Schiedsgerichte Justitia verzieht sich ins Hinterzimmer

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Kritik am Prinzip Schiedsgericht

Die größten Schiedsverfahren mit deutscher Beteiligung
Ein LKW passiert eine elektronische Mautstation auf der Autobahn A31 Quelle: AP
Der Vattenfall-Schriftzug mit dem Logo und dem Modell eine Mitarbeiters an einem Vattenfall Gebäude Quelle: dpa
Screenshot des Ticketverkäufers Eventim.de Quelle: Screenshot
Das Logo des Energiekonzerns EnBW vor einem Strommast Quelle: dpa
Aktionäre laufen an Siemens-Fahnen vorbei zu einer Siemens-Hauptversammlung Quelle: dpa
Das VW-Logo im Wolfsburger Werk Quelle: REUTERS
Ein Werbeschild mit der Aufschrift: "Wohnungsverkauf" erstrahlt an einer Hausfassade Quelle: ZBSP

Vor allem die Rechtsgelehrten nehmen daran zunehmend Anstoß. An erster Stelle beklagen sie die mangelnde Transparenz der Urteile und ihre möglichen Folgen für das Wirtschaftsleben. „Mangels Kenntnis der Schiedssprüche kann niemand sicher sagen, ob in diesen privaten Verfahren das öffentliche Interesse gewahrt wird“, sagt Moritz Renner, Professor für transnationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Die Frage stellt sich in erster Linie, wenn ein privates Unternehmen gegen den Staat vorgeht wie aktuell Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der schwedische Energiekonzern liegt mit dem Bund wegen des Atomausstiegs vor einem Schiedsgericht für Investitionsstreitigkeiten in Washington im Clinch.

Anzahl der Schiedsgerichte, die vom Deutschen Institut für Schiedsgerichtsbarkeit administirert wurden Quelle: DIS

Gleichzeitig formen die Schiedsgerichte im Verborgenen neues Recht, das nur die Eingeweihten kennen und das Wirtschaftsleben beeinflusst, ohne dass der Gesetzgeber dies so will. „Ich sehe ein großes Problem bei der Rechtsfortbildung. Die findet nicht mehr in allgemein zugänglichen Entscheidungen, sondern allenfalls noch in Schiedszirkeln statt. So wird auch für die Unternehmen keine Rechtssicherheit geschaffen“, kritisiert Jurist Renner.

Zudem wächst das Unbehagen bei einigen Rechtsgelehrten, weil sich so mancher Richter dadurch ein hübsches Zubrot verdient. Immerhin sind von den rund 20.400 Richtern in Deutschland im Schnitt geschätzte fünf Prozent auch bei Schiedsgerichten aktiv, bei den Oberlandesgerichten mehr. Sie müssen sich die Nebentätigkeit zwar genehmigen lassen. In Nordrhein-Westfalen etwa müssen die Richter bei Verfahren gegen die öffentliche Hand den Honoraranteil, der 6000 Euro im Kalenderjahr übersteigt, abführen. Für andere Verfahren gilt das aber nicht.

Beispielrechnung

„Außerdem fließt viel Expertenwissen ab, wenn sich staatliche Richter mit Problemen in bestimmten Bereichen wie bei Unternehmensübernahmen kaum noch beschäftigen“, sagt Jens Gnisa, Direktor des Amtsgerichts Bielefeld. „Und die zugängige Rechtsprechung wird ausgedünnt.“

Der Koordinator der Schattenjustiz hierzulande ist die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) in Köln. Der Verein wird von Industrie- und Handelskammern, Unternehmen und Juristen getragen. Er berät und organisiert gegen Bezahlung die Prozedur (siehe Kurztextgalerie). Die Gesamtsumme, um die Unternehmen vor Schiedsgerichten rangeln, hat sich explosionsartig erhöht, von 1,1 Milliarden Euro 2010 auf fast vier Milliarden Euro 2011. Neuere Zahlen gibt es nicht. Streitigkeiten nach Unternehmensverkäufen werden inzwischen zu mehr als 90 Prozent von Schiedsrichtern entschieden.

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