Textilindustrie Die Modelüge - wie deutsche Firmen produzieren lassen

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Koordinierte Aktionen sind Fehlanzeige

Wer sich gegen Vorwürfe von NGOs wehren muss
AdidasDie Nichtregierungsorganisation War on Want wirft Adidas vor, dass die Arbeiter in den Zulieferbetrieben, die im Auftrag des Sportkonzerns in Indonesien Schuhe und Trikots herstellen, zu geringe Löhne bekommen. 34 Pence sind laut der NGO der niedrigste Stundenlohn in einer der Sportfabriken. Adidas-Chef Herbert Hainer nannte dies eine „Lüge“, die Löhne seien doppelt so hoch. Im Interview mit der WirschaftsWoche nannte er Details. NGOs fordern seit Jahren von den Sportartikelkonzernen, sich nicht am Mindestlohn sondern an den sogenannten Living Wages zu orientieren, Löhnen also, die Arbeitern Einkommen spürbar oberhalb der Armutsgrenze ermöglichen. Quelle: dpa
McDonald`s/Coca Cola/CadburyIn London kritisieren das NGO  "Our Olympics Campaign" und die britische Academy of Medical Royal Colleges (AoMRC), dass McDonald`s, Coca Cola und der Süßwarenhersteller Cadbury, der mittlerweile zum US-Konzern Kraft gehört, als Sponsoren zugelassen wurden, obwohl ihre kalorienreichen Produkte Fettleibigkeit fördern und damit das Ziel Fitness und Gesundheit zu fördern, konterkarieren. McDonald's wird vier Fast-Food-Restaurants im Olympiapark betreiben darunter auch sein weltweit größtes Schnellrestaurant mit einer Kapazität von 1500 Sitzplätzen. Rund zehn Prozent aller Mahlzeiten im Olympia-Gelände sollen von McDonald’s verkauft werden. Der US-Konzern versucht vor allem mit dem Trumpf der Nachhaltigkeit zu punkten: Das gesamte Baumaterial, Mobilar und die Ausrüstung seiner Olympia-Schnellrestaurants sollen zu 100 Prozent wiederverwendet werden. Quelle: REUTERS
British Petrol (BP)Die britischen NGOs Campaign for a sustainable Olympics (Camsol) und  UK Tar Sands Network kritisieren, dass der Mineralölkonzern British Petrol wegen der Ölkatastrophe im Golf von Mexico vor zwei Jahren nicht als umweltfreundlicher und nachhaltiger Sponsor auftreten darf. Kritik gibt es außerdem an der Abschaffung der Solar-Sparte von BP und der Ölgewinnung aus Teersand in Kanada. Quelle: dpa
Dow ChemicalDer US-Konzern zählt zu den elf globalen Sponsoren und finanzierte für sieben Millionen Pfund die Kunststoffhaut, die das Londoner Olympia-Stadium umhüllt. Doch das Logo von Dow Chemical wird dort aufgrund massiver Proteste gegen die Firma durch Mitglieder der Stadtparlament von London jetzt nicht mehr erscheinen. Federführend ist das NGO Bhopal Medical Appeal. Das Kommunalparlament von London verabschiedete außerdem einen Antrag, in dem es hieß Dow Chemical habe dem Ansehen der olympischen Spielen geschadet. Indien drohte sogar mit dem Boykott der Spiele. Dow Chemical kaufte im Jahr 2001 den US-Konkurrenten Union Carbide, der für die Chemiekatastrophe von Bhopal 1984 verantwortlich war. Rund 3500 Menschen wurden in Bhopal getötet, die Spätfolgen in der örtlichen Bevölkerung wirken bis heute nach. Insgesamt, so wird geschätzt, könnten sogar 25.000 Menschen an den Folgen der Katastrophe gestorben sein. Dow Chemical lehnt die Verantwortung für das Unglück ab. Quelle: dapd
EDF Eletricité de FranceGreenpeace hält den französischen Stromkonzern nicht als Sponsor geeignet, weil er in Großbritannien mehrere Atomkraftwerke besitzt und in Frankreich Greenpeace-Aktivisten ausspionierte. Quelle: Reuters

Erste Schritte sind getan. Seit Kurzem hat Kik ein Büro in Dhaka, neben Tchibo baut Tom Tailor eins auf. Lokale Mitarbeiter und Entsandte aus Deutschland versuchen die Beziehungen zu Lieferanten zu verstetigen, indem sie dort die Kinderbetreuung organisieren oder nach Produktivitätsdefiziten suchen. Von politischer Seite bewegt sich weniger. H & M-Chef Karl-Johan Persson sprach Anfang September mit Premierministerin Scheich Hasina über eine Erhöhung der Mindestlöhne, die weit unter den realen Lebenshaltungskosten liegen – aber im Alleingang. Koordinierte Aktionen sind Fehlanzeige. Großeinkäufer wie H & M, C & A oder Kik könnten ihre Marktmacht gemeinsam nutzen.

Stattdessen schlachtet jeder seine Alleingänge PR-trächtig aus. "In Sachen CSR wurschteln die Konzerne einzeln vor sich hin, und wenn einer einen Skandal abkriegt, freut das die anderen", fasst der für Nachhaltigkeit zuständige Manager eines großen Händlers zusammen.

Dabei lassen sich die Mindestlöhne nur über politischen Druck erhöhen: "Die meisten Hersteller sind so raffgierig, dass sie sich lieber den fünften Porsche kaufen, als freiwillig den Lohn zu erhöhen", schimpft ein Einkäufer. Wenn nicht alle Konkurrenten mitziehen, traut sich kein Lieferant, den Anfang zu machen – zu groß ist die Furcht vor dem Verlust der Wettbewerbsvorteile. Und im preisfixierten deutschen Textil-Einzelhandel kämpft jeder Anbieter um jeden Cent.

Sozialverantwortung in Fabriken

Auch die deutsche Politik hat nicht weiterhelfen können. Westerwelle will das Thema Sozialverantwortung bei seinem Gespräch mit Außen- und Premierministerin zwar gestreift haben. Aber in Sachen Mindestlohn hat er nichts erreicht. Stattdessen braut sich in Dhaka der nächste Streik für höhere Mindestlöhne zusammen. Das kann keiner gebrauchen: Arbeiter müssten um Leben und Gesundheit fürchten; Streiks enden oft mit Blut und brennenden Fabriken. Der Standort leidet, weil Streiks und Schlachten schlechte Presse bringen. Und Markenhersteller müssen um Ruf und Image fürchten.

Tchibo-Mann Groos hat das 2011 beinahe erlebt: In Dhaka brannte es in einer Näherei der Continental Group, die für Tommy Hilfiger fertigte. Tchibo hatte einige Monate zuvor dort Order platziert, dann aber wegen Brandschutzmängeln die Verträge gekündigt. Bei dem Feuer kamen zwei Arbeiterinnen um. Die Fenster waren vergittert und Feuertreppen fehlten.

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