Es hat lange gedauert. Mehr als drei Jahre sind vergangen, seit der Siemens-Vorstand erste Szenarien durchgespielt hat, wie mit dem Bahntechnik-Geschäft umzugehen sei. Im Sommer 2014 führte Siemens-Vorstandschef Joe Kaeser Gespräche mit dem französischen Konkurrenten und TGV-Hersteller Alstom über eine Fusion der Sparten. Doch die beiden Unternehmen wurden sich nicht einig. Dann versuchte man es mit Bombardier, dem schwer angeschlagenen Anbieter aus Kanada. Doch das Unternehmen ist zu sehr mit den eigenen Problemen beschäftigt, als dass es für konstruktive Fusionsgespräche bereit wäre.
Nun scheint es doch noch mit den Franzosen zu klappen. Nach Angaben aus Unternehmenskreisen wollen Siemens und Alstom schon in Kürze die Zusammenlegung ihrer Bahntechnik-Geschäfte bekannt geben – endlich möchte man sagen. Mit dem neuen deutsch-französischen Gemeinschaftsunternehmen, an dem die Deutschen vermutlich die Mehrheit halten werden, entsteht zwar noch kein ebenbürtiger Wettbewerber zu dem mächtigen chinesischen Staatskonzern CRRC. Der ist nach Umsatz gerechnet immer noch doppelt so groß wie die fusionierten Bahnsparten von Siemens und Alstom. Doch die deutsch-französische Allianz ist ein deutliches Signal, dass man das lukrative Geschäft mit Hochgeschwindigkeitszügen nicht kampflos den Chinesen überlassen wird, die sich anschicken, mit Kampfpreisen und günstigen Finanzierungspaketen im Gepäck, die westlichen Märkte zu erobern.
Im Jahr 2015 fusionierten die chinesischen Anbieter CSR und CNR zu dem Giganten CRRC. Kaeser sprach daraufhin immer wieder von der Notwendigkeit, einen europäischen Champion zu schaffen. „Auf Dauer wird die durch die CRRC-Fusion begünstigte Übermacht den globalen und fairen Wettbewerb beeinträchtigen“, sagte Kaeser Anfang des Jahres in einem Interview. „Ob das in zwei oder fünf Jahren kommt, wird sich weisen.“
Die wichtigsten Antworten zur möglichen Zug-Fusion
Nach Problemen in den vergangenen Jahren, etwa durch die verspätete Auslieferung von ICE-Zügen an die Deutsche Bahn, ist das Zuggeschäft von Siemens inzwischen wieder in der Spur. Heute kommt die Sparte mit Standorten unter anderem in Krefeld, Erlangen, Berlin, München und Wien auf einen Jahresumsatz von fast acht Milliarden Euro und eine Rendite von knapp 9 Prozent.
Die Bahnsparte des kanadischen Anbieters, der auch Flugzeuge baut, ist zwar ähnlich groß. Aber der Konzern steckt in den roten Zahlen und hatte im Bahngeschäft den Abbau von weltweit rund 5000 Jobs angekündigt. Unklar ist, wie stark dies die deutschen Standorte mit 8500 Beschäftigten treffen wird, darunter Hennigsdorf, Görlitz, Bautzen, Kassel, Mannheim, Braunschweig und Siegen. Das Management will seine Pläne im Juli vorstellen. Bombardier hatte erst vergangenes Jahr 1430 Arbeitsplätze in Deutschland gestrichen, um die Standorte profitabel zu machen.
Angeblich soll ein Gemeinschaftsunternehmen im Gespräch sein, das den Bau von Zügen und die Signaltechnik umfassen würde. Analysten sehen größere Synergie- und Einsparpotenziale etwa durch gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie Lieferketten und die Zusammenführung der Produkte. Schon jetzt arbeiten die Zughersteller bei verschiedenen Projekten zusammen, so beim ICE 4, der neuesten Generation des Hochgeschwindigkeitszuges.
