Markenklamotten entstehen zuweilen in abbruchreifen Fabriken, genäht von dürren Mädchen mit blutigen Fingern, die die Nächte auf verlausten Matratzen in Slums verbringen. Aber an Bangladesch kommt die Textilbranche nicht mehr vorbei: Das Land ist in zehn Jahren vom zehnt- zum zweitgrößten Schneider für Europa geworden – gleich nach China. Deutsche Modelabel importieren von dort bald mehr als aus der Türkei.
Die Frage drängt sich auf: Wie sozialverträglich kann ein Modelabel dort produzieren lassen? Wie viel Fairness kann ein Markenhändler Lieferanten aufzwingen, ohne ihn zu verprellen – und sich so im harten Preiskampf selbst ins Knie zu schießen?
Einerseits kaufen deutsche Verbraucher Klamotten gern zu Schleuderpreisen: Zwei Drittel aller Textilien gehen über die Wühltische der Discounter. Andererseits verlangt König Kunde, dass sein T-Shirt fair und sauber hergestellt wird. Groß ist der Aufschrei, wenn im Fernsehen grausame Bilder laufen wie die von der Fabrik in Pakistan, in der vor wenigen Tagen fast 300 Arbeiter verbrannten. Auch der deutsche Discounter Kik ließ dort Jeans nähen. Laut Dienstleistungsgesellschaft Verdi, die gerade eine internationale Kampagne für höhere Löhne in den Zulieferländern startete, kamen zwischen 2006 und 2010 allein in Bangladesch mehr als 550 Beschäftigte bei Fabrikbränden ums Leben. Aber für die Hose mehr bezahlen, damit die Standards in den Fabriken besser werden? So groß ist das schlechte Gewissen der Kunden nicht.
Wege zum sauberen Textilimport
Textilriesen kaufen Kleidung meist über Importeure. Die Dienstleister im Dunkeln knabbern zwar an den Margen – ihnen können sie aber bei Skandalen die Verantwortung aufladen. Wer das vermeiden will, muss die Lieferkette in Eigenregie kontrollieren.
Lieferanten in Ländern wie Bangladesch wickeln ihre Bestellungen oft über Partnerfirmen ab, die in bedeutend schlechterem Zustand sind als die Vorzeigefabriken. Wer seine Verantwortung ernst nimmt, muss in diese Subfabriken Kontrolleure schicken und Kunden deren Namen nennen können.
Echten Einblick in die Arbeitsbedingungen bekommen nur eigene Mitarbeiter der Modeunternehmen, die ständig vor Ort sind. Jedes Label sollte daher ein Team aus entsandten und lokalen Einkäufern, Beratern und Kontrolleuren im Lieferland aufbauen.
Der Glücksfall ist die Arbeit mit Lieferanten, die ihren Hauptkunden als Partner verstehen – und sich mit dessen Hilfe weiterentwickeln wollen. Das erfordert Vertrauen auf beiden Seiten und viel Zeit. Hilft ein Modekonzern seinen Lieferanten, die Produktivität zu verbessern, steigt auch dessen Bereitschaft zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Label wie H & M, C & A, Kik oder Tommy Hilfiger importieren solche Mengen aus Bangladesch, dass sie über gewaltigen Einfluss verfügen – theoretisch. Praktisch arbeitet jeder für sich, statt gemeinsam am runden Tisch mit der Regierung nach besseren Gesetzen zu verlangen. Auch politischer Druck ist rar, obwohl gerade Deutschland in Entwicklungsländern viel Respekt genießt.
Aufmerksamkeit für CSR
Der Grat zwischen billig und fair ist schmal: Jeder Skandal, jeder Brand kann Marken zerstören. Die Furcht davor ist jenseits philanthropischer Manöver der Grund dafür, dass die Branche dem Thema Corporate Social Responsibility (CSR) so viel Aufmerksamkeit widmet wie nie. Wie schwierig es für Händler ist, die Lieferwege aus einem Entwicklungsland wie Bangladesch sauber zu halten, zeigen Besuche in acht zufällig ausgewählten Textilfabriken. Getarnt als Berater deutscher Mode-Einkäufer traf der WirtschaftsWoche-Reporter auf die ungeschminkte Realität.
Der Alltag spielt jenseits der Hauptstraßen. Unser Auto schwankt wie eine Barke, als es sich über eine unbefestigte Dorfstraße nordwestlich des Flughafens Dhaka kämpft. Links fließt ein Rinnsal, das Wasser glänzt dunkelblau. In der Nachbarschaft muss eine Färberei in Betrieb sein. Vor dem Tor der Fabrik der Fortis-Gruppe, die auf sechs Fabriketagen unter anderem für Aldi Süd fertigt, hängt ein Schild: Kinder müssen draußen bleiben. Mal schauen.