Zuletzt hatte es ordentlich Krach gegeben in der Medizintechnik-Sparte des Siemens-Konzerns. In einem anonymen 16-seitigen Dossier beschwerten sich Mitarbeiter unter anderem über den autoritären Führungsstil ihres Chefs Bernd Montag, über eine übereilt formulierte Strategie für die Geschäfte und nicht zuletzt über den ein wenig unglücklich gewählten neuen Namen der Sparte: Seit kurzem heißt der in Erlangen angesiedelte Bereich „Healthineers“.
Kaeser lobt das Management der Medizintechnik ausdrücklich. „Das Management hat in den letzten zwei Jahren einen guten Job gemacht“, sagte der Siemens-Chef heute bei der Vorlage der Bilanz für das Ende September abgelaufene Geschäftsjahr des Siemens-Konzerns. Die Zahlen der Medizintechnik können sich in der Tat sehen lassen. In den vergangenen fünf Jahren steigerte die Sparte ihre Ergebnismarge um vier Prozentpunkte auf fast 18 Prozent. Die Medizintechnik ist damit der profitabelste Bereich der Münchner.
Jetzt gibt Kaeser der Sparte noch mehr Freiheiten: Er will, wie schon länger vermutet, das Geschäft an die Börse bringen. Zum Zeitpunkt und zum Volumen des Börsengangs schweigt Kaeser noch; man bereite den IPO jetzt vor, sagt er. Schon vor zwei Jahren hatte der Siemens-Chef die Healthcare-Sparte in eine eigene Gesellschaft umgewandelt. Die Begründung für die weit reichende Selbstständigkeit der Medizintechnik: Das Geschäft befindet sich in einem rasanten Wandel, vor allem durch die Digitalisierung und die Entwicklungen in der Biotechnologie. Da will Siemens im Zweifel schnell auf Veränderungen am Markt reagieren können.
An einen kompletten Verkauf des Bereichs denkt Kaeser aber offenbar nicht. „Es ist eines der wichtigsten Siemens-Geschäfte“, sagt er, „und das soll auch so blieben.“ Zuletzt sollen Investoren aus China Interesse an der Siemens-Medizintechnik angemeldet haben.
Der Börsengang der Sparte ist ein weiterer Baustein der Vision 2020, die Kaeser im Mai 2014, wenige Monate nach seinem Antritt als Vorstandschef, vorgestellt hatte und mit der er den unter seinem Vorgänger Peter Löscher ein wenig ins Trudeln geratenen Konzern wieder flott machen will. Schaut man auf das Zahlenwerk, kann sich das Ergebnis der Initiative durchaus sehen lassen. So konnte Siemens bis Ende September rund eine Milliarde Euro einsparen. Wichtiger noch: Die immer neuen Sonderbelastungen durch Projektverzögerungen, die die Löscher-Ära prägten, sind inzwischen Geschichte.
Zwischen 2007 und 2014 fielen pro Jahr im Durchschnitt 700 Millionen Euro pro Jahr an. Im abgelaufenen Geschäftsjahr gab es keine negativen Effekte mehr. Geschäfte, die keinen oder nur einen unterdurchschnittlichen Beitrag zum Konzerngewinn lieferten, hat Kaeser saniert, manche hat er abgestoßen, an anderer Stelle, etwa bei der Windenergie das Portfolio gestärkt.
Siemens und Osram - ein Abschied auf Raten
Für den Elektrokonzern gehört die ehemalige Tochter schon lange nicht mehr zum Kerngeschäft. Gut drei Jahre nach der Abspaltung über die Börse hält Siemens mittlerweile noch 17,5 Prozent an Osram. Zuletzt trübte Streit um die Zukunftsstrategie das Verhältnis zwischen beiden Unternehmen empfindlich. Siemens-Chef Joe Kaeser hält den Plan von Osram-Chef Olaf Berlien für eine LED-Chipfabrik in Malaysia für zu risikoreich. Auf der Hauptversammlung entzog Großaktionär Siemens Berlien deshalb demonstrativ das Vertrauen. Anlass für Zeitdruck gibt es derweil kaum: Bei Siemens läuft es derzeit auch dank einer Reihe von Großaufträgen gut, so dass Kaeser die Gewinnprognose für das gerade abgeschlossene Geschäftsjahr 2015/16 (30. September) anheben konnte. 2017 allerdings sei „ein neues Spiel“, wie der Siemens-Chef vor einigen Wochen sagte.
