Textilindustrie Die Modelüge - wie deutsche Firmen produzieren lassen

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Schwammige Audit-Fragen

Eine Familie in einer Hütte in den Slums Quelle: Probal Rashid für WirtschaftsWoche

Hagen hat sich die schwammigen Audit-Fragen nicht ausgedacht. Er ist der TÜV, er prüft nur, was sein Auftrag vorgibt. Als Privatmann sieht Hagen die Schwächen. Doch die Mindeststandards der BSCI seien besser als nichts. "Inzwischen gibt es in den Fabriken wenigstens Verbandskästen, Feuerlöscher und Schutzmasken", sagt er. "Und da immer noch ein Viertel der Fabriken beim BSCI-Audit durchfällt, kann es ja nicht völlig umsonst sein."

Dass Hersteller wie die spanische Inditex (Zara) aus der Alibi-Organisation flogen, weil ihre Hersteller Mindeststandards verletzten, spricht Bände. Der zweitgrößte Textilhändler Europas will sich dazu nicht äußern. Aldi Süd verspricht auf seiner Web-Seite "Verantwortung in der gesamten Lieferkette", die man über die BSCI übernehme – schließlich stehe der "Mensch im Mittelpunkt". Bei Aldi Nord hat sich niemand die Mühe gemacht, Gedanken zur Sozialverantwortung zu formulieren. Dabei sind die Essener BSCI-Mitglied.

Modeunternehmen beteuern stets, wie sauber ihre Ketten sind. Beim Kieler Label New Yorker versichert eine Sprecherin, "dass sich New Yorker der großen Verantwortung gegenüber den Menschen, die an der Herstellung unserer Produkte beteiligt sind, bewusst ist". Darum verpflichte man "alle Lieferanten" zur Einhaltung sozialer Mindeststandards und kontrolliere diese auch. Von wem New Yorker die Klamotten bezieht und wie es die Standards kontrolliert, will die Sprecherin nicht verraten – und mauert damit ebenso bei Details wie ihre Kollegen von Aldi Süd, Tommy Hilfiger, Primark und Inditex.

Praktiker glauben kein Wort

Praktiker glauben kein Wort, wenn Modehändler Kontrolle versprechen. "Es ist für keinen Auftraggeber möglich, die textile Lieferkette in all ihren Wertschöpfungsstufen lückenlos zu kontrollieren", urteilt Michael Arretz. Der CSR-Experte war Chef der Hamburger Beratung Systain, die zum Versandhaus Otto gehört, bis er 2010 die Seiten wechselte: Als Co-Geschäftsführer ist er bei Kik für Nachhaltigkeit zuständig. Die Westfalen sind seit Jahren immer wieder wegen Kinderarbeit, Fabrikbränden und Hungerlöhnen unter Beschuss.

Kik ist einer der Großen in Bangladesch. Für den Billigheimer nähen mehr als 100 Lieferanten, von denen die meisten zwei oder drei Fabriken besitzen. Den Discounter hat über Jahre nicht interessiert, was die Hersteller treiben. Jetzt sorgt sich sogar das Schmuddelkind der Branche um seinen Ruf, darum steuert Arretz um: Wie Tchibo feuert er Importeure, die in Dhaka oft sieben Prozent des Auftragsvolumens als Provision kassieren. Für das gesparte Geld kann Kik vor Ort eigene Leute einstellen, die in Fabriken mit den Lieferanten arbeiten, um Produktivität, Qualität und Arbeitsbedingungen zu verbessern.

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