbarer als die üblichen Prozesse. Bereits nach der ersten Instanz fällt die endgültige Entscheidung, die nicht mehr angefochten werden kann. Vor öffentlichen Gerichten landet ein Schiedsgerichtsurteil nur bei Verfahrensfehlern. Doch das passiert nur in rund zehn Prozent der Fälle, von denen am Ende 90 Prozent abgewiesen werden.
„Als Richter wählen die Parteien international erfahrene Praktiker, renommiert auf dem relevanten Gebiet. Egal, ob es um notleidende Kredite nach Unternehmensverkäufen, Gesellschafterverträge im Mittelstand, Klauseln im Rückversicherungsgeschäft oder Energiepreise geht“, sagt der Düsseldorfer Anwalt und Rechtsprofessor Siegfried Elsing, der auch von der Weltbank als Schiedsrichter beauftragt wird.
Gerade die Globalisierung treibt immer mehr Unternehmen in die Hinterzimmer der Rechtsprechung. Geschäftspartner unterschiedlicher Nationalitäten können so einen Gerichtsort in einem dritten Staat vereinbaren, beispielsweise um die rigide Rechtsprechung in den USA zu umgehen. Rund 150 Staaten erkennen gemäß einem UN-Abkommen Schiedssprüche und ihre Vollstreckung an. Etwa 90 Prozent aller größeren internationalen Verträge enthalten solche Klauseln. „Bei uns laufen Fälle von 28 Euro bis zu Milliardenbeträgen auf“, sagt DIS-Geschäftsführer Jens Bredow, gut die Hälfte davon kommt von Mittelständlern.
Welche Details in einem Schiedsgerichtsverfahren auf den Tisch kommen, ist das große Geheimnis der Beteiligten. Das Prozedere wird von der Schiedsordnung bestimmt und sieht in etwa so aus:
- Laut DIS-Geschäftsführer Bredow dauern die Verfahren im Schnitt zwölf Monate. Am Schiedsgerichtshof der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris – der ältesten Institution zur privatwirtschaftlichen Streitschlichtung überhaupt – kalkulieren die Unternehmen mit rund 18 Monaten. Größere Schiedsverfahren dauern allerdings wesentlich länger.
- Zunächst gehen Schriftsätze zwischen den streitenden Parteien hin und her. Das eine Unternehmen legt seine Klageschrift vor, danach erhält das andere in der Regel drei bis sechs Monate Zeit zu erwidern.
- Sodann folgt ein mehrmonatiges Zwischenverfahren, in dem die Parteien wechselseitig voneinander Dokumente verlangen können. „Diese sogenannte Document Production wird häufig durchgeführt, wenn das Verfahren Bezüge zum anglo-amerikanischen Recht hat“, sagt Schiedsexperte Risse. Ein Ende findet das Hin und Her in einer letzten Runde, in der die Parteien sich abschließend schriftlich zum Sachverhalt äußern und auf die Argumente der Gegenseite eingehen.
- Zum Showdown kommt es in der mündlichen Verhandlung, die einige Tage bis mehrere Wochen dauern kann. Dazu mieten sich die Parteien und die Schiedsrichter in einem Konferenzhotel am Schlichtungsort ein. Dort werden die Zeugen in der Sache angehört und von der jeweiligen Gegenseite ins Kreuzverhör genommen.
- Scheitert das Schiedsgericht mit dem Versuch einer gütlichen Einigung, erhalten beide Seiten eine Frist von einigen Monaten, um zum Ergebnis der Beweisaufnahme und abschließend zur Rechtslage Stellung zu nehmen. Basierend auf diesen so- genannten „Post Hearing“-Schriftsätzen trifft sich das Schiedsgericht final zu Beratungen über den Schiedsspruch.
- Bis zum Urteil vergehen weitere Monaten. Liegt der Spruch vor, der im Extremfall mehrere Hundert Seiten umfassen kann, prüfen die Anwälte beider Seiten, ob sie dagegen vor öffentlichen Gerichten vorgehen können. „Das ist aber nur bei schweren Verfahrensfehlern oder Verstößen gegen grundlegende inländische Wertvorstellungen wie das Prinzip der groben Sittenwidrigkeit möglich“, sagt Anwalt Risse.
K eine Alternative zu Schiedsklauseln in Verträgen
In der Praxis verlaufen Schiedsgerichte jedoch längst nicht immer reibungslos. Das lässt sich aus dem schließen, was aus manchem stillen Kämmerchen in London, Paris oder Genf nach draußen dringt.
Höchst geräuschvoll verläuft zum Beispiel der mehr als zweijährige Machtkampf zwischen der Führungsspitze des Düsseldorfer Handelskonzerns Metro und Erich Kellerhals, dem Mitbegründer der Konzerntochter Media Markt. Dem 73-Jährigen gehören zwar nur knapp 22 Prozent des Elektronikriesen, doch hatte er sich beim Einstieg von Metro umfangreiche Minderheitsrechte garantieren lassen. Die wollen die Düsseldorfer seit März 2011 durch die Installation eines Beirats aushebeln.
