Seltene Erden Deutschlands Industrie giert nach eigenen Minen

Eine deutsche Industrieallianz soll weltweit rare Metalle beschaffen. Dafür bräuchte sie gut anderthalb Milliarden Euro. Doch Geld scheint das geringste Problem.

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Im Tagebau werden im chinesischen Ganxian Seltene Erden gefördert Quelle: dpa

Abfall ist ein böses Wort, Joachim Pilarsky kann es nicht mehr hören. Denn auf dem Gelände seines Unternehmens Cronimet am Südbecken des Karlsruher Hafens geht es sauber zu. Kräne bugsieren Stahlteile aus den Bäuchen der Binnenschiffe in klobige Maschinen, die sie häckseln oder pressen, sortieren und wiegen. Später landen die Metalle in der bestellten Legierung und bis aufs Kilo portioniert in Bahnwaggons, die vor die Stahl- öfen Europas fahren.

Deutsche Wirtschaft will sich zurückmelden

Vom vierten Stock aus betrachtet Juniorchef Pilarsky die Szenerie. Vater Günter, Vizepräsident des Karlsruher Sportclubs, hat Cronimet 1980 gegründet und zu einem der weltweit führenden Edelmetallverwerter mit knapp drei Milliarden Euro Jahresumsatz gemacht. Der Vorstand konferiert in stilvollen Ledersesseln hinter verglaster Fassade. Cronimet geht es gut, das spürt man hier.

Aber Pilarsky fühlt sich nicht anerkannt: „Wir sehen uns als Rohstoffunternehmen, das helfen kann, die Abhängigkeit von Metallimporten zu verringern.“ Neben dem Recycling fördert Cronimet in Armenien Kupfer und Molybdän sowie Chromerze in Südafrika. „Aber wenn Sie die Behörden fragen, sind wir ein Abfallverwerter und unterliegen in Deutschland strengen Zoll- und Steuerauflagen.“

Im Club der deutschen Großindustrie ist Cronimet erst recht außen vor. In puncto Rohstoffsicherheit geht ein Dutzend deutscher Konzerne einen eigenen Weg: Statt im Inland zu recyceln oder Substitute zu entwickeln, nehmen sie unter der Fahne der zu Jahresbeginn gegründeten Rohstoffallianz den Kampf um Seltene Erden und andere knappe Metalle auf. Industriegrößen wie BASF, ThyssenKrupp und Bosch sind an Bord, die Autoriesen VW, BMW und Daimler stehen nach Informationen der WirtschaftsWoche kurz vor der Aufnahme. Binnen eines Jahres will sich die deutsche Wirtschaft mit zwei internationalen Förderprojekten im umkämpften und hierzulande lange vernachlässigten Rohstoffgeschäft zurückmelden.

Wie sich Unternehmen ohne eigene Minen gegen Mangel wappnen

Ob das klappt, steht in den Sternen. Der Zweckverband deutscher Schatzsucher ist hochkarätig besetzt. Aber wie er in der Praxis funktionieren soll, ist noch immer unklar – für außenstehende Unternehmer und Experten, aber auch für asiatische und afrikanische Autokraten, in deren Böden die begehrten Rohstoffe lagern.

Bislang kämpfen finanzstarke Staatsfonds aus China oder Rohstoffriesen wie BHP Billiton, Vale oder Rio Tinto um Förderstätten. Jetzt rücken die Deutschen mit einer formal privatwirtschaftlichen Allianz aus Konzernen an, bei der irgendwie auch der Staat dahintersteht, der aber juristisch nichts damit zu tun haben will. Wird ein Plan konkret, müssen die Gesellschafter einzelne Projektgesellschaften gründen, die Risiken und Gewinne aufteilen. Klingt kompliziert, typisch deutsch eben.