Bisher waren vor allem zwei potenzielle Investoren aus China im Gespräch, nämlich der Finanzinvestor GSR Go Scale Capital und der Halbleiterhersteller San'an Optoelectronics, der auch erste Kontakte bestätigt hatte. Auch darüber hinaus hat Osram bereits Erfahrungen mit chinesischen Investoren - erst im Sommer entschied sich der Konzern zum Verkauf der traditionellen Lampensparte Ledvance an den chinesischen LED-Spezialisten MLS. Auch der Autozulieferer Continental soll über ein Engagement bei Osram nachgedacht, mit um die 50 Euro je Osram-Aktie aber aus Siemens-Sicht zu wenig Geld geboten haben.
Als lukrativ gilt vor allem die Sparte Automobilbeleuchtung. Zudem hält das Unternehmen rund 18.000 Patente. Mit einem Einstieg könnten Chinesen also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - Geld anlegen und sich die Technologie aneignen.
Das ist unklar. Zuletzt war es wieder etwas ruhiger um die seit September anhaltenden Verkaufsspekulationen geworden. Das könnte auch daran liegen, dass hinter den Kulissen noch über Preisvorstellungen und weitere Details gerungen wird. Vom Tisch ist das Thema damit aber noch lange nicht.
Zuletzt wuchs in Berlin der Widerstand gegen die Übernahme zukunftsträchtiger Unternehmen durch Chinesen. Auch Osram selbst hatte das beim Verkauf seiner Lampensparte zu spüren bekommen, den die Bundesregierung nun noch einmal genau unter die Lupe nehmen will. Künftig will Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) zudem heimische Schlüsseltechnologien besser vor einem Ausverkauf schützen. Es müsse klar sein, „dass Deutschland und Europa sich für die Zukunft Instrumente schaffen werden, um sicherheitsrelevante Technologien zu schützen, wo dies geboten ist“, hatte Gabriel vor seiner China-Reise in der vergangenen Woche betont. Bei einem Besuch in Peking und Hongkong forderte er zudem Chancengleichheit für deutsche Unternehmen in China.
Dazu kommt: Siemens wächst wieder, und das in einem alles in allem schwierigen konjunkturellen und geopolitischen Umfeld. Zwischen Oktober 2015 und Ende September 2016 verbesserte sich der Umsatz um vier Prozent auf 79,6 Milliarden Euro. Der Auftragseingang wuchs ebenfalls um vier Prozent auf gut 86 Milliarden Euro. Großaufträge wie die Lieferung von zwölf großen Gasturbinen nach Ägypten spielen hier eine wichtige Rolle. Die Marge im industriellen Geschäft lag im abgelaufenen Geschäftsjahr bei 11,4 Prozent, höher als Kaeser versprochen hatte.
Nach vorne blickend ist er allerdings vorsichtig. Die geopolitischen Unsicherheiten, die globale Migration und der weltweit zunehmende Populismus machen dem Siemens-Chef Sorgen. „Nationalistische Strömungen haben Zulauf“, konstatiert Kaeser und fügt hinzu, die Ungewissheiten hätten eine nachhaltige Auswirkung auf die Wirtschaft und Investitionen: „Wir gehen von schwierigen Märkten aus.“
Mit Blick auf den Wahlausgang in den USA und den kommenden Präsidenten Donald Trump gibt Kaeser sich betont gelassen. „Das amerikanische Volk hat den Präsidenten gewählt“, sagt der Siemens-Chef, „damit gehen wir um. Man respektiert den Willen des Volkes.“ Siemens beschäftigt in den USA 50.000 Mitarbeiter und kommt dort auf einen Umsatz von 22 Milliarden Dollar – der größte Markt für Siemens.