Worum sich Metro und Kellerhals streiten
Erich Kellerhals ist Gründer des Elektrofachmarkt-Kette Media Markt. Der erste Media Markt eröffnete 1979 in München. Ende der 80er wollte Kellerhals expandieren – das nötige Geld brachte Kaufhof mit.
Kaufhof beteiligte sich mit 54 Prozent an Media Markt. Kellerhals behielt seine Anteile von gut 21 Prozent. Im Vertrag von 1988 wurde außerdem festgelegt, dass Beschlüsse grundsätzlich mit einer Mehrheit von 80 Prozent gefasst werden müssen. Kellerhals hatte mit seinem Anteil also ein Mitsprachrecht für alle wichtigen Entscheidungen. Dieses Recht besteht bis heute. Kaufhof brachte außer Kapital noch seine Tochter Saturn Hansa ein. 1990 verschmolzen Media Markt und Saturn zur Media-Saturn-Holding.
1996 verschmolzen die Kaufhof Holding und die Metro AG. Kaufhof wurde zur Vertriebsmarke innerhalb des Metro-Konzerns. Metro wurde auf diese Weise Anteilseigner bei Media-Saturn. Heute hält Metro über diesen Weg 75,4 Prozent am Kapital der Media-Saturn-Holding.
Der Streit entzündet sich im März 2011. Metro wollte einen Beirat bei Media-Saturn einrichten. Kellerhals betrachtete dies als Versuch, sein seit 1988 bestehendes Vetorecht auszuhebeln. Denn in dem Beirat würde mit einfacher Mehrheit und nicht mit 80prozentiger entschieden. Tatsächlich könnte Metro Entscheidungen bei der Tochter schneller durchsetzen, wenn Kellerhals nicht zustimmen müsste.
Das Landgericht Ingolstadt hat die Einrichtung des Beirats im Herbst 2011 bei MediaSaturn zwar erlaubt, dessen Funktion muss allerdings eine beratende bleiben. Damit bestätigen die Richter das Vetorecht des Gründers Kellerhals. Weil Metro Rechtsmittel dagegen einlegte, landete der Fall vor dem Oberlandesgericht. Nachdem sich das Oberlandesgericht München nach vorläufiger Rechtsauffassung nicht zuständig sah, befasst sich nun auch das Schiedsgericht mit dem Fall. Es muss entscheiden, worüber der Beirat entscheiden kann und mit welcher Mehrheit.
Der Unternehmensgründer steht der Expansion mit Media-Märkten in China äußerst kritisch gegenüber. Kellerhals sagte, Metro habe ursprünglich 1000 Märkte innerhalb von fünf Jahren in China eröffnen wollen. „Wir haben bislang im Rest der Welt insgesamt 900 Märkte in 30 Jahren geschafft. Das wäre Harakiri, haben wir gesagt. Das können wir nicht mittragen.“ So habe man sich auf die bis Jahresende 2012 andauernde Testphase geeinigt.
Kellerhals hat kürzlich geäußert, dass er nicht daran glaube, dass OLG oder Schiedsgericht den Streit beenden können. In diesem Fall stellt er eine weitere Zusammenarbeit mit Metro in Frage: "Wenn der Streit nicht beigelegt werden kann, müssen wir vielleicht über neue Gesellschafter nachdenken." Er gab aber zu, dass sich dies aus finanziellen Gründen schwierig gestalten würde. "Aber eine Trennung von der Metro müsste - wenn wir sie denn wollten - erst mal finanziert werden." Er selbst wolle seine Anteile behalten.
Mehrfach tagte dazu ein Schiedsgericht in einem Besprechungszimmer des Münchner Luxushotels Bayerischer Hof. Im August 2012 fällte das Gremium schließlich eine Entscheidung, die Kellerhals’ Sonderrechte beschnitt. Gleichzeitig rief der Unterlegene das Oberlandesgericht (OLG) München an, das jedoch seine Klage zurückwies, weil die Causa tatsächlich Sache des Schiedsgerichts gewesen sei. Die Richter ließen eine Revision nicht zu. Kellerhals hat nun Beschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt.
Dass ein Schiedsspruch im Nachhinein aufgehoben wird, ist selten. Noch seltener wird dies publik – wie im Fall des deutschen Anlagenbauers Gea. So verwarf der BGH im vergangenen Jahr eine Beschwerde des Düsseldorfer Unternehmens. Das hatte alles darangesetzt, einen zuvor vom OLG Frankfurt kassierten Schiedsspruch über eine Zahlung von 210 Millionen Euro an Gea wieder aufleben zu lassen. Der Schiedsspruch war zugunsten von Gea und zulasten des US-Automobilzulieferers Flex-n-Gate ergangen.