Schutz vor der Rohstoffkrise

Was in iPhones und Panzern steckt
Hybridauto von Porsche Quelle: rtr
Neodym Neodym ist Ausgangsstoff für starke Permanentmagnete, die in kleinen Mikrophonen und Lautsprechern – etwa in Apples iPhone – stecken. Sie machen auch moderne Audioanlagen erst möglich. Quelle: ap
Praseodym Auch Praseodym ermöglicht die Produktion kräftiger Magneten, die für die Herstellung kompakter Elektromotoren, aber auch von Generatoren für Windkraftanlagen verwendet werden. Quelle: ap
Samarium Samarium ist ebenfalls Ausgangsstoff für Permanentmagnete, die beispielsweise in militärischen Navigationssystemen stecken, wie die US-Armee sie im Kampfpanzer Abrams einsetzt. Damit endet die Vorstellung der ersten vier Vertreter aus der Gattung der „leichten seltenen Erden“, weiter geht's mit den sogenannten „schweren seltenen Erden“. Quelle: Reuters
Terbium Als grünlicher Fluoreszenzstoff hilft Terbiumden Herstellern von Lampen ohne Glühfaden, die Lichttemperatur einzustellen. So verbrauchen Energiesparlampen bei gleicher Helligkeit weniger Strom. Quelle: ap
Gadolinium In Kernreaktoren dient Gadolinium dazu, überschüssige Neutronen zu absorbieren - entweder für eine Schnellabschaltung oder in Meilern, die nur selten neu bestückt werden, etwa für Atom-U-Boote. Quelle: ap
Yttrium In Radargeräten dienen kristallische Elemente mit Yttriumanteil dazu, die zurückkommenden elektromagnetischen Wellen besser aufzufangen. Als nächstes folgen die seltenen Metalle. Quelle: Reuters

Dass sich die Industrie vor der drohenden Rohstoffkrise schützen muss, ist naheliegend. Das gilt besonders für sogenannte schwere Seltene Erden wie Dysprosium und Neodym, die in Magneten von Elektromotoren zum Einsatz kommen. Beinahe die gesamte Produktion und mehr als 40 Prozent der Nachfrage kommen aus China. „Wenn China weiter stark wächst, wird die Volksrepublik in spätestens zehn Jahren vom Exporteur zum Importeur Seltener Erden“, erwartet Arndt Uhlendorff, Chefanalyst beim Institut für Seltene Erden und Metalle in Düsseldorf. Das würde auf die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft schlagen.

Nicht nur Spezialmetalle

Es geht nicht allein um Spezialmetalle. Auch Kupfer, Eisenerz, Wolfram oder Molybdän sind gefragt, seit die Nachfrage aus den Schwellenländern die Preise explodieren ließ. Es rächt sich, dass etwa der frühere ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz mit Shareholdervalue-Blick und blindem Vertrauen auf billige Preise am Weltmarkt die eisernen Reserven verscherbelte. ThyssenKrupps letzte Erzmine kam 2001 unter den Hammer. Seither hat sich der Preis für den Brennstoff der Hochöfen vervielfacht.

Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Allein 2011 importierten deutsche Unternehmen drei Viertel der benötigten Rohstoffe – und zahlten 110 Milliarden Euro. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe geht zwar davon aus, dass die Nachfrage aus Schwellenländern wegen des Abschwungs sinken wird. Ihr Experte Volker Steinbach sagt aber: „Die deutsche Wirtschaft wird weiter auf Importe angewiesen sein.“ Dennoch müsse die Eigenproduktion im In- und Ausland gesteigert werden – schon, um Preisrisiken vorzubauen.

Das soll nun Dierk Paskert richten. Der frühere E.On-Vorstand ist Geschäftsführer der Rohstoffallianz in Berlin. Er tariert zwischen Gesellschaftern aus, wo gemeinsame Interessen liegen, wer wo wie viel investiert und wie die Rohstoffe verteilt werden. Frühestens in sechs Monaten werde es das erste Projekt geben – kein großes, wie Paskert zugibt, der keine Details verraten will. „Wir wollen zeigen, dass das Konzept funktioniert.“ Sobald das geschafft sei, werde die Rohstoffallianz neue Gesellschafter anziehen und Projekte anpacken.

