Stromkonzerne gegen Atomausstieg Die 20-Milliarden-Euro-Frage

Eon, RWE und Vattenfall klagen gegen das abrupte Ende der Kernkraft. Am zweiten Verhandlungstag prüfen die Verfassungsrichter, ob die Energieversorger Anspruch auf Entschädigungen haben. Rechtsexperten sind skeptisch.

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Rechtsexperten zeigen sich skeptisch, was die Erfolgsaussichten der Konzerne angeht. Quelle: dpa

Karlsruhe Es ist die alles entscheidende Frage: Wurden die Kernkraftwerksbetreiber durch den beschleunigten Atomausstieg vor mehr als fünf Jahren de facto enteignet? Oder hat die Bundesregierung die Grundrechte der Konzerne gewahrt?

Nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima im Frühjahr 2011 ordnete Bundeskanzlerin Angela Merkel beinahe über Nacht an, dass acht Atommeiler in Deutschland sofort stillgelegt werden. Die verbliebenen Kernkraftwerke hierzulande gehen gestaffelt bis 2022 vom Netz.

Eon, RWE, Vattenfall und EnBW sehen in dieser energiepolitischen Kehrtwende einen massiven Eingriff in die Berufs- und Gewerbefreiheit und klagen vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Atomstrom-Quartett fordert für entgangene Gewinne durch den Kernenergie-Ausstieg hohe Entschädigungszahlungen.

„Es geht mir nicht um die Frage der Energiewende“, erklärte Eon-Chef Johannes Teyssen am Dienstag in seinem Eingangsstatement vor dem ersten Senat des Karlsruher Gerichts. Der Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größtem Energieversorger forderte, das „Kapitel Kernenergie mit Anstand und Fairness zu beenden.“

Teyssen argumentiert, alle Kosten des Atomausstiegs seien bisher auf die Eigentümer der Kernkraft-Konzerne abgewälzt worden. „Wenn Eigentum entzogen wird“, so der Dax-Manager, dann müsse sich die Gesellschaft solidarisch zeigen und die Lasten zusammen schultern. Allein Eon fordert gut acht Milliarden Euro Schadensersatz. Insgesamt wollen die vier Atomkonzerne in Deutschland Entschädigungsansprüche in der Höhe von rund 20 Milliarden Euro einklagen.

Zwar entscheidet das Bundesverfassungsgericht nicht selbst über konkrete Schadensersatzzahlungen. Aber Deutschlands höchste juristische Instanz wird am Mittwoch, dem zweiten und letzten Verhandlungstag in der Sache, genau prüfen, ob die Konzerne überhaupt vor weiteren Gerichten Ansprüche auf Entschädigungen geltend machen können.


Experten glauben nicht an Erfolg der Konzerne

Barbara Hendricks hält die die Klagen der Stromkonzerne für unzulässig und unbegründet. Die sozialdemokratische Umweltministerin ist davon überzeugt, dass der Gesetzgeber „nicht für alle Zeit an Vereinbarungen mit Energieversorgen gebunden werden kann“. Und auch Rechtsexperten zeigen sich, gefragt nach den Erfolgsaussichten der Konzerne, äußerst skeptisch.

„Nach meiner Einschätzung können die Konzerne nicht auf Entschädigungszahlungen hoffen“, sagte Joachim Wieland dem Handelsblatt. Der Staatsrechtler hält das Atomausstiegs-Gesetz für „verfassungsgemäß“. Denn es habe die Kraftwerksbetreiber gar nicht enteignet. „Das Eigentum an den Kraftwerken bleibt“, erklärt Wieland. „Nur die Laufzeit wird begrenzt.“

Die Laufzeitbegrenzung auf 32 Jahre ist den Betreibern „offensichtlich auch zumutbar“, sagte Wieland. Sonst hätten Eon, RWE, Vattenfall und EnBW Anfang des Jahrtausends bei der Vereinbarung über den Atomausstieg genau dieser Laufzeit nicht selbst zugestimmt. „In 32 Jahren sind die Investitionen längst abgeschrieben und ein beträchtlicher Gewinn ist erzielt worden“, resümiert Wieland.

Ähnlich argumentiert auch Markus Ludwigs. Der Leiter des Lehrstuhls Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Würzburg glaubt, dass der beschleunigte Atomausstieg den verfassungsrechtlichen Anforderungen „grundsätzlich standhält“. Denn schon vor der Katastrophe von Fukushima wurde die Laufzeit der Kernkraftwerke begrenzt. „Die Betreiber waren nur noch berechtigt, ihre Anlagen für einen begrenzten Zeitraum zu betreiben“, sagte Ludwigs dem Handelsblatt. Der Gesetzgeber habe das „legitime Ziel eines bestmöglichen Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung verfolgt“, so Ludwigs.

Am ersten Verhandlungstag hatten sich die acht Verfassungsrichter in ihren roten Roben unter dem Vorsitz von Ferdinand Kirchhof über mehrere Stunden die Argumentationslinien der Streitparteien angehört. Eine Präferenz, in welche Richtung sie entscheiden könnten, ließ sich daraus noch nicht ableiten. Das könnte sich am heutigen zweiten Verhandlungstag ändern. Mit einem Urteil wird aber erst in einigen Monaten gerechnet.

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