Beide Seiten hatten seit 2004 vor einem Schiedsgericht über den geplatzten Verkauf der Kunststoffsparte der Gea-Tochter Dynamit Nobel an Flex-n-Gate gestritten. 2010 erging der Schiedsspruch gegen Flex-n-Gate. Dagegen gingen die Amerikaner rechtlich vor und erreichten im Februar 2011 die Aufhebung. Das OLG Frankfurt befand, das Schiedsgericht habe sich nicht eng genug an einen zuvor von beiden Parteien festgelegten Ablauf des Verfahrens gehalten .
„Das Gea-Urteil hat innerhalb der Schiedsgerichtsszene Wellen geschlagen, weil viele der Auffassung sind, dass ein kleiner Verfahrensfehler, wie er von seiner Schwere her auch staatlichen Gerichten unterläuft, nicht für eine Aufhebung ausreichen sollte“, sagt Schiedsexperte Risse.
Trotz der negativen Erfahrung sieht Gea keine Alternative zu Schiedsklauseln in Verträgen. „Wir vertrauen den Entscheidungen von Schiedsgerichten weiterhin“, heißt es in der Konzernzentrale in Düsseldorf. Im konkreten Fall gegen Flex-n-Gate habe man zudem vor der DIS einen Antrag eingereicht, das Schiedsgerichtsverfahren neu aufzurollen.
Schiedsgerichte im Ausland
Offenbar wagen Unternehmen, die per Schiedsgericht die Diskretion suchen, nur dann den Schritt an die Öffentlichkeit, wenn sie sich zu Unrecht um riesige Summen gebracht sehen. Gleichzeitig warnen Experten Unternehmen aber, nicht überall in der Welt auf die Vollstreckbarkeit ihrer Schiedssprüche zu setzen. Exemplarisch steht dafür China. Denn nicht selten misslingt es Unternehmen, nach einem Schiedsspruch im Reich der Mitte das ihnen zugesprochene Geld auch einzutreiben. Und das ausgerechnet in einem Land, das mit einem Volumen von knapp 144 Milliarden Euro Deutschlands größter Ex- und Import-Partner ist. Das mussten vor allem deutsche Mittelständler erfahren, die nicht über international versierte Hausjuristen wie ein Dax-Konzern verfügen.
Denn in China drohen Unternehmen besonders viele Auseinandersetzungen, weil für zahlreiche Branchen nach wie vor gilt: Nur Ausländer, die einen einheimischen Joint-Venture-Partner ins Boot holen, dürfen sich im Reich der Mitte überhaupt niederlassen. Das birgt Konflikte über die Weitergabe von Know-how oder zweifelhafte Qualität von Zulieferungen.
Frauke Schmitz-Bauerdick von Germany Trade & Invest, der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft, warnt: „Dass der chinesische Geschäftspartner der Schiedsgerichtsbarkeit zugestimmt hat, bedeutet nicht, dass sich die Gerichte landesweit über das anzuwendende Recht einig wären.“ Die Provinzen des Landes gäben sich oft lokalpatriotisch. „Das kann dazu führen, dass eine in Shanghai errungene Entscheidung in Peking als unwirksam betrachtet wird, wenn der Unterlegene dort weiterklagt“, sagt Schmitz-Bauerdick. „Das ist eine ganz unangenehme Situation. Wir erleben, dass Mittelständler durch die immensen Kosten in die Knie gezwungen werden.“
Hinzu kommt, dass die Durchsetzung seines Rechts in China sehr teuer ist. „Deutsche Anwälte mit Fachkenntnissen in chinesischem Recht nehmen 300 bis 600 Euro Stundenlohn, ein Standardverfahren zieht sich drei bis sechs Monate hin“, sagt Schmitz-Bauerdick. Sie rät Unternehmen deshalb, nicht die Betriebswirte daheim, sondern einen deutsch-chinesischen Rechtsfachmann Verträge mit Chinesen samt Schiedsklausel formulieren zu lassen. Und als Schiedsort sei Peking zu empfehlen, weil in China am Ende immer die Provinz Peking das letzte Wort habe.
Weltweit macht sich unter Experten in Staaten, die sich der Schiedsgerichtsbarkeit verpflichtet haben, ein neuer Gedanke breit: die Forderung, Schiedssprüche künftig in anonymisierter Form zu veröffentlichen, wozu zum Beispiel Experte Renner rät. Dabei könnten Betriebsgeheimnisse wie Umsätze oder Vergütungen von der Veröffentlichung ausgenommen werden. So würde das Fortschreiten einer parallelen Rechtsentwicklung verhindert.
In Deutschland stößt die Idee allerdings auf wenig Gegenliebe. Die heimischen Schiedsstellen wuchern vielmehr mit ihrer verbindlichen Diskretion. Schließlich sind die Verfahren ein lukratives Business, nur sagen mag’s keiner. Um das zu kaschieren, trifft sich kommende Woche erst mal ein neuer Arbeitskreis von Schiedsrichtern. Das Thema heißt mehr Transparenz. Rechtsprofessor Renner nimmt’s lächelnd: „Das hatten wir schon öfter.“