Ja. Schon beim Übernahmepoker um Alstom hatte Siemens versucht, seine Zugsparte mit der des französischen Konkurrenten zusammenzubringen. Und Mitte 2015 wurde auch schon einmal über eine Fusion der Zugsparten von Siemens und Bombardier spekuliert, doch die Kanadier hatten damals Verhandlungen dementiert.
Die europäischen Hersteller zittern vor allem vor der Konkurrenz aus China. Dort haben sich die beiden größten Zughersteller zum neuen Giganten CRRC zusammengetan, der alleine größer ist als die Sparten von Siemens, Bombardier und Alstom zusammen. Das sieht auch die Deutsche Bahn mit Interesse, die vor etwa eineinhalb Jahren demonstrativ ein Einkaufsbüro in China eröffnete, darüber Produkte der Bahntechnikhersteller aus der Volksrepublik sondiert und so den Druck auf die europäischen Hersteller erhöhte. „Wir suchen weltweit nach Lieferanten mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten“, ließ Bahn-Chef-Einkäufer Uwe Günther damals wissen.
Vor allem das Kartellrecht gilt als Hindernis für eine Zug-Allianz in Europa. Denn mit Siemens, Bombardier und Alstom beherrschen nur drei Anbieter den Markt. Schlössen sich zwei von ihnen zusammen, könnte das gravierende Folgen für Kunden wie die Deutsche Bahn haben, sodass hohe Auflagen zu erwarten wären. Siemens macht keinen Hehl daraus, dass man diese Spielregeln für nicht mehr zeitgemäß hält. „Eine weitere Konsolidierung des Marktes wird seit langem erwartet und sollte auch kartellrechtlich mit einer globalen Sicht auf die Veränderungen betrachtet werden“, sagte Siemens-Finanzchef Ralf Thomas.
Bei Arbeitnehmervertretern in Deutschland dürfte eine Allianz wohl nur auf Zustimmung stoßen, wenn Siemens die Oberhand im zusammengeschlossenen Unternehmen behielte. Wie sich eine Fusion auf die Jobs auswirken würde, bliebe abzuwarten. Von offenem Widerstand der Arbeitnehmervertreter jedenfalls war in den vergangenen Wochen nichts zu spüren - was auch daran liegen dürfte, dass ein weiteres Erstarken der Chinesen deutlich schlimmere Folgen für die Belegschaft haben könnte als eine mögliche Allianz von Siemens und Bombardier.
Zum vollständigen Bild gehört allerdings auch die Tatsache, dass Bahntechnik-Unternehmen wie Siemens oder Kawasaki aus Japan kräftig dabei mitgeholfen haben, dass China heute ein schlagkräftiger, globaler Anbieter von Zugtechnik ist. Willig ließ sich Siemens auf weit reichende Technologietransfers ein, um an lukrative Aufträge beim Aufbau des chinesischen Schienennetzes zu kommen. Die Deutschen haben dabei jahrelang gut verdient. Doch die große Party ist erstmal vorbei. Chinas Eisenbahnministerium ertrinkt in Schulden, vieles in der Bahntechnik können die Chinesen inzwischen selbst.
Doch Siemens hat noch einen Vorsprung. Die hoch komplexen, softwarebasierten Steuerungssysteme bekommen die Chinesen so noch nicht hin. Im bayerischen Allach arbeitet Siemens etwa an hoch modernen digitalen Steuerungslösungen. In diesen margenstarken Bereichen gilt es jetzt den Vorsprung zu halten und die Stärken mit Alstom zu bündeln.
Mit dem angestrebten Zusammenschluss, sollte er dann zustande kommen, haben die Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht. Dann sind die Brüsseler Kartellbehörden dran. Bei der Bewertung des Deals sollten sie nicht nur den westlichen europäischen Markt und die dortigen Anbieter betrachten, sondern den globalen Markt mit seinem übermächtigen Mitspieler CRRC.