Sünder schlägt Fahnder Wurstkönig Tönnies trickst das Kartellamt aus

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Zahmes Kätzchen statt wilder Tiger

Der Fall lässt die einflussreiche Behörde plötzlich als zahnlosen Tiger erscheinen. Das passt nicht zur öffentlichen Wahrnehmung der stetig wachsenden Macht der Wettbewerbshüter:

  • Seit die Kronzeugenregelung Bußgeldfreiheit verspricht, bringt sie immer mehr Kartellsünder dazu, sich selbst und die Mittäter zu verraten. Beim Wurstkartell etwa erleichterte Nölke aus dem westfälischen Versmold sein Gewissen gegenüber Mundts Ermittlern und geht straffrei aus.
  • Die Kartellwächter verhängen immer höhere Bußgelder. 2014 waren es erstmals mehr als eine Milliarde Euro.
  • Außerdem treiben die von den Kartellen geschädigten Unternehmen – ermuntert von den Ermittlungserfolgen und den Behörden – heute systematisch Schadensersatz ein. Dabei geht es oft um zwei- und dreistellige Millionenbeträge. Die Deutsche Bahn etwa verklagt aktuell die Lufthansa und weitere Airlines auf den Rekord-Schadensersatz von 1,76 Milliarden Euro wegen unerlaubter Preisabsprachen im Frachtgeschäft.

„Im Würgegriff“ des Kartellamts sehen Kritiker wie der Wirtschaftsjurist und Buchautor Florian Josef Hoffmann die deutsche Wirtschaft. Gleichzeitig aber sind die Wettbewerbshüter so leicht verwundbar wie Siegfried in der Nibelungensage.

Schon seit Jahren hatte die gut 300-köpfige Mundt-Truppe Probleme, Bußgelder bei Unternehmen einzutreiben, die nach Übernahmen und Umstrukturierungen nicht mehr in der ursprünglichen Form existierten. Strittig war jeweils die Rechtsnachfolge. 2011 kam dann – aus Kartellamts-Sicht – der juristische GAU. Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied, dass der Versicherungskonzern HDI Gerling ein Bußgeld von 19 Millionen Euro nicht zahlen muss. Die hatte das Kartellamt 2005 gegen den damals noch selbstständigen Gerling-Konzern verhängt. 2006 wurde Gerling vom Talanx-Konzern übernommen und mit dessen Tochter HDI fusioniert.

Kartellsünder werden unangreifbar

Dank BGH kam Gerling straffrei davon. „Die Ansprüche haben sich einfach in Luft aufgelöst“, stellte Mundt konsterniert fest. Blamiert war er selber. Blamiert sind auch einsichtige Sünder wie der Allianz-Konzern, der 2007 brav seine 34 Millionen Euro Bußgeld wegen der Beteiligung am Industrieversichererkartell gezahlt hatte.

Übernahmen und das geschickte Hin- und Herverschieben von Unternehmensteilen erscheinen seit 2011 plötzlich als idealer Schleichweg, um einem schon verhängten Kartellbußgeld doch noch zu entkommen. Mundt: „Es reichen relativ simple Konstruktionen, damit Kartellsünder für uns nicht mehr greifbar sind. Das erschwert uns die Vollstreckung gewaltig.“

Wurstfabrikant Tönnies will Bußgelder des Kartellamts umgehen.

Bekannt ist etwa, dass die Mindener Melitta-Gruppe auf diesem Weg dem 2009 verhängten Bußgeld wegen Absprachen von Kaffeepreisen entgehen will. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab zwar 2014 dem Kartellamt recht. Aber die Melitta-Anwälte Holger Wissel und Olaf Kranz von der Düsseldorfer Kanzlei Taylor Wessing setzen darauf, dass der BGH seiner Rechtsauffassung von 2011 treu bleibt und Melitta am Ende von den geforderten 55 Millionen Euro Bußgeld keinen Cent zahlt.

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