Bei heiklen Themen verkümmern selbst die größten Manager oft zu Duckmäusern. Joe Kaeser nicht. Der Siemens-Chef hat eine klare Meinung. Und er hält damit auch öffentlich nicht hinterm Berg. Nach dem Wahlerfolg der AfD sprach Kaeser etwa davon, dass dies auch „eine Niederlage der Eliten in Deutschland“ sei.
Man habe AfD-Wähler zu lange als Menschen am Rande der Gesellschaft abgetan anstatt sie einzubinden, erläuterte Kaeser. Und weiter: Es sei die Aufgabe von uns allen, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, eine Perspektive zu geben, so der Siemens-Vorstandsvorsitzende. Es war eine beißende Kritik an den etablierten Parteien und den sozialen Eliten, wie sie ein im Amt befindlicher Spitzenmanager in Deutschland so noch selten zuvor getätigt hat.
Bei vielen Siemens-Mitarbeitern kam das gut an. Und auch bei Hagen Reimer von der IG-Metall in Bayern sorgten die Worte des Top-Managers für Zustimmung. Das war ein „guter Kommentar“ des Siemens-Chefs, sagte Reimer dem Handelsblatt. Umso größer ist bei dem Gewerkschafter allerdings jetzt der Ärger.
In welchen Sparten Stellen wegfallen
Die Kraftwerkssparte „Power and Gas“ gehört zu den umsatzträchtigsten Geschäftsfeldern von Siemens und soll nun den Löwenanteil der Stellenstreichungen tragen. 6100 Jobs sollen hier wegfallen. Im Schlussquartal des abgelaufenen Geschäftsjahres steuerte die Sparte 3,65 Milliarden Euro zum Konzernumsatz von 22,3 Milliarden Euro bei. Weltweit arbeiteten dort Ende September 46.800 Beschäftigte, in Deutschland waren es 16.100. Die Zahlen an deutschen Standorten mit über 200 Mitarbeitern verteilten sich gerundet wie folgt: Mülheim 4500, Berlin 3700, Erlangen 2800, Duisburg 1800, Görlitz 700, Offenbach 700, Erfurt 600, Leipzig 200.
Im Geschäftsfeld Prozessindustrie und Antriebe beschäftigte Siemens zum Stichtag Ende September weltweit rund 44.800 Leute, davon 15.400 in Deutschland. Dieses Geschäft schwächelt seit einiger Zeit. Im Schlussquartal 2017 konnte Siemens erste Erfolge jüngster Einsparungen erzielen: Der Bereich kehrte im Vergleich zum Vorjahr wieder in die schwarzen Zahlen zurück. Mit 2,39 Milliarden Euro war der Umsatz im Schlussquartal zwei Prozent geringer als im Vorjahreszeitraum. Die Beschäftigungszahlen an deutschen Standorten mit über 200 Mitarbeitern verteilten sich gerundet wie folgt: Nürnberg 3400, Karlsruhe 2600, Erlangen 1700, Bocholt 1500, Voerde 1400, Ruhstorf 1000, Berlin 800, Penig 600.
Denn Kaeser will fast 7000 Stellen in der kriselnden Kraftwerkssparte streichen und mehrere Werke schließen – etwa in Görlitz in der Oberlausitz, einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit und großem Wählerzuspruch für die AfD. Vor diesem Hintergrund wirke Kaeser jetzt wie ein „Sonntagsprediger“, ätzt Reimer. Und er ist mit seiner Kritik nicht alleine.
Noch nie zuvor seit seinem Amtsantritt im Sommer 2013 stand der Siemens-Chef so in der Kritik. Selbst Angela Merkel, die ihm sonst so wohlgesonnene Kanzlerin, sah sich nun bemüßigt über ihren Sprecher zumindest die Einhaltung von fairen Regelungen beim Personalabbau von Siemens anzumahnen.
Bei der Belegschaft herrscht dagegen längst ein anderer Ton. Mit einer Menschenkette um das Berliner Gasturbinenwerk des Konzerns protestieren Hunderte Beschäftigte gemeinsam mit Michael Müller, dem sozialdemokratischen Bürgermeister der Hauptstadt, gegen den Kahlschlag bei Siemens.
„Für den augenblicklichen Gewinn verkaufe ich die Zukunft nicht“, appellierten die Mitarbeiter etwa mit einem Zitat des Firmengründers Werner von Siemens an das aktuelle Management. Doch der Vorstand um Kaeser demonstriert bislang Härte. Schließlich besteht in der Kraftwerkssparte Handlungsbedarf. Siemens hat hier lange auf große Gasturbinen gesetzt. Doch in Zeiten der Energiewende werden eher kleine, dezentrale Grünstromlösungen von Kunden bestellt. Die Folge: Das Angebot an großen Gasturbinen übersteigt die weltweite Nachfrage deutlich.
Die globalen Fertigungskapazitäten liegen bei etwa 400 Turbinen pro Jahr. Tatsächlich verkauft wird aber nur etwa ein Viertel davon, zuletzt 110 Stück. Siemens-Chef Kaeser sieht daher keine Alternative zu den harten Einschnitten. Das bringt die Arbeitnehmervertreter wiederum auf die Barrikaden.
Denn vor zwei Jahren wurde bereits der Abbau von gut 1.200 Mitarbeiter bis 2020 bei der Sparte Power & Gas beschlossen. „Obwohl dieses Programm noch nicht einmal völlig umgesetzt ist, will der Vorstand jetzt mit doppelter Härte zuschlagen. Das ist inakzeptabel“, sagt Hagen Reimer von der IG-Metall in Bayern. Bei den Gewerkschaftern im Süden gilt Siemens-Chef Kaeser mittlerweile als der „größte Jobkiller, der derzeit in Deutschland unterwegs ist“.