Sünder schlägt Fahnder Wurstkönig Tönnies trickst das Kartellamt aus

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Sünder sind für das Kartellamt nicht zu packen

Auch vier von neun Kosmetikherstellern schafften es, 2008 verhängten Strafen zu entkommen. Chanel, L’Oréal, YSL Beauté und Coty Prestige Lancaster „konnten sich durch konzerninterne Umstrukturierungen der Haftung entziehen“, teilt das Bundeskartellamt dazu mit. Bei dreien geschah das durch Übernahmen. Eine übertrug ihr Vermögen im Wege eines sogenannten Asset Deals auf eine neue Gesellschaft.

So ähnlich hat es Tönnies nun bei Böklunder und Könecke machen lassen. Aber der Fall hat eine neue Dimension. Zum einen wegen der Höhe des Bußgeldes: Böklunder und Könecke sollen zwölf Mal so viel Strafe zahlen wie die 2008 verknackten Kosmetikkonzerne zusammen. Vor allem aber, weil der Gesetzgeber inzwischen versucht hatte, das Schlupfloch zu schließen. Offenbar vergebens – das könnte der Fall Tönnies nun zeigen.

Die spektakulärsten Kartellfälle
Verdacht verbotener Preisabsprachen im Großhandel mit Pflanzenschutzmitteln Quelle: dpa
Jemand fährt Fahrrad auf einem gepflasterten Weg Quelle: dpa/dpaweb
Magna Quelle: AP
Anna Kurnikova Quelle: dpa
U-Bahn Quelle: AP
Schriftzug von Villeroy und Boch Quelle: dpa
Bratwürste Quelle: dpa

Vehement hatte sich Mundt nach dem Gerling-Urteil für eine achte Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und – damit zusammenhängend – des Ordnungswidrigkeiten-Gesetzes eingesetzt. Es wäre, so Mundt damals, „ein fatales wettbewerbspolitisches Signal, wenn die Täter nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden könnten“. Am 30. Juni 2013 traten beide Änderungen in Kraft. Sie stellten klar, dass nach Firmen-Aufspaltungen und -Verschmelzungen die Rechtsnachfolger zuvor verhängte Bußgelder zahlen müssen.

Aber damit, warnt Mundt, „hat die GWB-Novelle lediglich einen Teil der Fälle möglicher Umstrukturierungen erfasst, mit denen Bußgelder umgangen werden können“ – problematisch bleibe es etwa, wenn Gesamtbetriebe „ohne Übertragung der Gesellschaftshülle“ verschoben werden.

Dass Bußgeldflucht trotz GWB-Novelle möglich ist, dafür will Tönnies nun den Beweis antreten. Seine Zur-Mühlen-Gruppe war auf den wuchtigen Bußgeldbescheid Mitte Juli perfekt vorbereitet. Die werthaltigen Teile und die Produktion der Zur-Mühlen-Töchter Böklunder Plumrose und Könecke wurden wenige Wochen später abgespalten und in neue Gesellschaften verlagert. Von den alten Gesellschaften blieb kaum mehr als eine leere Hülle übrig. Selbst die ist inzwischen als Firma erloschen. Auch die neu entstandenen Böklunder- und Könecke-Unternehmen müssen nicht zahlen – wenn der Plan der Tönnies-Anwälte aufgeht.

So einfach soll es sein, das mächtige Bundeskartellamt aufs Kreuz zu legen?

Ja, meinen führende Kartell- und Gesellschaftsrechtler, denen die WirtschaftsWoche ihre exklusiv vorliegenden Dokumente präsentiert hat. Wissel und Kranz von Taylor Wessing, die unter anderem Melitta beraten, urteilen: „Die Abspaltungsmaßnahme im Fall Böklunder und Könecke führt nach den uns vorliegenden Informationen dazu, dass die neue Bußgeld-Nachfolgeregelung hier ins Leere läuft. Das Unternehmen, auf das das Betriebsvermögen abgespalten wurde, kann nicht bebußt werden.“

Spezialisten der Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds in München, Oliver Maaß und Arndt Scheffler, bestätigen, dass die Bußgeldflucht funktioniert: „Das bebußte Unternehmen bleibt durch die Abspaltung zurück wie eine Bad Bank. Das Unternehmen mit dem werthaltigen Geschäft bekommt das Bundeskartellamt nicht zu packen.“ Auch eine Anfechtung der Umstrukturierung via Anfechtungsgesetz brächte dem Kartellamt nichts, sagen Experten: Der Vollstreckungszugriff auf die durch Abspaltung übertragenen Vermögensgegenstände sei nicht wieder herzustellen.

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