Testturm von Thyssen-Krupp Das neue Weltwunder von Rottweil

Thyssen-Krupp baut in Rottweil einen Riesen-Zylinder, um dort seine modernsten Aufzüge zu testen. Auch die schwäbische Kleinstadt setzt auf den Turm, der schon beim Bau zum Publikumsmagneten wurde.

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Von Ende 2016 an sollen in der 40 Millionen Euro teuren XXL-Röhre die Aufzüge getestet werden. Quelle: dpa

Rottweil Nach gut 700 Jahren ist der Kapellenturm im historischen Zentrum von Rottweil seinen Rekord los: So lange thronte er als einer der schönsten gotischen Kirchtürme Europas mit 70 Metern Höhe über der ältesten Stadt Baden-Württembergs. Doch jetzt ist die Ausnahmestellung als höchstes Gebäude der Stadt dahin. Thyssen-Krupp hat hier in einem Industriegebiet am Rande der Stadt einen 246 Meter hohen Testturm gebaut, der alles überragt.

Stararchitekt Helmut Jahn, für Konzeption und Design mitverantwortlich, nennt ihn schon das „Weltwunder von Rottweil“. Der Clou: Ummantelt wird der Turm von einer Hülle aus beschichtetem Glasfasergewebe, die ihm die Gestalt einer überdimensionierten Schraube gibt.

Doch während der mittelalterliche Kapellenturm vor allem aus kulturhistorischer Sicht seit Jahrhunderten entzückt, dient der Riesenzylinder des Industriekonzerns ganz profanen Zwecken. Hier will Thyssen-Krupp ab Ende des Jahres seine modernsten Aufzüge testen. Der Essener Traditionskonzern gehört zu den großen Aufzugsherstellern der Welt: Rund 7,2 Milliarden Euro setzte die Sparte zuletzt um und ist mit einer Marge in zweistelliger Höhe die Ertragsperle des Konzerns. Damit das auch so bleibt, hat der Konzern 40 Millionen Euro für den Bau seines derzeit größten Testturms rund 90 Kilometer südlich von Stuttgart investiert.

Hier kann er seine Aufzüge unter ganz realen Bedingungen in neun Schächten überprüfen. Herzstück des Rundturms ist ein aktiver Schwingungstilger — ein 240 Tonnen schwerer Betonblock, der an vier Doppelseilen in 190 Metern Höhe hängt. Viele Wolkenkratzer haben ein solches Pendel, das vom Wind ausgelöste Schwingungen ausgleichen soll. Bis zu 70 Zentimeter kann ein Hochhaus zu beiden Seiten schon mal schwanken. Diese Schwankung soll der Block auch im Thyssen-Turm ausgleichen. Gleichzeitig kann er über Motoren aber so aktiviert werden, dass er das Gebäude selbst in Schwingungen versetzt.

„Damit können wir das Verhalten eines jeden Gebäudes simulieren, bevor es gebaut wird“, sagte Andreas Schierenbeck, Chef von Thyssen-Krupp Elevator am Mittwoch in Rottweil. Denn je höher die Gebäude sind, umso anfälliger sind sie für den Wind. Aufzüge diesen realen Bedingungen zu unterwerfen und zu schauen, wie sie reagieren, ist zunächst einmal eine Frage der Sicherheit. Es ist aber auch eine des Komforts: „Das ist wie bei hohem Seegang“, sagte Schierenbeck. „Den Menschen wird einfach schlecht.“


Spektakulärer Blick für Besucher

Und die Gebäude schießen in die Höhe. Anders ist der steigende Platzbedarf in den Megacitys der Welt gar nicht zu bewältigen. Die Anforderungen an die Aufzugshersteller wachsen gleich mit. „Da leben oder arbeiten acht bis zehntausend Menschen in einem Hochhaus“, sagte Schierenbeck. „Diese Leute muss ich rein und wieder raus kriegen — und das vielleicht mehrmals am Tag.“ Rund 180 Wolkenkratzer mit einer Höhe von 300 Meter und mehr sind derzeit weltweit im Bau. In Planung sind Gebäude, die locker die 1000-Meter-Marke überschreiten werden. Bei gut 600 Metern ist aber Schluss mit den konventionellen Aufzügen — das Seil, an der die Kabine hängt, wird zu schwer, die Kapazitäten kommen an ihre Grenzen.

Schon jetzt nehmen Aufzugs- und Versorgungsschächte in Wolkenkratzern 40 Prozent der Grundfläche ein — Platz, der den Investoren für die Vermarktung fehlt. Thyssen-Krupp hat daher ein neues Aufzugs-Konzept entwickelt, den „Multi“, der sich dank eines elektromagnetischen Antriebs bewegt und auf ein Seil verzichtet. Entlehnt ist das Prinzip aus dem Transrapid, den Thyssen-Krupp zusammen mit Siemens entwickelt hat.

Doch während sich die Magnetschwebebahn als ökonomischer Flop entpuppte, verspricht sich der Konzern vom „Multi“ gute Umsätze. Angetrieben von eigenen Motoren können gleich mehrere Kabinen in einem Schacht computergesteuert auf- und abfahren. Multi fährt nicht nur vertikal sondern kann sich auch seitwärts über mehrere Schächte hinweg bewegen oder Gebäude miteinander verbinden. Bis zu 50 Prozent weniger Fläche erhofft sich Schierenbeck — bei deutlich höheren Kapazitäten.

Auch der „Multi“ wird in Rottweil getestet — gleich drei der neun Schächte sind für ihn reserviert. Hier im Schwäbischen wird er ab Ende des Jahres erstmals realen Bedingungen unterworfen, zum Einsatz kommen soll er ab 2019.

Nicht nur Thyssen-Krupp, auch die Stadt Rottweil verspricht sich viel von dem Turm, der sich schon während der Bauzeit zum Publikumsmagneten entwickelt hat. Erstaunlich friedlich verlief schon die Planungsphase — nicht selbstverständlich bei Bauvorhaben in dieser Größenordnung. Das mag auch mit der Besucher-Plattform zusammenhängen, die aus 232 Metern Höhe einen spektakulären Blick bis zu den Schweizer Alpen bietet.

Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß rechnet mit bis zu 100.000 Besuchern pro Jahr, die den höchsten Aussichtspunkt Deutschlands besuchen wollen. Im Mai 2017 soll es soweit sein, dann bringt ein gläserner Panorama-Aufzug die Besucher nach oben. Wichtigste Voraussetzung: schwindelfrei sollte man schon sein.

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