Das Nummernschild ist angeschraubt. Der erste autonom fahrende Lastwagen mit Straßenzulassung rollt seit heute über die Highways von Nevada. Der Fahrer ruht sich im Fahrersitz aus oder geht anderer Arbeit nach: Er telefoniert mit Kunden, überarbeitet auf dem Tablet den Tourenplan.
Endlos zieht sich der Highway 15 durch die Wüste Nevadas und verbindet die Entertainment-Metropole Los Angeles mit der Spielerstadt Las Vegas. Die Insel des Lasters inmitten der Wüste ist völlig von Warenlieferungen von außerhalb abhängig. So wälzen sich riesige Dreißigtonner in endlosen Kolonnen in der brennenden Sonne über den Asphalt.
Das ist die ideale Trainingsstrecke für die beiden Freightliner Inspiration Trucks, die ab heute mit normalen Nummernschildern des Staates Nevada den Frachtdienst aufnehmen werden. Doch das ist erst der Anfang. Daimler-Vorstand Wolfgang Bernhard, verantwortlich für Lkw und Busse, in Las Vegas: „Mit der Straßenzulassung in den USA haben wir einen wichtigen Meilenstein bei autonom fahrenden Lkw erreicht. Unser nächstes Ziel ist es, die Highway-Pilot-Technologie auch in Deutschland im öffentlichen Straßenverkehr zu testen. Die entsprechenden Vorbereitungen dafür laufen.“
Noch viele Hürden für selbstfahrende Autos
Autopiloten sind in Flugzeugen Standard. Auch in Schiffen übernimmt zumindest außerhalb der Häfen oft der Computer das Ruder. Am Ende geht es auch beim autonomen Fahren um einen Autopiloten, der das Fahrzeug steuert. Doch der Autoverkehr ist komplex. Auf der Autobahn können die Prototypen der Industrie bereits ohne größere Probleme ohne Eingriffe des Fahrers unterwegs sein. Im Stadtverkehr wird es schon schwieriger. Halbautomatische Funktionen sind allerdings inzwischen Alltag. Ob Tempomaten, Einparkhilfen, Stauassistenten oder Abstandsregler - viele Funktionen entlasten den Fahrer bereits. Auch etwa Mähdrescher können längst eigenständig über das Feld fahren.
Eins der wichtigsten Argumente ist die Sicherheit. Die meisten Unfälle gehen auf Fahrfehler zurück. Weit oben in der Statistik: zu hohe Geschwindigkeit, zu geringer Abstand oder Abbiegefehler. Automatisch gesteuerte Autos würden solche Fehler minimieren. Denn Risikofreude, Spaß an der Geschwindigkeit und Selbstüberschätzung kennt ein Computer nicht. Er bremst, wenn der Abstand zu gering wird und nimmt nicht aus Unachtsamkeit anderen die Vorfahrt.
Die Entwicklung ist recht weit fortgeschritten. BMW etwa testet seit Jahren automatisch fahrende Autos, auch auf deutschen Autobahnen. Die Fahrzeuge können auch eigenständig überholen. Solche Tests müssen sich die Hersteller aber von Behörden genehmigen lassen. Audi ließ jüngst zur US-Technikmesse CES einen Wagen „autonom“ rund 900 Kilometer aus dem Silicon Valley nach Las Vegas fahren. Auch Daimler präsentierte auf der CES seine Vision für ein selbstfahrendes Auto der Zukunft. Der silberne Mercedes-Prototyp fuhr autonom auf die Bühne nach einer Tour durch die Wüste und die Hotel-Meile der Glücksspiel-Stadt. Zumindest für die Autobahn können sich manche Hersteller pilotiertes Fahren bereits in fünf bis sieben Jahren vorstellen.
Hier beginnen die Schwierigkeiten jenseits der Technik. Die erste Hürde ist das „Wiener Übereinkommen für den Straßenverkehr“ von 1968, das die Basis für die meisten Verkehrsregelungen ist. Darin gibt es zwar Hinweise zu Zugtieren, aber von selbstfahrenden Autos ist nicht die Rede. Dafür aber davon, dass jedes Auto einen Fahrer braucht, der am Ende verantwortlich ist. Dass Autofahrer am Ende Verantwortung und Kontrolle völlig abgeben werden, gilt eher als unwahrscheinlich. Noch fehlen dafür aber Regeln und Gesetze. Bei den bisher fahrenden Prototypen auf normalen Strecken müssen in Deutschland die Fahrer darauf geschult sein.
Europas größter Versicherer, die Allianz, würde auch selbstfahrende Autos versichern. Allerdings würde sich die Risikoeinschätzung ändern, denn das Risiko verlagere sich vom menschlichen Fehler des Fahrers zum Entwickler der Autopiloten. Allerdings glauben die Versicherer nicht daran, dass es vollständig selbstfahrende Auto geben wird. Ein Fahrer werde auch künftig einen Führerschein brauchen, und das Gefährt im Notfall oder in Situationen wo es nötig ist, kontrollieren zu können.
Sicherlich auch, um Kunden mit immer ausgereifteren Extras zu locken. Doch daneben spielt auch die mögliche Konkurrenz durch andere Spieler eine Rolle. So arbeitet etwa auch der Internetkonzern Google seit einigen Jahren an selbstfahrenden Autos.
Dieser Paradigmenwechsel gilt für eine ganze Industrie. Die Schlagzeilen der Presse und des Internets dominieren derzeit zwar das selbstfahrende Google-Auto, der omnipräsente Elon Musk mit dem Phänomen Tesla oder Apples mysteriöse Autopläne. Aber Daimler und andere Lastwagenhersteller forschen seit Jahren an selbstfahrenden Autos - mit wenig Aufsehen, aber dafür um so effektiver und mit realistischen Zielsetzungen.
Die nahe Zukunft gehört der automatisierten Langstrecke und damit den Spediteuren und Lastwagenfahrern der Transportindustrie, die oft hunderttausend Kilometer und mehr pro Jahr abspulen. Sie wollen keine Star Wars-Technik, sondern zuverlässige Hilfen, die ihr Leben einfacher machen.
Auf rund 642 Milliarden Dollar wird der Beitrag der Transportindustrie zum Bruttosozialprodukt alleine in den USA geschätzt. 2012 wurden 70 Prozent aller Güter in den USA über die Straße bewegt, das macht 9,7 Milliarden Tonnen. In 26 der 52 Bundesstaaten der USA ist Lastwagenfahrer der dominierende Beruf. Jede Chance, die Effizienz in dieser Branche zu erhöhen oder die Aus- und Unfallraten zu senken, bringt den Unternehmern bares Geld und entlastet die Fahrer.
Und während Tesla oder Apple um jeden Kunden buhlen müssen, werden im Flottengeschäft hunderte oder tausende Fahrzeuge auf einen Schlag verkauft. Ein Grund für Daimler, mit der Neuerung nicht in Europa zu starten, sondern in den USA. Bei 40 Prozent Marktanteil im Lkw-Markt ist das Potenzial dort gewaltig.