In Europa sei Deutschland der Nachzügler, kritisiert Magnus Ericcson, Chef des schwedischen Rohstoff-Marktforschers Raw Materials. „Ein Industrieland braucht Wissen, wie man Rohstoffe fördert und verarbeitet.“ Den Mehrwert der Allianz sieht er im Know-how für die Konzerne – von Technik über Management im Minensektor bis zu Finanzierung. Insofern sei die Allianz „eher so etwas wie ein Rohstoff-Lernprogramm“.

Problem China

Rohstoffkonzerne an der Börse
Mine von Vale Quelle: Presse
Mine von Rio Tinto Quelle: rtr
Mine von BHP Billiton Quelle: Presse
Mine von Anglo American Quelle: rtr
Silberbarren von Glemncore Quelle: rtr
Chinesischer Minenarbeiter Quelle: rtr

Tiefstapelei ist angebracht – schon beim Blick auf Größenverhältnisse. Rohstoffallianz-Chef Paskert spricht von „einem hohen sechsstelligen Millionenbetrag“, den ein Förderprojekt kosten werde. In einem Jahr sollen zwei Projekte laufen – darunter womöglich eine Eisenerzgewinnung in der Mongolei, hört man in Industriekreisen. Die Rohstoffallianz müsste also gut anderthalb Milliarden Euro investieren. Nach Schätzungen der Weltbank steckt China allein in Afrika 50 Milliarden Dollar in Rohstoffprojekte – pro Jahr.

China ist eines der größten Probleme für Paskert, vor allem die Spielregeln, die Peking anderen Nationen im Wettkampf um Rohstoffe aufzwingt. Chinas Staatsfonds gehen in repressivste Diktaturen wie den Sudan oder den Kongo, wo Lieferverträge im Tausch gegen Kredite unterschrieben und politische Verhältnisse indirekt konserviert werden. „Der Kongo ist für uns tabu“, sagt dagegen Paskert, zu labil sei dort das Rechtswesen. Und Kuhhandel à la Metalle gegen Kredit gibt es mit den Deutschen auch nicht.

Lieblingspartner Deutschland

Damit zeigt sich ein Grundproblem dieser neuen Allianz: Warum sollte ein Potentat aus Asien oder Afrika mit Deutschland Geschäfte machen – und nicht mit China oder Russland? Es seien andere Faktoren, hält Stratege Paskert dagegen: „Unsere Wirtschaft genießt auf der Welt einen exzellenten Ruf.“ Deutsche Unternehmen seien die Lieblingspartner fremder Länder – nicht zuletzt, weil sie die Wertschöpfung im Inland ließen: „Wenn Chinas Unternehmen im Ausland investieren, fliegen sie bis zum Koch alle Mitarbeiter aus der Heimat ein. Wir beschäftigen lokale Leute.“ Außerdem erwarte man nicht, bei Förderprojekten im Ausland die Mehrheit zu übernehmen.

Der Grundidee der Allianz steht Cronimet-Juniorchef Pilarsky positiv gegenüber. Ein Bergbauprojekt für Wolfram etwa wäre für ihn interessant. Das würde aber viel Geld kosten – und das jenseits der westlichen Zivilisation. Pilarsky: „Wer in autoritär geführten und wenig rechtsstaatlichen Ländern Afrikas oder Asiens investiert, muss sich auf die Unterstützung der Politik verlassen können.“ Nur so ließen sich die kapitalintensiven Investitionen absichern.

Ganz ohne Politik war Cronimet-Gründer Günter Pilarsky auf eigene Faust in die Exploration eingestiegen: Just als die Konzerne ihre Bergwerke abstießen, kaufte Cronimet 2004 eine Mine in Armenien zur Kupfer- und Molybdänförderung. Der Filius erinnert sich: „Mein Vater erzählte den Bankern, dass die Rohstoffpreise wieder steigen werden, aber niemand hat ihm geglaubt.“ Er hat recht behalten – und heute hat der kleine Mittelständler aus Karlsruhe mehr Erfahrung im Minengeschäft als die Rohstoffallianz.

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